Loderndes Feuer zwingt den Schneemann in die Knie

Bildstock · Er lächelt so nett, der Schneemann. "Wahrscheinlich weiß er noch nicht, dass ihm gleich der Garaus gemacht wird", interpretiert Lydia Cadario-Henn in ihrer Begrüßungsansprache die unbekümmerte Mimik des weißen Ungetüms. Ihr Mitleid hält sich in Grenzen, das der Zuschauer auch. Nur ein Junge sagt traurig: "Schade um den Schneemann."

 Viele Kita-Kinder und Schüler waren in Bildstock dabei, als der Schneemann in Flammen aufging. Foto: Thomas Seeber

Viele Kita-Kinder und Schüler waren in Bildstock dabei, als der Schneemann in Flammen aufging. Foto: Thomas Seeber

Foto: Thomas Seeber

Natürlich ist der nicht echt. Wie auch- bei 10 Grad über Null, hier auf der grünen Wiese am Ortseingang von Bildstock. In seinem voluminösen Baumwolllaken-Leib stecken dürre Tannenzweige, Stroh und Papier. Das brennt wie Zunder. Und verbrannt werden muss "der alte Winterkerl", wie ihn die Pädagogin bei ihre Ansprache am Freitag nannte. Doch zuvor überlegte Lydia Cadario-Henn laut, wann der Frühling denn nun eigentlich anfängt. Kalendarisch ist das bereits am Montag geschehen. "Hat der Frühling einen Geburtstag?" Wohl nicht. Vielmehr kommt er "heimlich, still und leise". Indizien für seine Ankunft gibt es viele: "Wenn es früher hell wird", frühmorgens die Singvögel schon aus Leibeskräften trällern und erst die Schneeglöckchen, später dann Krokusse und Narzissen zu blühen beginnen.

Wie jedes Jahr hatte die Johannes-Schule ihre Nachbarn - die Kita Hoferkopf und die Hoferkopfschule - zur Schneemann-Verbrennung eingeladen. Schätzungsweise 200 Jungen und Mädchen verfolgten das Geschehen mit andächtigem Staunen, das später, als der Schneemann in sich zusammensackte und brennende Fetzen durch die Luft wirbelten, bei den Grundschülern in kollektive Begeisterungsrufe überging.

Nein, ein traditioneller Brauch sei das keineswegs an Waldorfschulen, meinte Dieter Arnold. Mit seiner achten Klasse hatte er den Winterkerl gebaut und dann an die Sechstklässler weiter "gereicht", die sich viel Mühe mit der Gestaltung des Gesichtes und dem "Outfit" gaben.

Genau genommen handelt es sich bei der Winterverbrennung, auch Stabausfest genannt, um eine Tradition, wie sie im Südwesten, beispielsweise an der Weinstraße bei Heidelberg, gepflegt wird. "Von dort bin ich her", verriet Arnold, der das Kollegium schon vor 15 Jahren mit seiner Idee begeistern konnte. Seitdem wird der Schneemann alljährlich in Bildstock verbrannt. Im Vorfeld basteln die Schüler zudem "Frühlingsstecken" mit bunten Kreppbändern und einem bunten Ei als Fruchtbarkeitssymbol an der Spitze. Einige der Stöcke waren auch am Freitag zu sehen.

Der Sinn der Winterverbrennung liegt auf der Hand. Mit diesem Spektakel will man Dunkelheit und Kälte endgültig vertreiben und zu einem schönen, langen Sommer führen, auf den im besten Falle eine ergiebige Erntezeit folgt. Unterstützt von der Schulgemeinschaft, stimmten die Erstklässer der Johannes-Schule einen Volkslied-Ohrwurm von Heinz Lau an: "Komm doch, lieber Frühling, lieber Frühling komm doch bald herbei, jag den Winter, jag den Winter fort und mach das Leben frei!" Laut Wetterbericht steht dem am Wochenende nichts mehr entgegen.

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