Diese Stadt braucht mehr Mut Eine rostige Gedenktafel hängt in Kniehöhe im Treppenturm

Saarbrücken · Von Jörg Laskowski

 Nahezu unsichtbar und unleserlich: Ein Passant kniet vor der Gedenktafel für Willi Graf im Treppenturm an der Berliner Promenade.

Nahezu unsichtbar und unleserlich: Ein Passant kniet vor der Gedenktafel für Willi Graf im Treppenturm an der Berliner Promenade.

Foto: BeckerBredel/bub/fb

Im Juli 2003 schrieb der damalige Bürgermeister Kajo Breuer (Grüne) alle Stadtratsfraktionen an. Er berichtete, dass Bürger ihm vorgeschlagen hatten, Willi Graf, an dessen 60. Todestag am 12. Oktober per Gedenkfeier posthum zum Ehrenbürger der Stadt zu ernennen. Zu den Antragstellern gehörten Rundfunkpfarrer Stephan Wahl und der Historiker Franz-Josef Schäfer. Auch Breuer war dafür. Eine öffentliche Diskussion begann. Dabei tauchte der Einwand auf, die Ehrenbürgerwürde könne „formaljuristisch“ nicht an einen Toten verliehen werden. Im Laufe dieser Diskussion kam auch zu Tage, dass der Stadtrat erst am 3. April 2001 beschlossen hatte, Hitler und Konsorten aus der Saarbrücker Ehrenbürger-Liste zu streichen. Dann entschied sich der Rat  am 30. September aber doch einstimmig für Willi Graf. Am Sonntag, 12. Oktober 2003, Grafs 60. Todestag, war es so weit. Die Gedenkrede hielt Grafs Schwester Anneliese Knoop-Graf. Sie nahm auch die Ehrenbürgerurkunde entgegen. Im folgenden Dezember schlug der Stadtverordnete Stefan Weskalnys (CDU) vor, Graf ein Denkmal im Rathaus zu setzen, und zwar auf der großen Treppe, wo schon eine Büste an die Widerstandskämpferin Johanna Kirchner erinnerte (auch sie wurde von den Nazis ermordet). Die Idee wurde begeistert aufgenommen. Zumal die Büste mit Spenden von Bürgern bezahlt werden sollte. Und tatsächlich: Die Saarbrücker spendeten munter – und im Juni 2004 durfte Anneliese Knoop-Graf die Büste ihres Bruders im Rathaus enthüllen, angefertigt vom Saarbrücker Bildhauer Hans Schröder. 2006 veröffentlichte die Stadt ihre Broschüre über Grafs Leben und Wirken, Autor ist Werner Theis vom Amt für Stadtmarketing. Anneliese Knoop-Graf war Lektorin und steuerte die Fotos bei. Im Oktober 2009 eröffnete die Stadt ihre Dauerausstellung über Graf in der Einsegnungshalle des Alten Friedhofs St. Johann. 2010 veröffentlichte Boris Penth, der frühere Leiter des Max-Ophüls-Festivals, seinen Dokumentarfilm „Willi Graf – Zivilcourage und Widerstand“. Im März 2013 schlug der Vorsitzende der Linken im Stadtrat, Rolf Linsler, vor, das St. Johanner Saarufer offiziell zum Willi-Graf-Ufer zu machen. Und am 10. September 2013 beschlossen Linke, SPD, Grüne und Freie Wähler, den Bereich zwischen Congresshalle und Bismarckbrücke in Willi-Graf-Ufer umzubenennen. CDU und FDP trugen den Beschluss nicht mit. Sie vertraten die Ansicht, die „untere Berliner Promenade“ symbolisiere den Wunsch nach deutscher Einheit, und der Name habe sich durchgesetzt. Niemand werde vom Willi-Graf-Ufer sprechen.

Der Stadtratsbeschluss hatte ein Nachspiel – und zwar am 26. September im Bezirksrat Mitte, der normalerweise für die Benennung von Straßen, Wegen und Plätzen zuständig ist. Bezirksbürgermeisterin Christa Piper (SPD) nannte das Vorgehen des Stadtrates „dumm und unprofessionell“. Im November allerdings votierte dann auch eine Mehrheit im Bezirksrat Mitte für das Willi-Graf-Ufer. Dennoch blieb der Bezirksrat bei seiner Auffassung, dass der Stadtratsbeschluss „anmaßend und rechtswidrig“ gewesen sei. Und deshalb fand sich im Bezirksrat gleichzeitig eine breite Mehrheit für die Anrufung der Kommunalaufsicht. Sie sollte klären, ob der Stadtrat das Recht hatte, das Ufer nach Willi Graf zu benennen. Am 22. November 2014 wünschte sich die SZ zu Weihnachten: Namensschilder und Gedenktafeln für das Willi-Graf-Ufer. Und tatsächlich: Ende Dezember 2014 stand das Namensschild „Willi-Graf-Ufer“ unterhalb der Freitreppe. So groß wie ein normales Straßenschild. Erst im November 2015 ließ die Stadt auch eine Gedenktafel anbringen – am Treppenturm, der am Ende der Schifferstraße hinab zum Willi-Graf-Ufer führt. Die Tafel hängt in Kniehöhe an der Brüstung, auf die man zukommt, wenn man über den Steg auf den Turm geht.

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