Carsten Grammes engagiert sich fürs Bergbau-Erbe Der Umweg führte über die Kartografie

Klarenthal · Von der Physik zum Bergbau-Erbe: Carsten Grammes engagiert sich für das Erlebnisbergwerk Velsen.

 Carsten Grammes im einstigen Velsener Lehrstollen. Die historische Wetterlampe in seiner Hand ist ein Familienerbstück.

Carsten Grammes im einstigen Velsener Lehrstollen. Die historische Wetterlampe in seiner Hand ist ein Familienerbstück.

Foto: Oliver Dietze

Zum Gespräch im Erlebnisbergwerk Velsen hat Carsten Grammes eine Grubenlampe mitgebracht. Betagt, ein Familienerbstück. Voller Begeisterung berichtet er davon, welche High-Tech-Fähigkeiten das mehr als ein Jahrhundert alte Ding besitzt: Es ist eine Wetterlampe, mit der man unter Tage gefährliches Methangas aufspüren kann. „Je nach Gaskonzentration verändert sich die Flamme“, sagt Grammes. Und die sei dank der Lampenkonstruktion so gut abgeschirmt und gekühlt, dass man sie sogar in explosivem Gasgemisch einsetzen könne.

Erbstück? Eine Bergmannsfamilie? Grammes schüttelt den Kopf: Sein Großvater väterlicherseits, im Büro auf der Völklinger Hütte beschäftigt, hat die Lampe mal geschenkt bekommen. In der Familie der Mutter auf der Püttlinger Ritterstraße gab’s ein, zwei Generationen zuvor Bergleute. Danach nicht mehr. Er selbst, heute im Velsener Erlebnisbergwerks-Verein engagiert, hatte bis vor wenigen Jahren nie mit Bergbau zu tun.

Grammes, Jahrgang 1964 und in Riegelsberg zu Hause, hat in Saarbrücken Physik studiert und 1994 promoviert. Beruflich ist er im Software-Bereich zugange – beides weit entfernt vom Bergbau. „Der Umweg dorthin war die Kartografie“, sagt er. Die hat ihn schon als Kind fasziniert, „neben dem Karl-May-Schmöker lag immer der Diercke-Atlas“, erzählt er lachend. Das Interesse erwachte neu, als er das Internet-Projekt Open Street Map (OSM) entdeckte: Viele Autoren weltweit tragen im Netz Wissens-Mosaiksteinchen zusammen, „um die letzten weißen Flecken auf den Landkarten zu füllen“, hier ein Weg, dort ein Gebäude, da ein Bachlauf. Er machte mit.

Über die OSM-Community stieß er auf eine Geschichts-Karte, die historische Relikte verzeichnet. Grammes fing Feuer – zusammen mit zwei anderen Leuten trieb er das Projekt weiter. Zwischendrin gerieten ihm historische Bergbau-Karten in die Hand, die den Verlauf untertägiger Grubenbauten wiedergeben. In höchsten Tönen lobt er den königlich-preußischen Markscheider Moritz Kliver, der die Kohle-Region an der Saar von 1885 bis 1900 kartierte, 20, 25 großformatige Kartenblätter: „Extrem präzise“ habe der Bergbau-Mann gemessen.

Grammes fügte digitale und historische Karten zusammen. Und begann mit Wochenend-Ausflügen ins Gelände, alten Schächten und Stollen auf der Spur, quasi archäologisch. „Meine Kinder nennen das ‚Minensuche’“, berichtet er lächelnd. Er selbst sagt leicht ironisch: „Geocaching für Erwachsene.“ Klar, da sei Spieltrieb dabei. Aber: „Etwas zu entdecken, das es wirklich gegeben hat, ist doch viel spannender, als bloß Filmdosen zu suchen!“ Und als 2012 der Bergbau im Saarland zu Ende ging, nahm er sich vor, regionale Industriekultur-Zeugnisse zu „sammeln“. Möglichst vollständig.

Kontakte zu früheren Bergleuten entstanden. „Durch meine Recherchen zu Schächten und Stollen habe ich viel gelesen und mir den Ruf erworben, ganz gut Bescheid zu wissen“, sagt Grammes; er wurde herumgereicht, hielt Vorträge. Beim Warndt-Weekend entdeckte er Velsen. Und den Erlebnisbergwerk-Verein. Mit dem unternahm er 2016 seine erste Grubenfahrt, zur Wasserhaltung in Ensdorf – „ein Schlüsselerlebnis“, leibhaftige Untertage-Erfahrung. Und nun ist Grammes Vorstandsmitglied des Vereins.

„Ich mache Führungen, weil mir das Spaß macht“, sagt er.  Und vor allem will er dazu beitragen, den Standort Velsen insgesamt zu entwickeln, über das Bergwerks-„Museum“ hinaus. „Schauen Sie doch mal aus dem Fenster“, sagt er, „es ist ein Jammer, wie das da draußen alles verfällt. Daraus könnte man so viel machen! Denn es ist die einzige komplett erhaltene Grube aus preußischer Zeit.“

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