„Wir stecken in einer Sackgasse“

Dudweiler · Das Saarland ist für sein reges Vereinsleben bekannt. Doch der demographische Wandel macht den Vereinen zunehmend zu schaffen. Nicht zuletzt Chöre sind auf eine Mindestanzahl von Mitgliedern angewiesen. Ein Stimmungsbild.

 Jessica Dienhold ist erste Vorsitzende eines Orchesters, das von Jahr zu Jahr immer weniger Mitglieder zählt. Sie schaut mit Sorge in die Zukunft. Fotos: Oliver Dietze (1)/dpa (1)

Jessica Dienhold ist erste Vorsitzende eines Orchesters, das von Jahr zu Jahr immer weniger Mitglieder zählt. Sie schaut mit Sorge in die Zukunft. Fotos: Oliver Dietze (1)/dpa (1)

Frau Dienhold, Sie sind 36 Jahre alt, berufstätig, gerade Mutter geworden und erste Vorsitzende des Zupforchesters Dudweiler. Nicht gerade typisch, oder? Normalerweise säße hier doch eher ein Vertreter der älteren Generation.

Dienhold: Ja, das stimmt. Ich bin eher die Ausnahme in der Szene. Ich bin auch das jüngste aktive Mitglied unseres Vereins. Die meisten unserer 36 Mitglieder sind im Schnitt 60 plus.

Was reizt Sie künstlerisch an dem Verein?

Dienhold: Ich spiele Gitarre, seit ich neun Jahre alt bin, und bin im Verein, seit ich 13 Jahre alt bin. Alleine zu üben, war mir irgendwann zu langweilig, und so habe ich mich entschlossen, in einen wohnortnahen Verein zu gehen. Ich mag, dass es dort in erster Linie um das gemeinschaftliche Musizieren geht, nicht um ein leistungsorientiertes Programm, das abgearbeitet wird. Wenn jemand bei der Probe einen falschen Ton spielt, schütteln wir den Kopf und lachen - das ist okay und gehört dazu. Nach der Geburt meiner Tochter habe ich mehrere Monate pausiert. Als ich dann das erste Mal wieder den Probenraum verlassen habe, war ich einfach nur glücklich. Das gemeinsame Musizieren gibt mir so viel. Es gleicht die Menschen an, Nationalitäten, Berufe, Herkunft und Stand sind egal. Wir sind alle Musiker. Religion und Politik sollen während der Proben auch kein Thema sein. Das steht übrigens seit 1928 - da entstand der Verein aus der Arbeiterbewegung - so in unserer Satzung.

Nun haben Sie sich 2010 entschlossen, das Ehrenamt der ersten Vorsitzenden zu übernehmen. Sie sind beruflich bald wieder gefordert und haben Familie. Warum tun Sie das?

Dienhold: Nun, unser Verein hat große Zukunftssorgen und steht damit exemplarisch für viele Kulturvereine im Saarland. Ich kenne viele, denen es genauso geht wie uns. In unseren goldenen Vereinszeiten Ende der 60er Jahre hatten wir 100 Mitglieder, mittlerweile noch 36, davon sind nur noch elf wirklich aktiv, und von denen spielen nur noch fünf regelmäßig, und ich bin die Jüngste. Wir stecken in einer Sackgasse. Die Vereinsarbeit wird nicht weniger, muss aber gemacht werden, und es sind immer weniger Schultern da, auf die sie verteilt werden kann. Da fühle ich mich schon in der Verantwortung, und die übernehme ich mit dem Ehrenamt. Die Frage ist natürlich, wie lange kann ich das noch leisten, und wird sich irgendwann überhaupt noch ein Nachfolger finden?

Diese Zukunftssorgen sind auch Thema bei den Generalversammlungen?

Dienhold: Ja, permanent. Wir haben immer weniger Spieler, können deswegen auch weniger Konzerte geben. Das Alter der Mitglieder wirkt sich natürlich auch auf die Spieler und auf die Besetzung aus. Die Finger sind einfach nicht mehr so schnell.

Und auf die Organisation?

Dienhold: Ja, klar, Blumen zum Konzertraum schleppen, sich um die Gema-Gebühr kümmern, PR-Arbeit am Computer machen, die Vereins-Homepage pflegen oder die Satzung mit Notarterminen aktualisieren, all das geht einem 70-Jährigen natürlich nicht mehr so leicht von der Hand wie jemandem mit 35.

Hinzu kommt der finanzielle Druck, der durch die schrumpfende Mitgliederzahl entsteht...

Dienhold: Ja, genau. Wir bekommen einen jährlichen Zuschuss von der Bezirksverwaltung Dudweiler. Ansonsten finanzieren wir uns über die Mitgliedsbeiträge. Die sind mit 15 Euro pro Jahr pro Mitglied bei 36 Musikern nicht gerade üppig, einige Mitglieder sind auch noch von den Beiträgen befreit. Hinzu kommen Spenden, Umsätze von Familienfesten und Konzerteinnahmen, wobei wir die meisten Konzerte eintrittfrei halten wollen, um vielen Hörern den Zugang zu ermöglichen. Vereinsfahrten, die wir uns früher leisten konnten, sind seit 2010 einfach nicht mehr drin. Auch wegen der umfangreichen Organisationsarbeit. Aktuell haben wir auch keinen Dirigenten mehr, da unsere beiden letzten Dirigenten ehrenamtlich für eine Aufwandsentschädigung gearbeitet haben. So jemanden finden wir gar nicht mehr. Wenn man einen guten Dirigenten will, ist das auch eine Preisfrage.

Was tun Sie konkret, um aus diesen Nöten zu entfliehen?

Dienhold: Wir suchen uns zum Beispiel Konzert-Orte aus, die uns nichts kosten. Etwa in der Kirche, wo wir keine Raummiete entrichten müssen. Da wir immer weniger Spieler haben, ist es auch schwierig, ein längeres Konzert-Programm zu gestalten. Wir kooperieren, nehmen andere wie den Männerchor Harmonie mit ins Boot, um zum Beispiel ein einstündiges Programm zu füllen. Und wir suchen händeringend Nachwuchs - im Internet, per Anzeige und über persönliche Ansprache.

Haben Sie angesichts der schrumpfenden Mitgliederzahl auch schon mal über grenzüberschreitende Kooperationen mit französischen Vereinen nachgedacht?

Dienhold: Unser Verein hatte früher jahrelang eine Kooperation mit einem französischen Verein aus dem Grenzgebiet. Das war aber lange vor meiner Zeit, also vor dem Jahr 1990. Details kenne ich nicht, es gab aber wohl auch gemeinsame Konzerte, aber die Kooperation endete, als der Präsident des französischen Vereins starb. Eine Kooperation mit Vereinen über die Landesgrenzen hinaus wäre sicher denkbar, dann allerdings mit weniger häufigen Proben, einfach der Logistik wegen.

Wüssten Sie denn, an wen Sie sich wegen einer solchen Kooperation wenden könnten?

Dienhold: Nein - und es gibt ja auch die Sprachbarriere. Es wäre für uns gut und wünschenswert, wenn es eine grenzüberschreitende Stelle gäbe, die solche Kooperationen koordiniert, wo zum Beispiel Deutsch sprechende Ansprechpartner im Nachbar-Verein vermittelt werden oder Französisch sprechende bei uns.

Was mögliche potenzielle Mitglieder anbelangt, gibt es doch auch viele junge Gitarren-Schüler, warum kommen die nicht zu Ihnen?

Dienhold: Das ist eine gute Frage und die Antwort zeigt, wie komplex unser Problem ist. Zu uns kann nur kommen, wer das Instrument schon einigermaßen beherrscht. Darum wollten wir mit Schulen kooperieren und Arbeitsgemeinschaften gründen. Doch erstmal muss man, um Fördergelder zu bekommen, viele komplizierte Anträge ausfüllen. Das haben wir auch schon gemacht. Dann war aber die Frage, wer leitet die AG? Das müssen ausgebildete Musiklehrer sein. Haben wir nicht. Könnten wir auch nicht bezahlen. Dann haben die Kinder oft selbst kein Instrument, wir können es nicht stellen, für die Eltern ist es oft zu teuer, eines zu kaufen. Also müssten die Instrumente geliehen werden, wer versichert das? Wir sind ein zu kleiner Verein, um das finanziell stemmen zu können.

Aber warum gibt es keine Kooperation mit Musikschulen? Die könnten doch auf Sie verweisen, sobald die Schüler ein gewisses Niveau haben?

Dienhold: Zum einen haben die Musikschulen natürlich selbst ein Interesse daran, ihre Schüler zu halten. Und zum anderen ist es für die Kinder zuviel, neben der Schule noch eine Musikschule und einen Verein zu besuchen. Wenn sie es doch tun, entscheiden sie sich eher für einen Sport- oder Karnevalsverein. Das sind leider unsere härtesten Konkurrenten.

Bundesdirigent: Vereine müssen ihre Nischen suchen


Saarbrücken. Der Bund Saarländischer Musikvereine (BSM) hält es angesichts des mangelnden Nachwuchses für unerlässlich, dass Vereine ihre eigene Nische zu suchen. "Es ist jetzt an der Zeit, Lethargie und Resignation zu hinterfragen und sich fit für die Zukunft zu machen", sagt Bernhard Stopp, Bundesdirigent des BSM, im Gespräch mit unserer Zeitung. Es gelte die Vereinsarbeit "permanent nachzujustieren, um langfristig die Früchte zu ernten". Ein Verein dürfe sich nicht mehr nur als Verein begreifen, zu dem die Menschen hinkommen, sondern der Verein müsse angesichts des demographischen Wandels mehr denn je selbst die Zielgruppe aufsuchen. Viele Vereine im BSM würden dies bereits mit einer "akribischen Nachwuchssuche" leisten. "Grundschule und Kindergarten sind die Orte, an denen wir den Nachwuchs finden. Ein Verein muss die Kinder da abholen, wo sie die meiste Zeit verbringen", sagte Stopp. Natürlich seien diesbezüglich solche Vereine privilegiert, denen im gleichen Ort ein Kindergarten oder eine Grundschule zur Verfügung steht. Die Bildungseinrichtungen seien in der Regel offen für die Angebote von Vereinen, schildert Stopp die Erfahrungen des BSM. "Wenn es gut läuft, ist es eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten", sagt Stopp.

Nischen könnten Vereine in unterschiedlichen Bereichen besetzen, sagte der Bundesdirigent. Eine Möglichkeit sei eine klare Definition des musikalischen Repertoires. Etwa auf Hits aus den Charts oder auf Filmmusik, um Jugendliche anzusprechen. Oder auf hochwertige sinfonische Musik, bei der sich die Strahlkraft des Vereins durch die Leistungsfähigkeit ergebe. "Mainstream ist das dann natürlich nicht, aber dennoch für jugendliche Musiker interessant", so Stopp. Andere Vereine setzten auf verlockende Freizeitangebote wie etwa gemeinsame Fernreisen, um Nachwuchs anzuziehen. Das sei auch ein mögliches Nischen-Konzept und spreche sich schnell rum. Die langfristige Bindung der jungen Mitglieder könne dabei jedoch letzten Endes nicht garantiert werden und bleibe somit eine Herausforderung, da eher "event-orientiert" gearbeitet werde.

Dem Bund Saarländischer Musikvereine gehören knapp 200 Vereine mit etwa 300 Orchestern im Saarland an. Das sind an die 10 000 aktiven Musiker. ko

saarlmusikvereine.de


Verband warnt vor massivem Chorsterben im Saarland

Immer mehr Männerchöre lösen sich auf - Mangelnder Nachwuchs wirkt sich auf Stimmbesetzung aus - Präsidentin: Chorleiter in der Verantwortung

Kirkel/Saarbrücken. Der Saarländische Chorverband (SCV) warnt vor einem massiven Chorsterben im Land. "Wir müssen jetzt schon mitansehen, wie immer mehr Männerchöre verschwinden, und auch die gemischten Chöre trifft es zunehmend", sagt SCV-Präsidentin Marianne Hurth in einem Gespräch mit unserer Zeitung.

Die große Zahl der älteren Sänger und der mangelnde Nachwuchs wirkten sich in den Laienchören bereits jetzt auf das Repertoire und auf die Stimmbesetzung aus. Hurth: "Irgendwann ist ein Chor dann einfach nicht mehr singfähig." Einige der knapp 400 Chöre im Saarland befänden sich aktuell in "einer Starre der Ratlosigkeit". Diese gelte es in den kommenden Jahren zu durchbrechen.

Eine zentrale Rolle spielen nach Ansicht der SCV-Präsidentin in diesem Prozess die Chorleiter. Hurth: "Wenn sie nicht aufpassen, werden sie unbewusst zu den Totengräbern der Chöre. Junge Menschen singen gern, aber ihnen fehlt oft das Angebot."

Hurth appellierte in diesem Zusammenhang an die Chorleiter im Land, offen zu sein für neue Wege in der Nachwuchssuche und für Fortbildungen im Bereich "Chor-Management". Ein Chor müsse sich heute mehr denn je als Marke mit Alleinstellungsmerkmalen etablieren und "experimentierfreudig" sein. Als Beispiele nannte sie die Choreographie, Kleidung und Beleuchtung. Diese Elemente hätten mittlerweile häufig für das Publikum einen ähnlichen Stellenwert wie der Gesang.

Der Saarländische Chorverband vertritt die Interessen von 10 100 Mitgliedern. Er vereint alle Formen chorischen Singens, von der Klassik bis zur Moderne, vom Volkslied bis zum Jazz, vom Männerchor bis zum Konzertchor. ko

Auf einen Blick

Wie führen Sie Ihren Verein erfolgreich ins Jahr 2020? Sind Sie auch Mitglied eines Vereins im Saarland? Kennen Sie die Nöte rund um das Thema ausbleibender Nachwuchs und haben Sie diese dank eines erfolgreichen Konzepts hinter sich gelassen? Dann schreiben Sie SZ-Redakteurin Christine Kloth an c.kloth@sz-sb.de.

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