Innovative Idee aus dem Saarland Eine Technologie mit unbeschränkter Haftung

Saarbrücken · Das Saarbrücker Start-up Innocise entwickelt ein System, das an fast jeder Oberfläche haftet. Inspiriert wird es von einem natürlichen Vorbild.

 Selbst glatte und runde Flächen sind kein Problem, wie Henrik Ollmann (l.) und Marc Schöneich zeigen.

Selbst glatte und runde Flächen sind kein Problem, wie Henrik Ollmann (l.) und Marc Schöneich zeigen.

Foto: Oliver Dietze

In der modernen Industrie spielen Roboter eine immer wichtigere Rolle. Um diese zu erfüllen, müssen die digitalen Helfer kräftig zupacken können. Momentan kommen dafür meist Greifarme oder Saugnäpfe zum Einsatz. Doch diese Werkzeuge stoßen, etwa bei zerbrechlichen, abgerundeten oder sehr kleinen Werkstücken, oftmals an ihre Grenzen. Hier setzt das Saarbrücker Start-up Innocise an. Das Unternehmen produziert ein neuartiges Haftsystem, das unter anderem Industrierobotern als Greifwerkzeug dienen kann. Es ist von einem ungewöhnlichen Vorbild aus der Natur inspiriert: den Füßen des Geckos. Ganz wie das Reptil kann sich die Gecomer getaufte Kunststoffoberfläche an nahezu jedes Material anhaften und wieder ablösen. Das zugrunde liegende Prinzip wurde von Professor Eduard Arzt am Leibniz Institut für neue Materialien in Saarbücken (INM) entwickelt, aus dem Innocise im Mai dieses Jahres ausgegründet wurde.

Gecomer hafte allein durch Kontakt, erklärt Innocise-Geschäftsführer Marc Schöneich, der das System am INM zur Marktreife gebracht hat. „Danach kann die Oberfläche je nach Einsatzzweck einfach durch Druck, Drehung oder Neigung wieder abgelöst werden.“ Das Haftsystem biete zahlreiche Vorteile. Beispielsweise könne das Verletzungsrisiko in Bereichen, in denen Mensch und Maschine zusammenarbeiten, durch die weiche Oberfläche deutlich reduziert werden, sagt der 31-jährige Firmengründer.

Auch beim Umgang mit empfindlichem Material könne Gecomer zum Einsatz kommen, erklärt Schöneich. Er nennt beispielhaft die hauchdünnen Folien, die bei der Batterie-Produktion benötigt werden. „Diese lassen sich mit gängigen Verfahren nicht greifen“, so der Innocise-Geschäftsführer. Solche Arbeiten würden derzeit noch mühsam von Hand durchgeführt. Gecomer sei aber nicht auf den Einsatz in der industriellen Produktion beschränkt, sagt Firmengründer Schöneich. „Wir haben zum Beispiel eine Anfrage für rutschfeste Yogamatten.“

Die Technologie könne zudem sehr stark verkleinert und daher bei der Fertigung winziger Strukturen wie etwa Mikrochips oder optischen Leitern eingesetzt werden, sagt Mitarbeiter Henrik Ollmann, der an der Saar-Uni Materialwissenschaften und Werkstofftechnik studiert hat. „Solche Teile sind einfach zu klein für bestehende Technologien“, so Ollmann. „Wir können Teile verarbeiten, die 0,02 bis 0,03 Millimeter groß sind. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist etwa 0,07 Millimeter dick.“ Anders als Saugnäpfe hafte die Oberfläche zudem auch in einer Vakuum-Umgebung. Daneben sei sie leicht abwaschbar und äußerst robust, sagt Ollmann. „Wir haben es mit 2,5 Millionen Zyklen erfolgreich getestet.“

Selbst in der Schwerelosigkeit funktioniert die Technologie. Den Beweis dafür trat jüngst der saarländische Astronaut Matthias Maurer an. In einem Parabelflug, bei dem durch bestimmte Manöver eines Flugzeuges Schwerelosigkeit erzeugt wird, testete er Gecomer erfolgreich unter Extrembedingungen.

Der saarländische Standort biete für ein junges Unternehmen wie Innocise Vor- und Nachteile, sagt Geschäftsführer Schöneich. Positiv sei beispielsweise, dass er relativ schnell Kontakt zu Vertretern in der Politik habe aufbauen können. „Da sind die Wege im Saarland relativ kurz.“ So sei etwa Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) unmittelbar nach der Firmengründung vor Ort gewesen, um sich das Produkt anzusehen. „Das wäre in größeren Bundesländern kaum vorstellbar“, sagt Schöneich. Auf der anderen Seite habe er sich mehr Unterstützung erhofft, sowohl finanzieller als auch beratender Natur. „Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, was es überhaupt an Anlaufstellen gibt.“ Allerdings hätten auch diese Angebote dann nur bedingt überzeugt. „Viele der Fördermöglichkeiten sind auf IT ausgelegt“, klagt Schöneich. „Wir haben da ganz andere Anforderungen, benötigen zum Beispiel mehr Fläche oder eine Werkbank.“

Auch die Vernetzung mit anderen Unternehmen sei hierzulande problematisch. „Wir würden gerne mit weiteren Firmen in Kontakt kommen, aber da gibt es kaum Angebote“, sagt Schöneich. Zweischneidig bewertet er in diesem Zusammenhang auch die Nähe zu Frankreich. „Wir haben dort bereits Kunden, aber die haben wir uns alle selbst suchen müssen. Eine grenzüberschreitende Kommunikation gibt es nicht.“ Zwar existierten entsprechende Stellen, etwa bei der Bundesagentur für Arbeit, „aber denen musste ich selbst erst einmal erklären, was es da an Möglichkeiten gibt“, sagt Schöneich. „Und die kannte ich auch nur, weil meine Frau Französin ist.“

Sechs Mitarbeiter zählt das Team von Innocise inzwischen. „Wir wollen langfristig natürlich weiter wachsen, aber es soll ein gesundes Wachstum sein“, sagt Schöneich. Zahlende Kunden seien bereits an Bord, auch die Suche nach Investoren verlaufe erfolgversprechend. „Wir haben eine Idee, die gut ankommt, aber wir wollen Schritt für Schritt vorgehen“, sagt der Firmengründer. „Wir wollen kein Ingenieurs-Dienstleister werden, sondern weltweit ein fertiges Produkt verkaufen.“

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