Ein bisschen von Olympia träumen
Dudweiler. Sie steht auf den rot-grauen Matten. Ein Griff, und mit Schwung stemmt sie plötzlich ihren über 70 Kilogramm schweren Judokollegen Hendrik Käufer, wie ein Gewichtheber seine Hantel, in die Luft. Rumms - da liegt er wieder auf dem Boden. Käufer schaut verdutzt. So schnell, wie er oben war, war er auch wieder unten
Dudweiler. Sie steht auf den rot-grauen Matten. Ein Griff, und mit Schwung stemmt sie plötzlich ihren über 70 Kilogramm schweren Judokollegen Hendrik Käufer, wie ein Gewichtheber seine Hantel, in die Luft. Rumms - da liegt er wieder auf dem Boden. Käufer schaut verdutzt. So schnell, wie er oben war, war er auch wieder unten. In der tristen, nach altem Holz riechenden Halle der Turmschule Dudweiler wird es auf einen Schlag laut. Die Kinder, die gerade zu ihrem Training kommen, beklatschen begeistert die Aktion von Jessica Lindner, 20 Jahre alt, 47 Kilogramm leicht, mehrfache deutsche Vizemeisterin im Judo.Ihre Laufbahn beginnt Lindner schon mit acht Jahren beim ATV Dudweiler. Sämtliche Sportarten probiert sie während ihrer Grundschulzeit aus. Doch keine imponiert ihr so sehr wie Judo. "Die weißen Anzüge und bunten Gürtel haben mich fasziniert", erinnert sich die 1,59 Meter große Judoka aus Jägersfreude, "und die Sportler sind auf die Matte gefallen, ohne sich weh zu tun."
Vier Jahre später gewinnt Lindner den Saarlandmeistertitel und wird in die Saarauswahl aufgenommen, 2006 wird sie südwestdeutsche Meisterin. "Ein Jahr später bin ich das erste Mal bei den deutschen Meisterschaften in Rüsselsheim gestartet und wurde Vizemeisterin", erzählt Jessica Lindner, nachdem sie sich höflich vor ihrem Judokollegen verneigt hat und unter tosendem Applaus die Matte verlässt. 2008 wird die Saarländerin südwestdeutsche Meisterin bei den U 20 und den Frauen. Mit 17 Jahren wechselt Lindner in die 2. Bundesliga zum JC Samurai Offenbach und wird 2010 Dritte bei den deutschen Meisterschaften. "Da ging ein Traum für mich in Erfüllung - ich wurde in den Nationalkader aufgenommen", freut sich die 20-Jährige.
Im selben Jahr macht sie ihr Abitur auf dem Willi-Graf-Gymnasium in Saarbrücken und fängt im August 2010 ihr Studium als Komissars-Anwärterin an der Fachhochschule in Göttelborn an. Dort ist Jessica Lindner auch in der Sportfördergruppe. "Deswegen kann ich das Studium und meinen Sport auch so gut verbinden", erklärt die Sportlerin, "die Fachhochschule unterstützt mich sehr."
2011 bekommt sie ein Angebot vom JSV Speyer, der in der Bundesliga regelmäßig vorne mitkämpft. Sie wechselt unter der Bedingung, dass sie Stammkämpferin in der Klasse bis 48 Kilogramm sein darf. Als der Verein ihr das bestätigt, nimmt sie auch den eineinhalb Stunden dauernden Fahrtweg, wie auch schon nach Offenbach, nach Speyer auf sich. "Judo ist zwar mein Leben, aber leben kann man davon nicht", gesteht Lindner und fährt sich durch die kurzen blonden Haare.
Ihre Trainingshallen wechselt die zierliche Judoka häufig. So kann sie auch mit Männern wie Hendrik Käufer, die mehr Gewicht auf die Matte bringen, trainineren. "Das bringt mich viel weiter, als wenn ich immer mit den selben Leuten trainieren würde", erklärt die Komissars-Anwärterin, die als Ausgleich zum Judo Fahrrad fährt. Außerdem trainiert sie die U11 und U 14 bei ihrem Heimverein, dem ATV Dudweiler, und ist Landestrainerin der U 14.
In der Bundesliga verpasste Lindner am vergangenen Wochenende durch eine 2:4-Niederlage mit dem JSV Speyer gegen KimChi Wiesbaden und einem 1:5 gegen den JC Leipzig knapp die Finalrunde. Lindner selbst zeigte gegen die amtierende deutsche Meisterin Sabine Goller eine starke Leistung und trotzte der ehemaligen Vize-Europameisterin ein Unentschieden ab.
Im kommenden Jahr will Lindner eine gute Platzierung bei den deutschen Meisterschaften im Januar 2013 erreichen. "Und wer weiß - vielleicht schaffe ich es ja tatsächlich zu den Olympischen Spielen 2016", erzählt sie von ihrem großen Traum. Ganz ausgeschlossen ist das nicht. Jessica Lindner hat ein Angebot bekommen, um in Paris zu trainieren. Der aus dem Saarland stammende Omar Gherram ist Trainer der diesjährigen Bronzegewinnerin aus Frankreich, Audrey Tcheumeo, bei den Olympischen Spielen. Er hat Lindner bei einem Judolehrgang in Saarbrücken gesichtet.
Doch das ist Zukunftsmusik. Jetzt geht es für Jessica Lindner erst einmal wieder auf die Matte in der Dudweiler Turmschule, denn ihre Kinder und ihr Kampfpartner Hendrik Käufer warten schon auf sie. Foto: SZ/ATV Dudweiler