Friedrichsthaler Sammelbörse Wie die Frau mit der „großen Klappe“ hilft

Die Versorgung von Kriegsflüchtlingen gelingt in den Kommunen vor allem dank des Einsatzes privater Helfer. In Friedrichsthal packen Petra Warken, Nour Kandalaft und andere ehrenamtlich bei der Sammelbörse an.

 Petra Warken (links) und Nour Kandalaft packen in Friedrichsthal ehrenamtlich bei der Sammelbörse für Geflüchtete mit an.

Petra Warken (links) und Nour Kandalaft packen in Friedrichsthal ehrenamtlich bei der Sammelbörse für Geflüchtete mit an.

Foto: Iris Maria Maurer

Mit einem Bügelbrett unter dem Arm verlässt ein Mann die Friedrichsthaler Sammelbörse. Auf der Treppe begegnet er einer Frau, die einen Korb mit einer Spende vorbeibringt. Im Zentrum des Gedränges an diesem Morgen ist Petra Warken schnell auszumachen. Ihre tiefe Stimme ist sie leicht zu orten in der kleinen Dachkammer des Friedrichsthaler Rathauses.

Warken organisiert die Sammelbörse gemeinsam mit anderen ehrenamtlichen Helfern. Geflüchtete finden dort gebrauchte Dinge für den Alltag. An ihrer Seite ist Nour Kandalaft. Die in Moskau geborene Syrerin packt in der Stadt nicht nur bei der Börse mit an. Warken schlägt die Brücke zu den Friedrichsthaler Bürgern, Kandalaft baut die Brücken zu den Geflüchteten.

Den Korb mit der Spende nimmt Warken dankend entgegen und lässt ihn im Nebenzimmer erst mal verschwinden. „Wenn wir das nicht machen würden, hätten wir hier Wühltisch-Szenen“, die Ordnung und den Überblick behalten, das ist der 67-Jährigen wichtig. Alles soll funktionsfähig bleiben.

In den Regalen finden sich Gläser, Töpfe, Besteck, aber auch Haushaltsgeräte und Dekoration. Bettwäsche liegt fein säuberlich gefaltet und zu Paketen verschnürt in den metallenen Regalen. Eine Idee von Warken, damit zusammenbleibt, was zusammengehört.

Bei der Sammelbörse gibt es alltägliche Dinge, wie Bügelbretter und Kleiderbügel. Aber auch Kinderspielsachen, Schultüten oder Wolle finden Abnehmer.

Bei der Sammelbörse gibt es alltägliche Dinge, wie Bügelbretter und Kleiderbügel. Aber auch Kinderspielsachen, Schultüten oder Wolle finden Abnehmer.

Foto: Iris Maria Maurer

Die Sammelbörse, die 2015 auf Initiative der Friedrichsthaler Kommunalpolitikerin Anne Hauptmann entstand, erhält oft auch ganz gezielte Anfragen. An diesem Freitag wird eine elektrische Herdplatte dringend gesucht. „Ich hab schon mal in meinem Netzwerk rumgefragt“, erzählt Warken. Die Frau mit der „großen Klappe“, sie ist bekannt in Friedrichsthal und das hilft.

Friedrichsthaler Bürger sprechen Warken direkt auf der Straße an: „Wo ich dich seh, ich hab da noch was für euch“, oft setzt sich die Rentnerin selbst ins Auto und holt Spenden ab. So kommen im Monat häufig mehr als die zwei Stunden reine Öffnungszeit der Börse zusammen.

„Helfende Hände können wir immer gebrauchen.“ Veronika Stühler schaut an diesem Morgen Warken über die Schulter. Die frisch gebackene Rentnerin kann sich gut vorstellen, künftig mit anzupacken.

Warken investiert ihre Zeit gerne: „Das ist Hilfe, die ich leisten kann“, schon in den Anfangszeiten der Börse war sie dabei. Damals war sie noch als Selbstständige voll berufstätig. Die Schicksale der Menschen die sie bei der Börse trifft berühren Warken. Sie emotional zu sehr an sich heranlassen will sie nicht: „Das würde ich nicht schaffen.“

Wenn es darum geht, die für die Geflüchteten fremde Haushaltsgeräte oder Gegenstände zu erklären, ist Warken in ihrem Element. Gestenreich erklärt sie zwei Ukrainerinnen wie der gebrauchte Staubsauger zu handhaben ist. Nour Kandalaft versucht ihre Mitstreiterin zu bremsen: „Petra, es geht um die Beutel“, wo es die gibt, das weiß Warken natürlich.

Kandalaft, die im Ende September 2013 als eine der ersten Syrerinnen nach Friedrichsthal kam, ist mit ihrem Sprachtalent ein Glücksfall für die Stadt. Neben ihrer Muttersprache Arabisch, spricht sie Deutsch, Englisch und Russisch. Gerade letzteres ist seit Ausbruch des Ukrainekrieges in Friedrichsthal häufig gefordert.

Oft wechselt die 45-Jährige in so kurzen Abständen die Sprache, dass sie ihr Kollege aus der Stadtverwaltung scherzhaft erinnert: „So Nour, jetzt Deutsch.“ Das spricht sie fließend, auch weil sie für sich immer die Notwendigkeit gesehen hat: „Ich bin hier in Deutschland und muss Deutsch sprechen“, diese Einstellung habe ihr die Integration erleichtert.

Kandalaft kam 2013 mit ihren zwei Kindern in Friedrichsthal an, da war das jüngste anderthalb. „Als ich damals von der Tauschbörse gehört habe, wollte ich erst nicht hingehen, eine Freundin musste mich überreden“, erzählt die Syrerin, zu groß sei zunächst die Scham gewesen, Hilfe anzunehmen.

Bei ihrem ersten Besuch spürte sie direkt: „Ich will mithelfen, nicht bloß nehmen.“ In Syrien hatte sie als Informatikerin gearbeitet, nach ihrer Ankunft habe sie das Jobcenter zunächst in Maßnahmen gesteckt, doch das war nichts für Kandalaft: „Die Arbeit mit den Menschen hat mir mehr Spaß gemacht.“ Da bot die Sammelbörse den richtigen Einstieg.

Schließlich ging sie auf die Stadt zu, ob man dort nicht Arbeit für sie hätte. Kandalaft fing als Helferin des damaligen Dolmetschers an. Zwischenzeitlich arbeitete sie auch ein Jahr als pädagogische Helferin an einer Schule in Heinitz, nach dem ihr Minijob im Rathaus ausgelaufen war. Eine feste Stelle bei der Stadt sei für 2024 in Aussicht.

Inzwischen ist Kandalaft für sechs Stunden in der Woche bei der Verwaltung angestellt. „Ich helfe den Geflüchteten dabei, bei der Bank ein Konto zu eröffnen, erkläre ihnen, wie sie einen Vertrag mit dem Stromanbieter abschließen.“ Das sind nur einige ihrer Aufgaben als Integrationshelferin.

In der Sammelunterkunft der Stadt, der Helenenhalle, erklärt Kandalaft den neu ankommenden Bewohnern die Einrichtung. So weiß sie oft aus erster Hand, was dort fehlt, so wie heute die elektrische Herdplatte.

Für ihre Mitstreiterin hat die Sammelbörse noch einen weiteren Aspekt: „Die Sachen bekommen ein zweites Leben und werden nicht weggeworfen“, sagt Petra Warken. Damit das klappt, schauen beide Frauen bei den Spenden ganz genau hin. „Was kaputt ist oder nicht mehr zu gebrauchen, müssen wir wegschmeißen.“

Was 2015 in Friedrichsthal als Übergangslösung begann, ist längst zu einer festen Einrichtung geworden. Mit den von ihnen gebauten Brücken, helfen Petra Warken und Nour Kandalaft den Geflüchteten dabei, in der Stadt anzukommen. Der Lohn dafür: „Danke!“ Es ist das am häufigsten gesprochene Wort an diesem Morgen und es kommt von Herzen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort