Drama Saarbrücker Schauspielschüler mit Biss

Saarbrücken · Die Jugendklasse der Schauspielschule „acting and arts“ spielte Frank Wedekinds Skandal-Stück „Frühlingserwachen“.

  Antonia Netter und Samuel Murer überzeugten als Herr und Frau Gabor.

Antonia Netter und Samuel Murer überzeugten als Herr und Frau Gabor.

Foto: Jean Laffitau/jean m. laffitau

Als Nancy Fischer, Jugenddozentin der privaten Schauspielschule „acting and arts“, ihrer Jugendklasse III mit 16- bis 19-Jährigen vorschlug, Frank Wedekinds skandalöses und seinerzeit verbotenes Stück „Frühlingserwachen“ zu inszenieren, zeigten diese sich wenig begeistert. Doch Fischer hielt an dem Stück fest, schließlich seien die letzten Produktionen der Jugendklasse stets zeitgenössische Stücke gewesen, mit „Frühlingserwachen“ wollte sie sich wieder mehr klassischen Stücken zuwenden, mit der altertümlichen Sprache des Stückes „das Niveau noch einmal anheben“, sagt sie.

Vom anfänglichen Widerwillen der Jungendlichen ist bei der Premiere vor  vollem Haus vergangenen Dienstag nichts mehr zu spüren. Im Chor beginnen sie Psalm 1 zu rezitieren: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf dem Weg der Sünder, noch sitzt, wo die Spötter sitzen.“ Den Blick starr in die Ferne gerichtet, knallen sie ihre Stühle im Rhythmus auf den Boden, verleihen ihren Worten Nachdruck. Sie wirken entschlossen, zu allem bereit. Passender könnte dieses Stück wohl nicht eingeleitet werden, schließlich befinden sich auch die Figuren dieses Stückes im ewigen Spannungsfeld zwischen falsch und richtig, zwischen gut und böse, zwischen dem, was die Gesellschaft einem vorschreibt und dem was man selbst will.

So heißt es gen Ende des Stückes: „Unter Moral verstehe ich das reelle Produkt zweier imaginärer Größen. Die imaginären Größen sind: Sollen und Wollen. Das Produkt heißt Moral und lässt sich in seiner Realität nicht leugnen“ – und das erfahren die Figuren am eigenen Leib. Die junge Wendla Bergmann bekommt ein langes, züchtiges Kleid genäht, will aber viel lieber, ungeachtet ihrer eigenen körperlichen Entwicklung, noch einmal das kurze Kleid aus dem letzten Jahr tragen. Hauptfigur Moritz Stiefel soll noch nichts über Sexualität wissen, wollen tut er es trotzdem. Angesichts der liberalen Erziehung seiner Eltern, weiss Melchior Gabor genau Bescheid, und obwohl er nicht soll, klärt er seinen Schulfreund Moritz Stiefel in einem langen Brief samt Illustrationen auf. Auch Hänschen Rilow und Ernst Röbel sollen sich nicht lieben. Sie tun es trotzdem. Und Frau Bergmann würde ihrer Tochter gerne erklären, wie das mit dem Kinder kriegen funktioniert, die sittliche Ordnung verbietet es ihr allerdings. Auch wenn einige, wenige Figuren gerade noch so davonkommen, fordert die spießbürgerliche Moral ihre Opfer: Angesichts der Tatsache, dass er nicht versetzt wurde, nimmt Moritz Stiefel sich das Leben. Wendla wird schwanger – und stirbt an den Folgen der Abtreibung, zu der ihre Mutter sie drängt. Und Melchior Gabor landet aufgrund seines schmutzigen Traktates in der Korrektionsanstalt.

Mit den Themen erste Liebe, Schulprobleme und sexuelle Orientierung ist Frühlingserwachen nicht nur immer noch hochaktuell, sondern auch im konkreten Erlebnishorizont der Schauspielklasse verortet. Auch das mag – neben schauspielerischem Talent und gutem Unterricht -  dazu beigetragen haben, dass sie ihre Rollen derart überzeugend spielen.

Nicolas Hübschen als Moritz Stiefel bringt nicht nur durch immense Stimmgewalt, sondern auch durch viel Mimik und gelebte Raserei die Verzweiflung einer ausweglosen Lebenssituation rüber. Anastasia Rashkovych als Wendla Bergmann fesselt mit einer unfassbaren Bühnenpräsenz und einem Blick, der Stück für Stück die Verwandlung vom kleinen Mädchen zur jungen Frau widerspiegelt.

Und Alessio Ruvio als Melchior Gabor gibt mit jeder Menge Gestik und Mimik Einblicke in die in seiner Figur angelegte Ambivalenz. Doch auch die übrigen Jugendlichen spielen professionell – selbst (homosexuelle) Küsse, Masturbation und Sex bringt die Gruppe auf die Bühne, und alles ohne einen Hauch von Peinlichkeit. Dass alle noch Jungschauspieler sind, mag man kaum glauben.

 Lebhaft: Nicolas Hübschen (links) gab den Moritz Stiefel, Alessio Ruvio spielte Melchior Gabor.

Lebhaft: Nicolas Hübschen (links) gab den Moritz Stiefel, Alessio Ruvio spielte Melchior Gabor.

Foto: Jean Laffitau/jean m. laffitau

„Frühlingserwachen“ wird am Mittwoch und Donnerstag, 11. und  12. September, in der Schauspielschule aufgeführt. Beginn ist jeweils um 19 Uhr. Schulklassen ab zehn Personen zahlen sechs Euro Eintritt.

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