Interview Cornelius König „Spüren, worauf man Lust hat. Und offen bleiben“

Saarbrücken · Der Saarbrücker Arbeitspsychologe sieht auf Beschäftigte weniger Routine und mehr komplexe Aufgaben zukommen – und ermutigt sie, dies als Chance zu sehen.

 Cornelius  König ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Saar-Uni.

Cornelius  König ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Saar-Uni.

Foto: Jörg Pütz

Globalisierung, demografischer Wandel und Digitalisierung haben die Berufswelt erfasst. Jetzt Corona. Nehmen die Zukunftsängste zu?

KÖNIG Die aktuelle Unsicherheit ist Corona-bedingt höher. Aber die Entwicklungsaufgabe, den eigenen Platz zu finden, vor der stand jeder Einzelne vor 20 Jahren genauso. Die klassischen Sorgen um den Arbeitsplatz sind erstaunlich konstant, schwanken nur mit der Konjunktur. Die Angst vor etwas ist aber psychologisch relevanter als die Hoffnung auf das Gegenteil. Deswegen hört man in der Öffentlichkeit mehr von den Ängsten als von der Zuversicht.

Aber die Digitalisierung mit ihren Folgen für die Berufswelt müsste doch die jungen Leute verunsichern. Oder sind das nur Sorgen von Älteren, die nicht mehr mitkommen?

KÖNIG Viele verbinden mit Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz, dass sie selbst langfristig durch Maschinen ersetzt werden. Die Frage ist, ob diese Sorgen neu sind. In der Industrie hat man schon immer versucht zu automatisieren. Den Kollegen Roboter kennen die Leute bei Ford oder ZF schon lange. Interessant ist, dass diese Entwicklung jetzt auf die Wissensarbeiter übergreift. Die Zukunftsängste könnten hier neue Gruppen erfassen. Anwälte zum Beispiel werden durch Algorithmen nie ganz ersetzt werden können – aber manche Arbeiten, die sie leisten, fallen durch KI künftig weg.

Wenn Computer einem quasi das Denken abnehmen: Wie viel Mensch braucht es noch am Arbeitsplatz?

KÖNIG Gebraucht wird vor allem Systemverständnis. Nehmen wir den Arzt: Er wird etwa bei Computertomographien Vorschläge bekommen, wo er genauer hinschauen soll. Aber hinschauen muss er. Arbeitsschritte fallen weg, aber nicht seine Verantwortung. Er sollte verstehen, warum der Computer ihm diesen Vorschlag macht. Er muss kein Informatiker sein, aber die System-Logik begreifen – und den Sonderfall erkennen.

Generell werden monotone Routine-Arbeiten weniger, komplexe mehr. Das kann auch stressen.

KÖNIG Wahrscheinlich werden viele sagen, meine Routinen funktionieren nicht mehr, oder mit der langweiligen Arbeit fehlt mir etwas, bei dem ich mich sicher fühlte. Der Anspruch kann schon steigen. Aber ich hoffe, die Menschen sagen, das Komplexe ist das, was mir vor allem Spaß macht.

Solo-Selbstständige in Co-Working-Spaces – wollen und werden Menschen so künftig arbeiten?

KÖNIG Die Co-Working Spaces bedienen sicher ein Bedürfnis der Solo-Selbstständigen. Das ist mehr als ein Hype. Alleine zu Hause arbeiten kann ganz kreativ sein. Aber wir brauchen den Austausch. Dass Co-Working als Solo-Selbstständiger ein Zukunftsmodell für viele sein wird – da bin ich skeptisch. Das heißt ja auch, sich von Auftrag zu Auftrag zu hangeln – immer häufiger auf Plattformen. Das wird eine Nische bleiben.

Durch die Plattformen wird der Arbeitsmarkt globaler. Auch das erhöht den Druck.

KÖNIG Ja, aber wir sind ja nicht nur die, die diese Dienstleistungen anbieten, wir sind auch die, die sie etwa auf Plattformen nachfragen. Wenn Sie sich etwa selbstständig machen, können sie sich das Logo international kaufen, vielleicht in Indien. Der Designer in Deutschland geht leer aus. Das ist kaum zu stoppen.

Und dann sitzen wir im Homeoffice und geraten in ein sich beschleunigendes Hamsterrad?

KÖNIG Ich würde das nicht so gern verbinden. Es gibt die Tendenz, alles zu optimieren. Auch als Kunden stellen wir immer höhere Ansprüche. Wenn dann Menschen sagen, es gebe einen höheren Druck, wird da schon was dran sein. Was ich als Psychologe dafür als Zeichen sehe ist: Es gelingt immer schlechter, Menschen mit psychischen Problemen in den Arbeitsmarkt einzugliedern, mal jemanden mitzuschleifen, der nicht so „performed“. Ist das Hamsterrad also schneller geworden? Ja. Macht die Heimarbeit das? Manchmal. Sie kann aber auch mehr Freiheit geben.

Deutschland droht Fachkräftemangel. Was sollen Unternehmen tun, um an Personal zu kommen?

KÖNIG Sie müssen genau hinhören, was den Arbeitnehmern wichtig ist: Arbeitsplatzsicherheit, Geld, Sinn, gutes Betriebsklima? Und die Firmen müssen mehr Flexibilität entwickeln. Da sucht man einen jungen Uni-Absolventen. Aber der 50-Jährige hat auch Fähigkeiten, die ich verwenden kann. Da muss man auch auf jemanden schauen, der nicht genau die Ausbildung hat, die ich suche.

Was wäre Ihr Rat für jemanden, der sich mit einer Perspektive von mehreren Jahrzehnten jetzt für einen Berufsweg entscheidet?

KÖNIG Zwei Ratschläge: spüren, worauf man Lust hat. Und offen bleiben. Also erstens: nicht in den Schweinezyklus geraten, etwa Ingenieurwesen studieren, nur weil da gerade Mangel herrscht – und nachher gibt es ein Überangebot. Ich würde keinen Beruf gegen meine Vorlieben anstreben. Mit Informatik kommt man sicher weit, aber nicht jeder hat daran Spaß. Zweitens muss man bereit sein, sich auf Entwicklungen einzulassen, mit denen man nicht gerechnet hat. Diese Einstellung der Start-ups gilt auch für die Berufswahl. Wenn man etwas ausprobiert, kann man neue Seiten an sich wahrnehmen und eine Nische finden.

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