Bühnenkunst Ein Leben in Bildern wird zur Bühnenkunst

Saarbrücken · Fotoalbum inspirierte Benoit Faivre und Tommy Laszlo zu ihrer neuesten Arbeit. Und zur Suche nach dem Menschen auf den Fotos.

 Von einem auf Fotos verewigten Leben erzählen die Bilder im Vordergrund. Dahinter erscheint rechts auf der Projektion Benoit Faivre. Links ist der Hinterkopf von Tommy Laszlo.

Von einem auf Fotos verewigten Leben erzählen die Bilder im Vordergrund. Dahinter erscheint rechts auf der Projektion Benoit Faivre. Links ist der Hinterkopf von Tommy Laszlo.

Foto: La Bande Passante

Schreibt das Leben vielleicht doch die interessanteren Geschichten? Eine reale Biografie hat jedenfalls vor einigen Jahren Benoit Faivres und Tommy Laszlos Pläne für ein neues Bühnenstück gehörig durcheinandergebracht. Normalerweise nehmen die beiden künstlerischen Leiter der Metzer Compagnie „La Bande Passante“ reale Objekte, um darüber eigene Geschichten zu erfinden.

„In ,Cockpit Cuisine’ etwa“, erzählt Faivre, „haben wir uns vorgestellt, wir hätten ein Haus in Forbach geerbt, und in diesem Haus haben wir das Leben eines fiktiven Filmemachers rekonstruiert. Wir benutzten das ganze Haus und alles, was wir darin fanden, wie ein riesiges Dokument“.

„Docu-Fiction“ nennen sie ihre Theaterform, in der sie Figurentheaterspiel, Bildhauerisches, Hörspiel, Film und Live-Film interdisziplinär verbinden.

Damals also, erinnert sich Faivre, waren sie gerade in Brüssel, um sich im Stadtarchiv mit alten Postkarten zu befassen für eine große Produktion zum Thema Papier. Doch als sein Kompagnon Tommy Laszlo beim Riesen-Flohmarkt auf dem Place du Jeu de Balle ein altes Fotoalbum entdeckte, war es bald um die beiden geschehen.

Es war ein Album, welches das Leben eines Mädchens von der Geburt in Berlin 1933 bis kurz nach der Heirat 1967 in Brüssel dokumentierte. „Ein so dickes und gut erhaltenes Album ohne Lücken findet man selten“, sagt Faivre.

Allerdings: Außer der Geburtsanzeige des Mädchens enthielt es keinerlei Text, der über die abgebildeten Personen, Orte und Ereignisse Auskunft gegeben hätte. Aber genau dadurch hat es Faivre und Laszlos nicht mehr losgelassen. Sie haben alle anderen Vorarbeiten fallengelassen, um die reale Lebensgeschichte dieses deutschen Mädchens zu rekonstruieren. Wie kam sie von Berlin nach Brüssel, und wo hat sie dazwischen gelebt?

„Ein Jahr lang suchten wir nur nach Partnern, die unserer Projekt finanzieren“, erzählt Benoit Faivre. Dann erst legten sie los und beschlossen, die Suche zum Teil des Stücks zu machen und mit der Kamera festzuhalten. Auf den Rückseiten von Ansichtskarten im Album entdeckten sie Adressen von deutschen Städten, die sie alle aufsuchten.

Was Faivre und Laszlo besonders berührte: Auch ihre eigenen Großmütter hatten während des Weltkriegs gelebt und das Land gewechselt. Faivres Oma stammt ebenfalls aus Berlin, wollte nach dem Krieg zu ihrer Tante im Elsass und landete unfreiwillig in der Franche Comté. Laszlos ungarischer Großvater war in französische Kriegsgefangenschaft geraten, hatte in Indochina gekämpft und konnte deshalb nie nach Ungarn zurück. Seine Großmutter gelang es erst beim Ungarn-Aufstand 1956 auszureisen. Und sie wurde von den Behörden nach Metz geschickt. „So wurde uns klar, wenn wir die Frau aus dem Album finden würden, würde sie uns also eine Geschichte erzählen, die auch eine kollektive Geschichte, ein Teil unserer eigenen Geschichte ist“, erklärt Faivre.

Freuen wir uns also auf ein veritables europäisches Stück. Obwohl die Compagnie „La Bande Passante“ seit 2007 in Metz existiert, stellt sie sich bei den Perspectives zum ersten Mal dem saarländischen Publikum vor. Wurde auch Zeit.

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