Holocaust-Überlebende „Kein Tag, an dem ich keine Angst hatte“

Saarlouis/Hamburg · Die in Saarlouis geborene Esther Bejarano, die die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück, kämpft noch mit 95 Jahren gegen das Vergessen.

 Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano.

Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano.

Foto: dpa/Axel Heimken

Ihre Musikalität hat sie gerettet, vor dem sicheren Tod durch die Nazis. Seither widmet Esther Bejarano ihr Leben dem Kampf gegen den Faschismus. Und der Musik. Obwohl sie an diesem Sonntag 95 Jahre alt wird, steht sie noch immer als Sängerin auf der Bühne. „Wer tritt denn mit 94 Jahren noch mit einer Rapperband auf – das gibt es nur einmal“, sagt die Holocaust-Überlebende stolz.

Gemeinsam mit der HipHop-Band „Microphone Mafia“ tourt Esther Bejarano seit Jahren durch Schulen, ist Vorsitzende des Auschwitz Komitees und Ehrenpräsidentin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Als eine der letzten Zeitzeugen der Nazi-Schreckensherrschaft ist sie längst zur Symbolfigur gegen das Vergessen geworden.

Bejarano wird 1924 in Saarlouis geboren, als Jüdin erfährt sie bereits in ihrer Kindheit den wachsenden Antisemitismus. Im Alter von 15 Jahren geht sie in ein Vorbereitungslager für eine geplante spätere Ausreise nach Palästina. Als das von den Nazis geschlossen wird, kommt sie zunächst in ein Zwangsarbeitslager in Brandenburg, bevor sie 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert wird.

Nachdem sie anfangs schwerste Arbeit verrichten muss, kann sie in das Mädchenorchester des KZ wechseln. Obwohl sie zuvor noch nie ein Akkordeon in der Hand hielt, beherrscht sie das Instrument auf Anhieb – und rettet so ihr Leben. „Ich sagte mir: Ich muss das unbedingt schaffen, sonst gehe ich zugrunde“, berichtet sie.

Bejarano wird Augenzeugin, wie der durch seine Grausamkeit berüchtigte Mediziner und Kriegsverbrecher Josef Mengele Menschen beim Morgenappell aussortiert und in die Gaskammern schickt. Jeden Tag muss sie damit rechnen, die Nächste zu sein. „Es gab keinen Tag, an dem man keine Angst hatte. Es war furchtbar“, erinnert sie sich.

Später wird sie ins Konzentrationslager Ravensbrück (Brandenburg) verlegt. Als die Rote Armee näher rückt, zwingen die Nazis sie, an einem der sogenannten Todesmärsche teilzunehmen, bei dem ihr letztlich die Flucht gelingt. Erst nach Kriegsende erfährt sie vom Tod der Eltern und einer ihrer Schwestern.

Ihr Vater, sagt Bejarano, habe noch geglaubt, „die Deutschen würden nicht zulassen, dass Hitler sich lange an der Macht hält“. Umso unerträglicher sei es für sie, heute mitzuerleben, „dass die Menschen einfach nicht zur Vernunft kommen und dass sie nichts gelernt haben von der damaligen Zeit“. Schuld daran sei unter anderem die mangelnde Aufklärung der Gräueltaten. Die meisten Naziverbrecher hätten ihr Leben einfach wie gewohnt fortführen können.

Esther Bejarano gibt der Geschichte ein Gesicht. „Meine Generation stirbt langsam aus. Daher habe ich auch so wahnsinnig viel zu tun“, sagt sie. Ihre Konzerte seien immer gut besucht und sie erfahre viel positive Resonanz von Schülern. Vor allem in sie setze sie Hoffnung, die in die Regierung habe sie bereits verloren – nicht zuletzt wegen der Aberkennung der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA im November.

Das Berliner Finanzamt hatte die Entscheidung mit einem Verweis auf die bayerischen Verfassungsschutzberichte begründet. Dort heißt es: „Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus.“ Bejarano ist zudem Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei, über die der Hamburger Verfassungsschutz schreibt: „Die DKP steht (...) antagonistisch zu einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der parlamentarischen Demokratie.“ Der Hamburger Senat hatte Bejarano wenige Tage vor dem neuen Streit um die VVN-BdA mit der Ehrendenkmünze in Gold ausgezeichnet. „Mit Esther Bejarano und (der ebenfalls ausgezeichneten) Peggy Parnass ehren wir zwei außergewöhnliche Persönlichkeiten, die auf ein beeindruckendes Lebenswerk zurückblicken können“, sagte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). „Sie haben mit ihren oft streitbaren Wortmeldungen seit Jahrzehnten wichtige Impulse für Demokratie, Erinnerungskultur und Gleichberechtigung gegeben.“

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