Die Armut wächst - der Staat kneift - Bürger helfen „Den Sozialstaat können wir so nicht retten“

Saarbrücken · Hunderte Privatleute lindern das Elend in Saarbrücken. Sie entlasten die Stadt, die ihrerseits Bund und Land entlastet.

 Bei der Saarbrücker Tafel in Burbach: Helferin Irina Taburinskaj aus der Ukraine verteilt Gemüse an die Kunden. 

Bei der Saarbrücker Tafel in Burbach: Helferin Irina Taburinskaj aus der Ukraine verteilt Gemüse an die Kunden. 

Foto: Iris Maurer

Viele Saarbrückerinnen und Saarbrücker  engagieren sich ehrenamtlich für arme Leute - und stopfen so weitere Löcher im sozialen Netz. Das entlastet die Stadt. Sonst müsste sie noch mehr an den Regionalverband (RV) überweisen, damit der dann Menschen unterstützen kann, die früher ihr Geld vom Bund bekamen.

Hier eine (unvollständige) Übersicht über diese ehrenamtlichen Aktionen: Der Verein Saarbrücker Tafel, Im Etzel 2, verteilt jede Woche rund 15 Tonnen Lebensmittel an etwa 4000 Menschen, darunter 1200 Stammkunden. Der Vorsitzende der Tafel, Uwe Bußmann, erläuterte der SZ: „1998 fingen wir an, um armen alten Frauen, zum Beispiel Kriegerwitwen mit kleinen Renten, zu helfen, die sich weder zum Sozialamt trauten noch ihren Kindern zur Last fallen wollten. Heute kommen ganze Familien zu uns, Opas, Väter und Enkel, die nie etwas anderes kannten als ein Leben in Armut. Angetreten waren wir mit dem Anspruch, Lebensmittel zu retten und damit Menschen zu unterstützen. Inzwischen arbeiten wir an gegen die Folgen der Massenarmut. 42 000 Stunden erbrachten unsere Ehrenamtlichen allein 2015. Aber den Sozialstaat können wir so nicht retten.“

Die Kleiderkammer der Diakonie in der Johannisstraße sammelte allein 2017 bislang rund 55 Tonnen Kleidung und Hygieneartikel. Pro Monat kommen etwa 250 Kunden. Für drei Euro gibt’s in der Kammer drei Kilo Ware.

Zwei weitere Kleiderkammern sind in Dudweiler. Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) betreibt die eine in der Gärtnerstraße 1. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) betreibt die andere (eine von landesweit 28) im Hofweg 82 – eine wetterfeste Jacke kostet dort zwei Euro.  Die Besucherzahlen der Kammern stiegen drastisch, als Vater Staat den Bekleidungszuschuss strich.

Seit 48 Jahren laden die Kirchen einsame und sozial benachteiligte Menschen ein, um mit ihnen Weihnachten zu feiern. Früher war die Feier unter anderem im evangelischen Gemeindezentrum St. Johann oder im Burbacher Martin-Luther-Haus. Damals kamen meist etwa 300 Menschen.

Aber weil die Armut wuchs, sind es inzwischen rund 800 Kinder, Frauen und Männer, die der Einladung folgen. Daher ist die Feier seit 2008 im Burbacher E-Werk. Die Stadt stellt das Gebäude kostenlos zur Verfügung.

Wenn die Kälte unerbittlich wird, suchen täglich bis zu 100 Menschen Schutz und eine warme Mahlzeit in der Wärmestube für Obdachlose. Deren Geschichte begann 1995 im Keller der Alten Kirche St. Johann. Seit 1998 ist die Wärmestube in der Trierer Straße 64. Ein Verein finanziert das Ganze aus Spenden - die Stadt gibt einen Zuschuss.

Seit dem Winter 2014/15 bietet der Verein „Hilfe für obdachlose Menschen im Winter“ mit seinem Kältebus Obdachlosen eine Zuflucht an. Im Winter 2016/17 wuchs die Besucherzahl um etwa 40 Prozent.

Der Verein  „Ingos kleine Kältehilfe – Hand in Hand – Hilfe für Menschen in Not“ schenkt nun bereits im zweiten Winter täglich ab 21 Uhr vor der Europa-Galerie heiße Getränke aus und verteilt Eintopf, Süßigkeiten oder belegte Brote.

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