Serie Historische Firmen Avantgardistisches im Lebensmittelhandel
Saarbrücken · Die Kette „Gottlieb“ hatte ihren Ursprung am St. Johanner Markt und eröffnete später den ersten saarländischen Selbstbedienungsladen.
Viele Saarbrücker werden sich noch gut an die Lebensmittelkette „Gottlieb“ erinnern, die im Jahr 1985 im Saarland und Rheinland-Pfalz 35 Supermärkte betrieben hatte. Tatsächlich waren es sogar einmal über 300 Filialen.
Die Urzelle dieser weit verbreiteten Einzelhandelskette lag am St. Johanner Markt. Dort übernahm im Jahr 1871 Ludwig Gottlieb einen kleinen, bescheidenen Lebensmittelladen. Der Stammbaum der Familie reicht weit zurück. Friedrich Georg Gottlieb wurde 1656 in Fechingen geboren, war dort Drechsler und Schulmeister. Seinen Sohn Johann Jakob zog es in die Stadt, nach St. Johann, wo er das Haus St. Johanner Markt Nr. 23 erwarb. Sein Sohn wiederum wurde im Jahr 1771 Bürgermeister von St. Johann.
Ludwig Gottlieb, Enkelsohn des Bürgermeisters, wurde 1808 in St. Johann geboren. Er erlernte, wie es in der Familie üblich war, das Drechslerhandwerk. Aber es muss ihm nicht gelegen haben. Oder er sah die Chance auf eine größere berufliche Laufbahn. Denn als im Jahr 1871 der Lebensmittelhändler neben seiner Werkstatt den winzigen Gemischtwarenladen aufgab, übernahm Ludwig Gottlieb ihn. Und er schien ein guter Kaufmann gewesen zu sein. Denn er inserierte im gleichen Jahr in der Saarbrücker Zeitung, dass er auf der Frankfurter Messe kurze Pfeifenröhren, spanische Rohrstöcke, Zigarrenhalter und verschiedene Pfeifenköpfe, sowie Kinderspielwaren in großer Zahl erwerben konnte, die er nun zu billigen Preisen abgeben wollte. Zu der Zeit hatte er noch die Idee, sein Geschäft in Richtung Großhandel zu entwickeln, die er aber bald aufgab. Stattdessen entschied er sich, seine Waren weiterhin günstig „en gros“ zu erwerben und in mehreren Filialen zu vertreiben. So eröffnete er im Jahr 1878 die erste Filiale in Dudweiler, im gleichen Jahr folgten bereits Geschäfte in Neunkirchen, St. Ingbert und Völklingen. Damit hatte er den Grundstein für eine der ehemals ältesten Einzelhandelsketten Deutschlands gelegt.
1880 schied Ludwig Gottlieb aus seinem Unternehmen aus, die Leitung übernahmen Sohn Ludwig und Schwiegersohn Andreas Günther Friedrich, genannt Fritz, Francke. Sie müssen sehr viel kaufmännisches Geschick besessen haben. Denn sie bauten das Filialnetz immer weiter aus. So gab es im Jahr 1895 70 Gottlieb-Geschäfte mit über 200 Angestellten. Sie befanden sich im Saarland, Lothringen, Luxemburg und Elsass. Im Jahr 1911 waren es 200 Filialen und nur drei Jahre später, vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, sogar 300 Geschäfte. Die Filialen befanden sich außer im Saarland, Oberelsass und im luxemburgisch-lothringischen Industriegürtel auch in Trier, Freiburg, Lahr und Offenburg, bis zum Bodensee und Basel hin.
„Gottlieb“ war damals der größte Lebensmittelfilialbetrieb in Südwestdeutschland, der Name „Gottlieb“ wurde in der Region sogar zum Synonym für Lebensmittelgeschäfte. Wegen der vielen Filialen wurde im Jahr 1901das Unternehmen in zwei Zweige aufgeteilt, einen südlichen von Metz bis Freiburg und einen nördlichen um Saarbrücken.
Nach dem Ersten Weltkrieg gingen die Filialen im Elsass, Lothringen und Luxemburg verloren. Trotzdem bauten die Familien Gottlieb in Freiburg und Francke in Saarbrücken das Unternehmen wieder auf, sodass man 1925 wieder über 25 Filialen verfügte. Auch der Zweite Weltkrieg war ein Einschnitt, da die meisten Filialen ausgebombt wurden. Trotzdem gelang es dem Unternehmen, das Geschäftsnetz wiederaufzubauen, und wieder gute, frische Lebensmittel, sowie Waren des täglichen Bedarfs anzubieten. Das Unternehmen blieb im Familienbesitz, wurde mittlerweile in der vierten Generation geführt. Man war stolz auf die moderne Zentrale in Saarbrücken, die zu Beginn der 1950er Jahre gebaut wurde.
1953 gelang ein ganz besonderer Coup, da eröffnete man an der Ecke Viktoria- und Kohlwaagstraße in Saarbrücken den ersten Selbstbedienungsladen des Saarlandes. In der Presse war damals von „avantgardistischen Neuerungen“ zu lesen. Gemeint waren sich selbständig öffnende Türen und eine Klimaanlage mit Luftfilter. Der Leitspruch „Vom Guten immer das Beste“ stammt auch aus dieser Zeit.
Im Jahr 1969 wurde die Saarbrücker Firma Gottlieb vom Freiburger Familienzweig übernommen. Die 1970er Jahre waren erfolgreich, in Heusweiler wurde 1975 eine Großbäckerei in Betrieb genommen und in Burbach und Dudweiler neu gebaute Geschäfte eingeweiht. Trotzdem blieb der Umsatz der saarländischen Filialen hinter den Erwartungen zurück, obwohl erhebliche Anstrengungen vorgenommen wurden, kam die saarländische Tochter nicht mehr in die Gewinnzone.
So entschied man sich im Jahr 1985, die 35 saarländischen Filialen an die Firma Tengelmann zu veräußern, die die Geschäfte als „Plus“-Märkte weitergeführt hat. „Plus“ übernahm auch alle Mitarbeiter, aber nach und nach wurde der Name „Gottlieb“ durch „Plus“ ersetzt. Seit 1992 sind auch die Freiburger „Gottlieb“-Märkte Geschichte, der Edeka-Konzern übernahm die Filialen. Von dem ehemals größten südwestdeutschen Lebensmittelfilialbetrieb ist in seiner Gründungsstadt Saarbrücken nichts mehr erhalten – bis auf Erinnerungen – und ein zurückhaltendes Familiengrab auf dem Alten Friedhof St. Johann.