Rassismus „Empathie kann und muss man lernen“

Saarbrücken · Justin Hayo erlebt täglich Rassismus in Saarbrücken. Nun hat er sich mit einem Video an die Öffentlichkeit gewandt.

Justin Hayo am St. Johanner Markt, wo der rassistische und sexistische Übergiff auf zwei junge Frauen am Samstagabend statt fand.

Foto: Sarah Tschanun

Unter Tränen schildert ein junger Mann einen Angriff auf zwei junge Mädchen mitten in der Saarbrücker Innenstadt am vergangenen Samstagabend: Eine Gruppe von zirka acht Männern streitet mit den jungen Frauen. Eine der beiden wird aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe als „Neger“ beschimpft. Dann werden die Männer handgreiflich und begründen dies mit dem Spruch: „Du siehst doch aus wie ein Junge. Also solltest du auch einstecken können wie einer.“ Offensichtlich eine Anspielung auf ihre kurzen Haare. Eine Szene wie sie von vielen Menschen höchstens in rechtsradikalen Kreisen erwartet wird, „doch da täuschen sie sich gewaltig“, erklärt Justin Hayo, der junge Mann, der das Video auf Instagram gemacht hat. Er selbst erlebt täglich Rassismus in Saarbrücken und kann nicht fassen, dass niemand etwas dagegen tut.

„Es sind mindestens acht Unbeteiligte daran vorbei gelaufen. Niemand hat etwas getan, um den Mädchen zu helfen. Was ist das für eine Welt in der wir leben, in der niemand hinschaut und niemand etwa“ tut?“

Justin Hayo ist 22 Jahre alt, lebt in Saarbrücken und studiert hier Lehramt Musik und Sport. Er singt in verschiedenen Bands und und hält nebenher Unterricht an einer Schule. Sein Video ist bereits bis nach Berlin vorgedrungen, wo er noch diese Woche mit einem Senats-Kandidaten sprechen kann. Die Menschlichkeit, die er in dem Video zeigt, scheint viele berührt zu haben. „Ich glaube gerade durch meine eigenen schmerzhaften Erfahrungen, habe ich Sensibilität für alle Arten von Ausgrenzung entwickelt.“ Der hochgewachsene, sportliche Mann hat einen klaren Blick und steht zu seinen Gefühlen: „Das was ich im Video endlich mal der Öffentlichkeit zeige, geschieht täglich in Saarbrücken. Solche Beleidigungen hinterlassen so viel Schmerz, egal ob sie rassistisch oder sexistisch sind.“

Er stellt sich an dem Abend nicht nur schützend vor die Mädchen, obwohl er sich so selbst dem Rassismus aussetzt. Er tröstet auch die junge Frau, die weinend zusammenbricht. „Ich wusste wirklich nicht mehr, was ich von den Menschen halten soll. Ich wollte in diesem Moment auch weinen. Aber ich konnte nicht“, erzählt er auch in dem Video. Er ergänzt: „Da habe ich bemerkt, dass auch ich mir mittlerweile abgewöhnt habe, diesen Schmerz offen zu zeigen, mir vermeintlich meinen Gerechtigkeitssinn nicht mehr leisten kann. Und Anpassung auch äußerlich betreibe, um keine Angriffsfläche zu bieten. Dabei ist ja nicht die Andersartigkeit falsch, sondern, dass diese von den Leuten verurteilt wird.“

Auch die Polizei haben die jungen Mädchen gerufen, doch ob der Vorfall wirklich weiterverfolgt wird, bezweifeln diese. „Nie würde ich Polizisten verurteilen. Das sind alles Menschen, genau wie ich. Was geändert werden müsste, ist die Ausbildung. Hier müsste viel stärker sensibilisiert werden für zum Beispiel Rassismus oder Sexismus. Nur wer gelernt hat, elbstreflexiv und empathisch zu sein, kann dies auch in seinem Job anwenden. Empathie kann und muss man lernen.“ Damit müsse in jedem Bildungsbereich angefangen werden, vor allem in der Schule. Dort solle man auch lehen, wie andere Kulturen leben und wie man sich mit anderen Kulturen verbunden fühlen kann. Justin Hayo musste einigen Mut aufbringen, das Video zu posten, schließlich zeigt er Tränen. Für viele oftmals noch immer eine große Überwindung, was  verdeutlicht, wie stark veraltete Männer- und Frauenbilder in unserer Gesellschaft vorherrschen und, dass Gefühle zeigen noch immer mit Schwäche verbunden wird. Woher kommt das? „Angst scheint das große Problem zu sein. Angst vor der Andersartigkeit von Menschen. Angst, vielleicht auch den Schmerz von anderen zu fühlen und dadurch auch mit dem eigenen Schmerz in Berührung zu kommen.“

Für alle, die sagen, man kann nichts an diesen Gesellschaftsstrukturen ändern, sagt er: „Doch, man muss aber immer bei sich selbst anfangen, ehrlich zu sich sein. Auch ich kümmere mich jeden Tag darum, wie ich mit anderen umgehe, wie ich spreche.“ Hayo hat nun mit Freunden das Change-Network (auf Instagram unter change_network) gegründet: „Wir arbeiten hier sehr systematisch. Haben verschiedene Ressorts mit verschiedenen Schwerpunkten. Wir haben bereits Konzepte und Handlungsempfehlungen erarbeitet, die im Grunde nur noch umgesetzt werden müssen.“ So könne sich kein Politiker mehr herausreden. „Auf der Black Lives Matter Demo Beileid aussprechen, kann jeder. Aber zugeben, dass auch jeder Politiker mitverantwortlich ist für den Zustand der Gesellschaft, das traut sich keiner.“ Auch fordert er mit dem Change-Network eine Beteiligung des Integrationsbeirates an politischen Entscheidungen.

„Ich habe seit dem Video um die 1500 Nachrichten täglich bekommen, alle positiv. Oft erzählen mir Menschen ihre Leidensgeschichten. Die lese ich alle, auch wenn es zu viele sind, um allen zu antworten.“ Zum Schluss sagt er: „Wir müssen uns selbst immer an unsere eigenen Privilegien erinnern. Ich meine ich bin ein Mann, habe es also ‚nur’ mit Rassismus zu tun. Wie geht es aber einer schwarzen Frau oder einem Homosexuellen, einem Transgender-Menschen, der dunkelhäutig ist. Die Verzweiflung, die viele fühlen, muss jetzt endlich in Hoffnung umgewandelt werden.“