Autorinnen und Autoren in der Region Einer, der nicht gerne etwas von sich preisgibt

Saarbrücken · Andreas Dury ist vielseitig als Autor und im Leben. Er hat erkennbar Philosophie studiert, aber auch eine Ausbildung zum Programmierer gemacht.

 Andreas Dury im Saarländischen Künstlerhaus, wo auch der Saarländische Schriftstellerverband zuhause ist, dessen Vorstand Dury angehört.

Andreas Dury im Saarländischen Künstlerhaus, wo auch der Saarländische Schriftstellerverband zuhause ist, dessen Vorstand Dury angehört.

Foto: krämer/Kerstin Kraemer +49/(0)177-196

Andreas Dury ist keiner, der im Gespräch leichtfertig Antworten gibt. Jede Replik ist wohl durchdacht und zeugt, wenn auch unprätentiös, von profundem Intellekt: Dury hat in Tübingen, München und Berlin Philosophie, Geschichte und Germanistik studiert, außerdem eine Ausbildung als Programmierer absolviert. Oft spricht er von Symbolen und meint damit gewisse Standards, auf deren Bedeutung sich eine Gesellschaft verständigt hat.

Eben diese Standards sieht Dury aktuell in Gefahr, Stichworte: Fake News und Verschwörungs-Mythologen. „Ich finde es faszinierend, wie die Nachrichtenlage in Zeiten von Trump und Corona ihre Plausibilität verloren hat“, sagt Dury. „Die Stabilität zwischen Wirklichkeit und Symbolen ist ständig gefährdet, die Welt ist wahnsinnig komplex geworden.“

Ergeben sich damit Aufgaben für ihn als Schriftsteller, bürdet ihm das eine Verantwortung auf? Dury winkt ab. „Ich glaube, es wäre ein Fehler zu denken, man könnte mit Kunst oder Literatur die Welt erklären.“ Im weitesten Sinne sei Schreiben ein Mittel zur Selbsterkenntnis.

Aber im Prinzip gelte das für jede Tätigkeit, argumentiert er und bringt das Beispiel des Sportlers, der an seine Grenzen geht, um die eigene Leistungsfähigkeit zu testen. Warum und worüber schreibt er nun also? Auch da macht es Dury sich und seinem Gegenüber nicht leicht: „Ich habe keine übergeordneten Themen. Ich habe in meinem Leben schon verschiedenen Poetologien angehangen, doch das hat sich immer wieder geändert.“

Aber, ergänzt er und sieht schlagartig sehr bestimmt aus: „Wenn ich schreibe, habe ich das Gefühl, es ist das Beste, was ich tun kann.“ Zurzeit schreibt Dury allerdings nur Computercodes, weil er im Corona-Jahr mal wieder einen Programmier-Auftrag angenommen hat, der ihm die Zeit wegfrisst. „Ich neige dazu, mich in etwas zu verbeißen“, erklärt der Autor, der sein Brot im Wesentlichen als Dozent für Deutsch als Fremdsprache in der Erwachsenenbildung verdient.

Ein Leben als hauptberuflicher Schriftsteller kann Dury sich nicht vorstellen: „Ich brauche immer wieder Phasen der Auszeit, um mich neu zu orientieren.“

Geboren wurde der Wahlsaarbrücker 1961 im oberbayrischen Penzberg, aufgewachsen ist er im pfälzischen Dahn. Im Alter von fast 30 Jahren fing er an, Geschichten zu schreiben unter dem Einfluss eines existenzialistisch bewegten Freundes, seines Zeichens Mitherausgeber von „Minerva – Zeitschrift für Notwehr und Philosophie“. Für dieses „Fachschaftsblatt in Anarchozeiten“, wie Dury augenzwinkernd anmerkt, war er selbst vier Jahre lang als Redakteur tätig.

Zum Schlüsselerlebnis wurde der Besuch bei einer Schriftstellergruppe in Leningrad, der 1990 eine Gegenvisite nach sich zog. Denn infolge der Freundschaft mit Autorinnen und Autoren, die diese Gelegenheit nutzten, um in Deutschland zu bleiben, fing Dury an, „ernsthafter und regelmäßiger“ zu schreiben.

Seither hat er allein fünf Bücher veröffentlicht. Gleich sein literarisches Debüt, der Erzählband „... als ich in die Stadt kam“ (1999), brachte ihm den wohldotierten Georg-K.-Glaser-Preis ein – neben dem Kunstpreis des Landes die bedeutendste literarische Auszeichnung, die Rheinland-Pfalz zu vergeben hat. Danach gewann Dury noch zwei weitere Preise und war 2010 zumindest nominiert, kurioserweise ebenfalls alles in der Pfalz.

Mittlerweile hat er schon lange an keinem Wettbewerb mehr teilgenommen, dafür gehört er der Jury des Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreises der Stadt Saarbrücken an. Außerdem ist er seit 2001 Vorstandsmitglied im Saarländischen Schriftstellerverband (VS Saar) und sitzt, nach sechs Jahren Pause, wieder in der Redaktion der vor 30 Jahren gegründeten saarländischen Literaturzeitschrift „Streckenlæufer“, deren Mitherausgeber er von 2001 bis 2014 war.

„Ich bin ein ernsthafter Schriftsteller“, erklärt Dury. Auch wenn er zum Lachen nicht in den Keller geht und durchaus eine Schwäche für Komisches und Absurdes hat: Rund 30 Anfangsseiten eines so gearteten Romans harren in einer Schublade ihrer Vollendung. Ob er allerdings das, was ihm da vorschwebt, auch „zu Ende kriegen kann“, weiß Dury noch nicht: „Ein Roman hat normalerweise gewisse Gesetzmäßigkeiten; bei einem weniger realistischen, absurdistischen Text ist das nicht der Fall.“

Überhaupt dauere es mitunter lange, bis er die adäquate Form finde, etwas schriftlich zu fixieren: Oft trage er einen Gedanken, eine flüchtige Alltagsbeobachtung Jahre mit sich herum, erläutert Dury, der beim Schreiben aus eigener Lebenserfahrung schöpft und auf „erlebte Charaktere“ zurückgreift.

In seinem ersten Roman „Schachtelkäfer“ (2003) etwa begegnet man dem verschrobenen Jakob und dessen genetisch kranken Sohn. Komödie? Familiendrama? Krimi über Organhandel? Dury: „Für mich ist es ein existenzielles Drama auf dem Horizont der Fragestellung, wie viel ich von mir preisgeben kann, ohne mich selbst zu verlieren.“

„Realismus“, meint Dury in anderem Kontext, „ist ja nur ein Jargon, der uns Wirklichkeit vorgaukelt. Diese angebliche Selbstverständlichkeit möchte ich unterlaufen.“ Sein episodenhaftes Buch „Ich und Ben“ (2012) will Dury ebenfalls ausdrücklich nicht als Entwicklungsroman verstanden wissen. Denn einerseits verweigere es sich der Form des Romans, indem es wie eine Sammlung von Kurzgeschichten daherkomme. Andererseits sei es den beiden Hauptfiguren – er skizziert einen mit seinem Sohn haltlos umher stolpernden Vater – aus verschiedenen Gründen nicht vergönnt, „auf der Leiter des Lebens nach oben zu kommen“.

Der Roman „Der Chor der Zwölf“ (2017) wiederum erzählt von einem Informatiker, der an einem Computersystem arbeitet, das eine Form von künstlicher Intelligenz hervorbringen soll – quasi eine virtuelle Kopie von Wirklichkeit.

Das Hinterfragen von Realität und Normen, Codes, scheiternde Väter – vielleicht hat Dury mehr übergeordnete Themen, als er selbst ahnt. In jedem Fall hat er Dämonen. Davon zeugt die Überschrift, unter der er auf seiner Homepage eine Auswahl seiner Erzählungen und einzelner Roman-Kapitel eingestellt hat. Hier trifft man Personen, die von ihren Ängsten, Obsessionen oder Träumen gemartert werden oder selbst zu einer Peinigung oder zumindest gefühlten Bedrohung für ihr Umfeld werden.

Durys literarische Sprache ist komplex: mal geradezu rustikal unmaniriert, konkret, schnörkel- und schonungslos; dann wieder verschachtelt, bilderreich, poetisch überbordend, fantastisch. Als jüngste Publikation erschien im Februar vor dem Lockdown die Erzählung „Alenka lacht“ im „Streckenlæufer“ Nr. 35. Darin schildert Dury, wie sich ein recht ungeschlachter Ausbeiner aus erotischer Besessenheit und in hilfloser Verdrängung der Tatsachen erst spät dagegen zu wehren sucht, dass ihn eine Frau mit einer (angeblich) ungerechtfertigten Vaterschaftsklage finanziell ruiniert. In gewisser Weise, könnte man meinen, schon wieder so ein an der Wirklichkeit und seinem Sohn versagender Vater.
www.andreasdury.de

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