Interview Aygül Özkan „Regulieren geht leider immer noch vor Bauen“

Exklusiv | Berlin · Immobilienwirtschafts-Expertin Özkan kritisiert die Wohnungspolitik von Bund und Ländern

 Aygul Özkan, Geschäftsführerin Spitzenverband Immobilienwirtschaft ZIA

Aygul Özkan, Geschäftsführerin Spitzenverband Immobilienwirtschaft ZIA

Foto: Dennis Williamson

Mit ihrem Wohngipfel vor zwei Jahren im Kanzleramt wollte die Bundesregierung ein Zeichen gegen knappen Wohnraum und hohe Mieten setzen. An diesem Dienstag sind  Branchen- und Verbandsvertreter  erneut eingeladen, um gemeinsam Bilanz zu ziehen. Nach Einschätzung der Geschäftsführerin des Spitzenverbandes der Immobilienwirtschaft ZIA, Aygül Özkan, krankt der Wohnungsbau in Deutschland  an zu viel Bürokratie.

Frau Özkan, die Bundesregierung hat bereits ein positives Fazit gezogen: Alle zentralen Gipfelbeschlüsse seien entweder umgesetzt oder angeschoben worden. Sehen Sie das auch so?

ÖZKAN Diesen Optimismus kann ich nicht teilen. Das 2018 verabredete Hauptziel lautete, bis zum Ende der Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen. Dieses Ziel wird klar verfehlt. Dazu hätten pro Jahr  durchschnittlich 375 000 Wohnungen gebaut werden müssen. Tatsächlich waren es jährlich aber immer nur etwa 300 000. Am Ende werden es wahrscheinlich insgesamt 1,2 Millionen neue Wohnungen sein. Der Trend ist positiv, bleibt aber deutlich hinter dem politischen Versprechen zurück.

Woran liegt das?

ÖZKAN Die Bundesregierung hat ihr Ziel mit diversen Mietrechtsregulierungen und zuletzt auch dem Baulandmobilisierungsgesetz praktisch verspielt. Regulieren geht in Deutschland leider immer noch vor Bauen. Damit lassen sich die angespannten Wohnungsmärkte vor allem in den Ballungszentren nicht entlasten. Wir hätten uns zum Beispiel ein Planungsbeschleunigungsgesetz nicht nur für den Infrastrukturbereich, sondern auch für die Immobilienwirtschaft  gewünscht. Doch wir haben eben immer noch über 20.000 verschiedene Bauvorschriften, die das Bauen massiv verlangsamen.

An was denken Sie hier konkret?

ÖZKAN Nur ein Beispiel: Wir könnten viel mehr in Serie bauen, auch mit ansprechender Baukultur. Eine einmal genehmigte Planung müsste dann bundesweit gültig sein. Bei einer gemeinsamen Musterbauordnung könnten sich die Anbieter darauf verlassen, serielles Bauen in alle 16 Bundesländer zu bringen. Das würde eine deutliche Baubeschleunigung bedeuten. Und die Baupreise wären auch günstiger. Aber die Bauverordnungen in den einzelnen Bundesländern sind fast immer unterschiedlich, so dass dies immer noch nicht möglich ist.

Für Mieter wurde seit dem Wohngipfel zum Beispiel die Modernisierungsumlage begrenzt, die Mietpreisbremse verschärft und das Recht auf Rückerstattung überhöhter Mieten gestärkt. Hier hat die Regierung doch geliefert, oder?

ÖZKAN Was Mieter sicher freut, schafft jedoch noch keine einzige neue Wohnung. Hier haben wir eher einen rückläufigen Trend. In Berlin zum Beispiel gilt seit einem Jahr der Mietendeckel. Das Ergebnis ist, dass sich die Zahl der angebotenen Wohnungen in dieser Zeit halbiert hat. Auch in anderen Metropolen ist die Zahl der Neubauten rückläufig.

Auch Sozialwohnungen werden ein immer knapperes Gut. Was lässt sich dagegen tun?

ÖZKAN Grundsätzlich ist es wenig zielführend, die Debatte nur auf den sozialen Wohnungsbau zu verengen – wir brauchen Neubau in allen Preisklassen. Häufig kann der Ankauf von Belegungsrechten sinnvoll sein. Das heißt, dass Kommunen in Bestandsbauten  eine bestimmte Anzahl von Sozialwohnungen halten, anstatt sie aus der Sozialbindung fallen zu lassen. Sinnvoll kann auch sein, nicht mehr benötigte Gewerbeimmobilien in Wohnraum  umzuwandeln.

Hat der Wohngipfel vor zwei Jahren aus Sicht der Immobilienwirtschaft auch etwas Gutes bewirkt?

ÖZKAN Das Thema Wohnen ist durch den Gipfel  zumindest wieder auf die politische Agenda  gerückt worden.  Außerdem wird immer deutlicher, dass Bauen eine Gemeinschaftsaufgabe ist. Und dass es nichts bringt, die private Immobilienwirtschaft zu verteufeln.

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