Info-Strecke zum Durchklicken 5 Gründe, warum wir uns um das Saarland Sorgen machen müssen
Die Bevölkerung schrumpft und altert
Innerhalb von nicht einmal einer Generation hat das Saarland etwa 100 000 Einwohner verloren. Das entspricht ungefähr der aktuellen Bevölkerungszahl des Landkreises Merzig-Wadern. Ohne die 24 000 Syrer und die 17 000 Bulgaren, Polen, Rumänen und Ungarn, die seit der Jahrtausendwende zu uns gekommen sind, wäre die Bevölkerungsentwicklung noch dramatischer. Die Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes aus dem vergangenen Jahr geht bis 2060 von einem Rückgang der Einwohnerzahl von aktuell etwa 985 000 auf nur noch 770 000 bis 809 000 Millionen aus.
Die Bevölkerung im Saarland schrumpft nicht nur, sie altert auch – und das in einem rasanten Tempo. Trotz der vielen überwiegend jungen Migranten stieg das Durchschnittsalter zwischen 1999 und 2019 von 41,9 auf 46,4 Jahre. Die Saarländer sind im Schnitt somit fast zwei Jahre älter als die Bundesbürger.
Diese Entwicklungen sind aus mehreren Gründen problematisch. 1) Der Wirtschaft gehen die Fachkräfte aus. Das betrifft die Industrie, aber auch die Pflege, in der in Zukunft angesichts des Älterwerdens ein enormer zusätzlicher Personalbedarf entstehen wird. 2) Ein stärkerer Rückgang der Einwohnerzahlen als im Rest der Republik bedeutet weniger Steuereinnahmen des Landes und der Kommunen – bei gleichbleibend hohen oder sogar steigenden Ausgaben für die Unterhaltung und Sanierung der öffentlichen Infrastruktur. Ein Land mit schlechter Infrastruktur allerdings ist unattraktiv für Fachkräfte von außen – ein Teufelskreis.
Die Industrie des Landes kämpft
Der „harte Strukturwandel“, von dem die Landesregierung spricht, greift längst die Substanz der saarländischen Industrie an. Diese ist nach wie vor der Kern der Saar-Wirtschaft, es wird recht gut verdient, auch zahlreiche Jobs im Dienstleistungsbereich hängen von ihr ab. Umso bedrohlicher sind die Entwicklungen, denen sich die Automobilindustrie (47 000 Arbeitsplätze) und die Stahlindustrie (13 000 Arbeitsplätze) gegenübersehen. Seit 2018 häufen sich die Hiobs-Botschaften.
Die Automobilindustrie im Saarland, die zu einem großen Teil an der Verbrenner-Technik hängt, die nach dem Willen großer Teile der Politik ein Auslaufmodell sein soll, steht wegen des Ausbaus der Elektromobilität unter Druck. Niemand weiß, wie es nach 2024 mit dem Ford-Werk in Saarlouis weitergeht. Eine Schließung wäre für das Land ein Albtraum. Die Stahlindustrie leidet unter Billigstahl aus Fernost und als großer CO2-Emittent zudem unter den Klimaschutzvorgaben der EU. Damit sie überleben kann, muss sie auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden. Dafür sind Milliarden notwendig und Unmengen an elektrischem Strom.
Nicht nur die ökologische Transformation bedroht im Saarland Jobs, auch die Digitalisierung. Weil es hier viele Arbeitsplätze in Fertigungsberufen gibt, ist der Anteil der Arbeitsplätze, die mittel- bis langfristig durch einen Computer ersetzt werden könnte, sehr hoch (30 Prozent). Künstliche Intelligenz und Cyber-Sicherheit, Hoffnungsschimmer für den Strukturwandel, sollen das Saarland retten. Doch nicht jeder taugt zum Informatiker.
Das nötige Geld für Investitionen fehlt
Das Saarland hat bei der Sanierung von Schulen, Hochschulen, Straßen oder Kliniken einen erheblichen Nachholbedarf. Hinzu kommt, dass es eigentlich viel Geld in die Hand nehmen müsste, um die Abhängigkeit von Auto und Stahl zu reduzieren und mit attraktiven Angeboten den Bevölkerungsrückgang zu stoppen. Geld, das nicht da ist. Allein die Saar-Uni beziffert ihren Sanierungsstau auf rund 400 Millionen Euro – das entspricht nahezu dem gesamten Investitionstetat des Landes für ein Jahr. Besonders arm dran, im wahrsten Sinne des Wortes, sind die Kommunen. Allein bei den Schulen ist nach Zahlen der KfW-Bank von einem Sanierungsstau von über 500 Millionen Euro auszugehen, von Schwimmbädern und Turnhallen ganz zu schweigen. Bislang ist dafür keine Lösung in Sicht. Wie will man da Fachkräfte begeistern, ins Saarland zu ziehen?
Mit dem Corona-Nachtragshaushalt nimmt das Land zwar nun erkleckliche Gelder in die Hand und investiert zum Beispiel in Digitalisierung und Kliniken. Dem stehen jedoch erhebliche Tilgungsverpflichtungen über 30 Jahre gegenüber – Geld, das für Investitionen fehlen wird.
Der ab 2020 geltende Bund-Länder-Finanzausgleich hat die finanziellen Spielräume des Landes zwar deutlich erweitert. Der Rechnungshof kommt auf jährlich 229 Millionen Euro, abzüglich 80 Millionen für die jährliche Schuldentilgung, 50 Millionen für die Kommunen (Saarlandpakt) und 47 Millionen für die Tilgung der Corona-Schulden. Bleiben also 52 Millionen Euro im Jahr. Besser als nichts, aber eben längst nicht genug.
Die Armut verfestigt sich
Die Weichen zur Bekämpfung der Armut werden in Berlin gestellt. Dies darf jedoch nicht dazu führen, die Augen vor einer besorgniserregenden Entwicklung zu verschließen. Schon 2005 warnte der damalige Ministerpräsident Peter Müller (CDU), bezogen auf ganz Deutschland: „Bei ehrlicher Betrachtung befinden sich größere Teile unserer Gesellschaft, als wir es bisher wahrnehmen wollten, auf dem Weg in eine soziale, kulturelle und wirtschaftliche Pauperisierung“ (Verarmung).
Was ist seither passiert? Der Anteil der armutsgefährdeten Menschen im Saarland ist von 2005 bis 2019 von 13,6 auf 17,1 Prozent gestiegen – obwohl sich die Situation am Arbeitsmarkt im selben Zeitraum deutlich verbessert hat. Ein Teil der Bevölkerung wird davon nicht mehr erreicht, vor allem Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Migranten sind betroffen. Man muss sich nur mal die Quartiere in Teilen Saarbrückens, Neunkirchens oder Völklingens ansehen. Die „Spiegel TV“-Doku über die Folsterhöhe, die 2019 in Saarbrücken für Empörung sorgte, war überzeichnet, aber sie traf einen wunden Punkt.
Für das Saarland ist die Entwicklung auch deshalb hochproblematisch, weil sich Hartz-IV-Milieus ohne Aussicht auf Aufstieg zu verfestigen drohen. Die Kinderarmut verharrt im Saarland nicht nur auf hohem Niveau, sie steigt sogar, anders als im Rest der Republik. 19,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Saarland wachsen in Hartz-IV-Haushalten auf (zum Vergleich: Rheinland-Pfalz 11,6 Prozent). Im Regionalverband Saarbrücken sind es sogar 28,6 Prozent.
Der Mut zu Reformen fehlt
Im Saarland fehlt es nicht an der Einsicht, dass sich grundlegende Dinge ändern müssen. Es gibt dazu kluge Gutachten und Papiere von Experten aus der Wissenschaft und dem politischen Betrieb. „Eigentlich müsste man ...“ – so beginnen viele Gespräche mit Verantwortlichen, denen die Unzulänglichkeiten des eigenen Landes sehr wohl bewusst sind. Eigentlich müsste man zum Beispiel mal die Verwaltungsstrukturen im Saarland durchbürsten. Niemand käme vor dem Hintergrund der besorgniserregenden demografischen Entwicklung und der Finanznöte wohl auf die Idee zu behaupten, dass sie optimal sind. Doch aus der vor Jahren angekündigten kommunalen Funktionalreform wurde nie etwas, die Pläne verschwanden in der Schublade. Man hätte dazu Beschlüsse fassen müssen, die dem einen oder anderen wehtun. Und das will im Land der „Harmonie der nicht ausgetragenen Widersprüche“ (Ludwig Harig) niemand.
Stattdessen wird immer jene Lösung gesucht, mit dem der größtmögliche Konsens zu erreichen ist. Dieser „saarländische Weg“ macht sich nicht nur bei Entscheidungsprozessen bemerkbar, sondern auch in der Personalpolitik: Wo beide Regierungsparteien über Top-Posten eingebunden sind, gibt es keine Querschüsse und unangenehmen Überraschungen.
Kurze Wege haben ihre Vorteile, sie können mitunter aber auch zu kurz sein. Gerd-Rainer Damm, der im Umwelt- und Innenministerium Jahrzehnte für die Landesplanung zuständig war, formulierte einmal: „Die Nähe zwischen Regierenden und Regierten führt zur Unregierbarkeit.“