Engpass Jetzt wählt die Polizei den Notruf selbst

Saarbrücken · Gewerkschaft: Kollegen am Limit angelangt. Ausgedünnte Besetzungspläne in Saarbrücken wegen Nachwuchsmangels.

 Von einem Einsatz zum nächsten: Doch nach Gewerkschaftsangaben reicht das Personal kaum noch. 

Von einem Einsatz zum nächsten: Doch nach Gewerkschaftsangaben reicht das Personal kaum noch. 

Foto: dpa/Silas Stein

Polizisten gehen auf dem Zahnfleisch. Die Dienstpläne – ganz knapp kalkuliert. Denn es fehlt an Personal. Das sagt Ralf Porzel, Bezirkschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) an der Saar.

Zwar sei es durchaus üblich, dass sich benachbarte Dienststellen bei der Arbeit unterstützen. Aber mittlerweile sei es Gang und Gäbe, dass Streifenbesatzungen aus anderen Bezirken ihren Kollegen auch außerplanmäßig zu Hilfe eilen müssen. Wie auf einem Verschiebebahnhof, weil der Personalbestand einfach nicht mehr ausreiche, so der wenig schmeichelhafte Vergleich. Dementsprechend dauere es eben länger als vorgesehen, bis Ermittler am Einsatzort eintreffen. Der Arbeitnehmervertreter setzt noch einen drauf: „Du ziehst überall an der Decke und legst dadurch andere Stellen frei.“

Beamte müssten bei einem Notruf lange Anfahrtswege in Kauf nehmen, weil näher am Tatort stationierte Polizisten anderweitig beschäftigt seien. So gehe es nicht nur in ländlichen Regionen zu, sondern auch in der Landeshauptstadt. Porzel: „Die Personalbesetzung ist so auf Kante genäht, dass meist nur die Mindestkommandostärke erreicht ist.“

Weitere Konsequenz: Die Polizei arbeite zunehmend die Notrufe nach Relevanz ab. Ein weniger gravierendes Hilfeersuchen beim Verkehrsunfall mit Blechschaden muss hintenanstellen, wenn wenig später Alarm wegen einer Schlägerei aufläuft. Oftmals stünden parallel nicht genügend Ermittler parat.

Anders die Darstellung aus dem Innenministerium: Demnach sei die Führungs- und Lagezentrale des Landespolizeipräsidiums landesweit dafür zuständig, Einsätze  „nach rein taktischen Gesichtspunkten wie zum Beispiel der räumlichen Nähe“ zu koordinieren. Dabei setze das Ministerium auf „flexible Präsenz“ statt auf starre Dienstgebäude. Ministeriumssprecherin Katrin Thomas: „Bislang kam es zu keinem einzigen Zwischenfall, der auf fehlende Einsatzkräfte oder mangelnde Unterstützung zurückzuführen gewesen wäre.“

Für diese aus Gewerkschaftersicht arg strapazierte Lage seien mehrere Gründe ausschlaggebend. So prüfe das Land mit statistischen Daten die Belastung der Beamten in ihren jeweiligen Einsatzgebieten. Dazu zähle nach Angaben des GdP-Vorsitzenden die Zahl der Verkehrsunfälle sowie Straftaten pro Einwohner. Ein theoretisches Modell, dass in der Praxis nicht funktioniere. „Viele weitere Parameter fließen nicht mit ein“, kritisiert Porzel. „Die zeitliche Dimension“, der Aufwand also um eine Sache aufzunehmen, „wird nicht erfasst“, sagt Porzel. Von Bürgern gewünschte Beratungen würden unter den Tisch fallen. „Auch die Präventionsarbeit ist einfach nicht messbar.“

Hingegen setzt das Saar-Innenministerium auf dieses „mehrstufige Planungsverfahren auf Dienststellenebene sowie auf Landesebene“, dass einen „bedarfsorientierten Personaleinsatz gewährleiste“, unterstreicht Thomas. Zuständig dafür sei das Landespolizeipräsidium in Saarbrücken, das im März 2012 seine Arbeit aufnahm.

In Saarbrücken kämen weitere Einsatzbeispiele hinzu, die von der Polizei noch einiges mehr abverlangten, ergänzt Porzel. Fußballspiele, sonstige Großveranstaltungen wie Volksfeste und Demos sowie Disco-Wochenende forderten die Einsatzbereitschaft zusätzlich. „Hier kommen an einem Abend bis zu 20 000 Menschen hinzu. Das ist so viel wie etwa die Einwohner einer Kleinstadt. Da macht sich keiner Gedanken“, resümiert der saarländische GdP-Chef. So stöhnten die Ordnungshüter auf dem Land über prinzipiell lange Anfahrtswege, „und in den Städten steppt der Bär“.

Die angespannte Situation werde sich weiter zuspitzen, befürchtet Porzel. Denn in den kommenden zwei Jahren würden mehr Beamte in den Ruhestand gehen. Obwohl das Saarland die Zahl der Anwärter erhöht habe, reiche diese nicht aus. „Die Unzufriedenheit hat sich verstärkt.“ Um dem entgegenzutreten, kündigte Thomas an, „administrative Angelegenheit ressourcensparend zu bündeln und operative Einheiten zu stärken“. Die Sprecherin berichtet  sogar von „Zuwachs“. Unter Führung von Innenminister Klaus Bouillon (CDU) sei ein Ausgabenplus für Personal von 24 Millionen eingeplant worden.

Die Polizei zählt landesweit 2700 Mitarbeiter, davon 650 im Regionalverband Saarbrücken, sagt Ralf  Porzel.

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