Saartalk Was tun gegen Hetze im Internet?

Saarbrücken · Journalistin Anja Reschke, Sänger Sebastian Krumbiegel, Schul-Direktor Oliver Schales und Wissenschaftler Thomas Kleinbauer über Hasskriminalität.

  Sprachwissenschaftler Thomas Kleinbauer (v.l.), NDR-Journalistin Anja Reschke, Sänger Sebastian Krumbiegel und Oliver Schales, Direktor des Johanneums in Homburg, im Gespräch mit SR-Chefredakteurin Armgard Müller-Adams (Dritte von rechts), SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst (Zweiter von links) und Unser-Ding Moderator Jonas Degen (hinten).

Sprachwissenschaftler Thomas Kleinbauer (v.l.), NDR-Journalistin Anja Reschke, Sänger Sebastian Krumbiegel und Oliver Schales, Direktor des Johanneums in Homburg, im Gespräch mit SR-Chefredakteurin Armgard Müller-Adams (Dritte von rechts), SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst (Zweiter von links) und Unser-Ding Moderator Jonas Degen (hinten).

Foto: Iris Maria Maurer

Insgesamt 30 Anzeigen wegen Hasskriminalität im Netz sind bei der Saar-Polizei 2018 eingegangen. Bundesweit waren es im vergangenen Jahr rund 2000. Was also tun gegen die wachsende Intoleranz und Gewaltbereitschaft im Internet?, fragte Armgard Müller-Adams, die neue Chefredakteurin des Saarländischen Rundfunks. Jetzt moderierte sie erstmals mit Peter Stefan Herbst, Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, den „Saartalk“ in neuer Kulisse. Mit der NDR-Journalistin Anja Reschke, Sänger Sebastian Krumbiegel von den Prinzen, Oliver Schales, Direktor des Johanneums in Homburg, und Thomas Kleinbauer, Sprachwissenschaftler der Saar-Uni, diskutierten sie über Hetze im Netz.

„Dagegenhalten, Mund auf machen, Haltung zeigen“, hatte Anja Reschke in ihrem Kommentar zur Flüchtlingskrise in den Tagesthemen 2015 gesagt. Dafür hatte die Journalistin zwar viel Zuspruch, aber auch viele Hasskommentare erhalten wie „Du pro schwarz-islamische Asylhure“. „Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, dass der Kommentar überhaupt was auslösen würde, weil ich es für selbstverständlich halte“, sagte Reschke nun im „Saartalk“. Solch heftige Kommentare machten ihr aber weniger aus denn Zuschriften, in denen es heißt „Ich bin kein Rassist, aber...“, oder „Ich bin kein Nazi, aber...“. „In der breiten Gesellschaft, der Mitte der Gesellschaft verankerter Fremdenhass ist das, was mich viel mehr berührt. Rechtsanwälte, Ärzte, Parlamentarier... Die müssten es besser wissen“, sagte Reschke.

Sebastian Krumbiegel, der Sänger der Prinzen, stammt aus Sachsen. Er ist regelmäßig mit Hasskommentaren konfrontiert – auch, weil er sich auf seinem Facebook-Account gegen Hetze stark macht. Sein aktuelles Lied heißt „Die Demokratie ist weiblich“ – eine Ode an die Demokratie. In dem Video für die Single spielt übrigens Journalistin Reschke mit. Schwierig sei es zu sagen, worauf Hass-Kommentare gründen, sagte Krumbiegel. „Sie kommen wohl aus den Köpfen von Menschen, die nichts besseres zu tun haben, als sich im Internet an den Dingen abzureagieren, die sie nerven.“ Das Problem sei aber, dass es letztlich um klare politische Themen gehe, die von Rechtsextremen vorgegeben würden. „Es geht um Flüchtlinge, Frauen, Feminismus, Klimawandel. Ganz viele Dinge, bei denen Menschen das Gefühl haben, es verändert sich was oder sie verlieren vielleicht einen Status, ihre Privilegien“, sagte Reschke.

Sollte man dann Rechtspopulisten überhaupt ein Podium bieten?, fragte SZ-Chefredakteur Peter Stefan Herbst. „Wenn man diese Leute in Talkshows lässt, macht man einen Fehler“, sagte Krumbiegel. Reschke sah diese Frage etwas differenzierter. Die Öffentlich-Rechtlichen seien in einem Dilemma – weil beispielsweise die AfD im Bundestag und vielen Landtagen sitzt, und „wir ein System haben, das durch Beiträge von allen bezahlt wird und auch für alle sendet“. Daher müsse man sich mit den Rechtspopulisten auseinandersetzen. „Ich finde es wichtig, sie journalistisch zu befragen.“

Hass und Hetze habe es schon immer gegeben, sagte Krumbiegel. Durch das Internet werde es aber „potenziert“. Auch durch Berufung auf die Meinungsfreiheit. „Oft wird Meinungsfreiheit falsch gedeutet. Es ist keine Meinungsfreiheit, wenn man den Holocaust leugnet, wenn man ‚Heil Hitler’ sagt, wenn man rassistisch, sexistisch und menschenfeindlich verbal agiert“, sagte Krumbiegel. Vermeintliche Anonymität im Netz verstärke das Problem. Viele hätten das Gefühl, wenn sie etwas anonym schreiben, sei es gar nicht so schlimm.

Anonymität im Internet ist etwas, das auch Jugendlichen zu schaffen macht. Recherchen des Unser-Ding Moderators Jonas Degen zufolge nutzen nur noch 35 Prozent der 14- bis 19-Jährigen Facebook. Whatsapp ist mit rund 90 Prozent Spitzenreiter – noch. Denn immer stärker im Kommen ist „Tellonym“: Eine Kommunikationsplattform, die ohne Namen, dafür aber mit Pseudonymen funktioniert. Mitschüler können so vollkommen anonym gegen Klassenkameraden hetzen. Lästern über das Aussehen, die Kleidung, Gerüchte verbreiten bis hin zu manipulierten Nacktfotos – davon berichteten Schüler des Gymnasiums Johanneum in Homburg in einem Einspieler. Für die Schüler in dem Alter sei es so wichtig, wie sie in ihrer Gruppe ankommen, sagte deren Direktor Oliver Schales am Donnerstag im Saartalk. Sie suchen nach Bestätigung, die sie auf ganz andere Weise auf dieser Plattform bekommen. „Und es bleibt anonym. Dann geht es los, mit der Verrohung der Sprache.“ Tellonym werde jetzt Thema an seiner Schule. „Denn so etwas darf keinen Platz haben an unserer Schule.“

Ebenso wenig die Verrohung der Sprache. Whatsapp-Gruppen von Klassen seien per se nichts Schlechtes, sagte Schales. Es sei ein Medium, mit dem die Schüler aufwüchsen. „Milliarden werden in die Digitalität investiert.“ Für ihn als Schulleiter und für die Lehrer gelte es daher, die Balance zu finden. Man möchte eine digitale Schule sein, aber es müsse klar kommuniziert werden: „Wenn jemand massiv in der Gruppe beleidigt, ist er raus.“ Schales appellierte allerdings auch an die Eltern. Denn Beleidigungen auf Whatsapp oder Tellonym geschehen auch am Wochenende, zuhause. „Wir können das alleine nicht als Schule lösen. Wir brauchen auch Medienexperten bei den Eltern. Es ist kein schulisches, sondern ein gesellschaftliches Problem.“

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sieht im Übrigen vor, dass Einträge gelöscht werden, wenn man sich beschwert. Facebook hat 2018 zum Beispiel ein Drittel der beanstandeten Posts gelöscht – aber erst nach einer Prüfung, sagte Unser-Ding Moderator Jonas Degen, der für den „Saartalk“ einige Fakten zur Problematik recherchierte. Thomas Kleinbauer, Sprachwissenschaftler und Sprachtechnologe an der Saar-Uni, arbeitet an einer Software, die Hassreden erkennt, auch wenn „klassische“ Reiz- und Schimpfwörter nicht verwendet werden. „Zusammen mit Kollegen aus Mainz und Frankreich arbeiten wir an einem Projekt, das speziell vor dem Hintergrund der Migration versucht, Methoden der Künstlichen Intelligenz anzuwenden, um auch komplexere Fälle zu erkennen, die nicht durch Schlagworte gekennzeichnet sind.“ Zum Teil komme es auch auf den Kontext an. Was als Hass-Posting zählt, liege manchmal auch im Auge des Betrachters, sagte Kleinbauer. Die Software könne dahingehend eine Hilfe sein, dass nicht eine Person sich beschweren muss, sondern die Künstliche Intelligenz auf eine vermeintlich kritische Äußerung aufmerksam machen könne.

Am Ende der Sendung baten die Chefredakteure Armgard Müller-Adams und Peter Stefan Herbst ihre Gäste, kreativ zu werden. „Wenn Facebook ein Tier wäre, welches wäre es?“ Die Gäste waren sich einig: Alle vier zeichneten eine Krake – eine Daten-Krake.

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