Automobilstandort Saarland Ringen um die Zukunft des Ford-Werks Saarlouis – eine Chronik der Ereignisse
Das Ford-Werk Saarlouis tritt gegen das Ford-Werk Valencia an. Nur einer der beiden Standorte soll in Zukunft ein neues E-Auto bauen.
Das Ford-Management in den USA lässt deshalb beide Standorte gegeneinander antreten und ein „Zukunftskonzept“ ausarbeiten. Bis zum 27. Januar 2022 müssen beide Werke ihre Zukunftskonzepte vorlegen. Eine Entscheidung will Ford am 22. oder 23. Juni 2022 verkünden.
Die SZ hat die Ereignisse der vergangenen Monate bei Ford in Bildern zusammengefasst.
Für das Saarland hat die Ford-Entscheidung „Saarlouis oder Valencia“ die wohl weitreichendsten Folgen seit dem Ende des Bergbaus. Es geht um die Zukunft von Tausenden Saarländern und des gesamten Wirtschaftsstandortes Saarland. Denn die Autoindustrie mit ihren zahlreichen Zulieferern hat seit den 1960er-Jahren die Geschichte des Saarlandes neben dem Bergbau und der Stahlindustrie entscheidend mitgeprägt.
Die Ansiedlung von Ford hat zugleich nicht nur den Beschäftigten im Werk (heute rund 5000) über Jahrzehnte hinweg Lohn und Brot gebracht, sondern auch über 2000 weiteren Menschen im benachbarten Ford-Industriepark. Hinzu kommen zahlreiche weitere Beschäftigte in vielen Zuliefer-Betrieben.
Im Ford-Werk Saarlouis wird das Modell Focus noch bis Mitte 2025 gebaut. Der Standort hofft nun auf ein neues Modell.
Anfang Januar 2022: Angesichts neuer Sorgen um das Überleben des Ford-Werks Saarlouis wenden sich der damalige Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) und die damalige Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) mit einem eindringlichen Bekenntnis zu dem Standort an die Öffentlichkeit. „Die Landesregierung tut alles, was möglich ist“, erklären die Spitzen der Regierungskoalition mit Blick auf neue Entwicklungen im scharfen Standortswettbewerb von Saarlouis und dem spanischen Valencia.
„Wir kämpfen gemeinsam mit aller Kraft dafür, dass Ford im Saarland eine Zukunft hat“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme. „Die Fakten sprechen für unseren saarländischen Ford-Standort“, denn Ford Saarlouis stehe für „Made in Germany“, eine engagierte Belegschaft und gute Standortbedingungen, so Hans und Rehlinger.
10. Januar 2022: Vielleicht entscheidet er mit über das Schicksal der rund 5000 Beschäftigten bei Ford in Saarlouis: Martin Sander, der neue Chef des US-Autobauers für das Deutschland-Geschäft. Der langjährige Audi-Manager übernimmt den Posten von Gunnar Herrmann, der am 1. Dezember in den Aufsichtsrat wechselte.
Der 54-jährige Sander kommt am 1. Juni nach Köln, wie das Unternehmen am Montag mitteilte. Mit Herrmann hatten viele hierzulande Hoffnungen verknüpft, hatte er doch als Technik-Chef in Saarlouis mehrere Generationen des Focus mitentwickelt. Eine emotionale Bindung zum Werk Saarlouis hat Sander gewiss nicht. Er blickt auf eine 25-jährige Karriere bei Audi zurück, wo er verschiedene Führungspositionen in Nordamerika und Europa innehatte. Zuletzt war er stellvertretender Chef des Audi-Vertriebs in Europa.
27. Januar 2022: Die Ford-Werke Saarlouis und Valencia haben dem Ford-Management ihre Zukunftskonzepte vorgelegt. Es geht wohl um Lohnzugeständnisse, Effizienzsteigerungen, längere Arbeitszeiten, kürzere Pausen, unbezahlte Mehrarbeit, Subventionszusicherungen der Politik. Doch der Inhalt ist geheim.
Bis 30. Juni will die Zentrale entscheiden. Schließt sie eine Fabrik, erhält sie beide, davon eine teilweise? Vieles scheint möglich. Fest steht: Das Warten in der Ungewissheit zermürbt die Menschen.
Anfang Februar 2022: Kampfmodus ist angesagt, wenn es um die Zukunft des Ford-Standortes Saarlouis geht. „Wir wollen, dass auch nach 2025 in Saarlouis Autos auf einer Ford-eigenen Plattform gebaut werden. Mit weniger geben wir uns nicht zufrieden.“ Das betonte Benjamin Gruschka, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats und Betriebsrats bei Ford in Köln. „Eine Komponentenfertigung als Trostpflaster lassen wir uns nicht aufdrücken.“
Die Betriebsräte und die Gewerkschaft IG Metall wollen um jeden Arbeitsplatz bei dem Autobauer ringen, wie sie in Saarlouis erneut verdeutlichten.
Anfang Februar 2022: Im Standortwettkampf um das Überleben der Ford-Werke in Valencia und Saarlouis haben die Spanier gegenüber dem Ford-Management umfangreiche Zugeständnisse gemacht. Damit erhoffen sie sich, von der Konzernzentrale in Detroit den Zuschlag zum künftigen Bau von Elektroautos zu bekommen.
Grundlage dafür ist ein Fünf-Jahres-Plan, über den mehrere spanische Medien übereinstimmend berichtet haben. Demnach wollen die Spanier vor allem mit einem Teilverzicht auf Lohnsteigerungen bis zum Jahr 2025 punkten.
Im Saarland hat man sich im Kampf um den Erhalt des Saarlouiser Werks offenbar auf eine andere Strategie verständigt. Allerdings sind vom Ford-Betriebsrat keine Details über mögliche Zugeständnisse an die Ford-Spitze zu erfahren.
Anfang März 2022: Der US-Autobauer Ford will seine Elektro-Offensive durch einen großen Konzernumbau beschleunigen. Das Unternehmen kündigte an, das Geschäft mit batteriebetriebenen und vernetzten Fahrzeugen in Zukunft in einer eigenständigen Sparte zu betreiben.
Dieser Geschäftsbereich soll unter dem Namen Ford Model e laufen. Das traditionelle Hauptgeschäft nennt sich künftig Ford Blue. Die zwei Sparten würden sich gegenseitig ergänzen, gab Ford-Geschäftsführer Jim Farley an.
Mitte März 2022: Die rund 5000 Beschäftigten im Saarlouiser Ford-Werk müssen eine weitere schlechte Nachricht verkraften. Statt auf eine reguläre Produktion setzen zu können, muss das Werk die Kurzarbeit verlängern.
Anders als bisher sind dafür nicht mehr nur die coronabedingten Engpässe in der Versorgung mit Halbleitern für wichtige Bauteile im Focus verantwortlich. Jetzt beginnt sich nach Angaben des Ford-Betriebsrates im Saarlouiser Werk auch der Ukraine-Krieg auf die Versorgungslage mit wichtigen Bauteilen auszuwirken.
Anfang Mai 2022: Ford erwägt offenbar den Erhalt beider Standorte, Saarlouis und Valencia. Das geht aus einer internen E-Mail des Ford-Europa-Chefs Stuart Rowley (rechts, neben Martin Sander, dem neuen Ford-Deutschland-Chef) hervor, die der Saarbrücker Zeitung vorliegt. Eine Entscheidung über den Standort, der Elektrofahrzeuge produzieren soll, wird bis Ende Juni anvisiert.
Das sei jedoch „keine Entscheidung über die Schließung eines Standorts“, so der Ford-Europa-Chef. Man suche aktiv nach zukünftigen Möglichkeiten für den Standort, der nicht ausgewählt werde. „Letztendlich gehen wir aber davon aus, dass sowohl Saarlouis als auch Valencia ihre derzeitigen Strukturen anpassen werden müssen.“
Mitte Mai 2022: Die neue Ministerpräsidentin Anke Rehlinger reist mit dem saarländischen Wirtschaftsminister Jürgen Barke (beide SPD) in die USA. Dort wollen beide in der Ford-Zentrale in Dearborn die Manager davon überzeugen, auch in Zukunft Autos in Saarlouis zu produzieren.
Markus Thal, Betriebsratschef der Ford-Werke in Saarlouis, begrüßt den Einsatz der Ministerpräsidentin, hätte sich aber im selben Flieger auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gewünscht.
Ende Mai/Anfang Juni: Ford droht ein Verkaufsverbot in Deutschland: Ein entsprechendes Urteil des Landgerichts München sorgt bundesweit für Aufsehen. In den Autos sollen Mobilfunkchips eingebaut sein, für die der Konzern keine Lizenzgebühren zahle. Acht Patent-Inhaber hatten daher gegen Ford geklagt. Der Klage des japanischen Patentverwerters IP Bridge sei stattgegeben worden. Das Urteil sorgt auch im Ford-Werk Saarlouis für weitere Unruhe. Am 1. Juni gibt es schließlich Entwarnung, denn Ford hat sich dazu bereit erklärt, die fehlenden Lizenzgebühren doch noch zu bezahlen. So können Verkaufsverbote in Deutschland abgewendet werden.
12. Juni 2022: Der saarländische Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) sieht mehr Anzeichen dafür, dass das Ford-Werk in Saarlouis erhalten bleibt. Das sagte Barke im SZ-Interview. In der Kalenderwoche 24 soll ein von Ford-Europa-Chef Stuart Rowley benanntes Führungsteam das Saarland besuchen, um in vier Terminen mit der Landesregierung über mögliche Produktionsperspektiven zu reden.
Das Ford-Spitzenmanagement selbst will sich nach Erkenntnissen von Barke voraussichtlich am 22. oder 23. Juni zu seinen Plänen äußern, ob das Werk Saarlouis erhalten bleibt.
Mitte Juni 2022: Die Entscheidung über die Zukunft des Ford-Werks Saarlous rückt näher. Die Mitarbeitervertretung im Saarlouiser Werk lädt am 22. Juni zur Betriebsversammlung auf dem Werksgelände ein.
Das zentrale Thema: der aktuelle Stand des offiziell als Bieterverfahren bezeichneten Wettkampfs mit dem Ford-Werk im spanischen Valencia und die damit verbundene Perspektive für das Werk Saarlouis. Je nach Ergebnis soll die Betriebsversammlung am 23. Juni fortgesetzt werden.