Historische Entscheidung „Größte Investition in der Geschichte“: Rekordsumme von 3,5 Milliarden Euro wird im Saarland in Grünen Stahl investiert

Update · Bis zum Jahr 2045 soll Stahl aus dem Saarland klimaneutral produziert werden. Ein Vorhaben, das mehrere Milliarden kosten wird. Der Weg ist jetzt frei: 3,5 Milliarden Euro sollen investiert werden. Auf einer Pressekonferenz wurden die Beschlüsse am Freitag vorgestellt.

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3,5 Milliarden Euro für grünen Stahl aus dem Saarland

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Foto: Ruppenthal

Die saarländische Stahlindustrie will spätestens 2045 ihren Stahl fast ohne CO2-Ausstoß produzieren – bereits bis 2030 sollen dafür die wichtigsten Anlagen in Völklingen und Dillingen stehen. Seit diesem Freitag ist klar: Der Fahrplan für das Jahrhundertprojekt ist beschlossen. Die Stahl-Holding-Saar, die Saarstahl AG und Aktiengesellschaft der Dillinger Hüttenwerke, das Kuratorium der Montan-Stiftung-Saar und die Geschäftsführung der Stahl-Holding-Saar haben gemeinsame Investitionen von 3,5 Milliarden Euro – vorbehaltlich öffentlicher Förderung – zur Transformation der Saar-Stahlindustrie hin zum Grünen Stahl beschlossen.

Bereits ab dem Jahr 2027 sollen im Saarland so jährlich bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2-armer Stahl produziert und 4,9 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. „Wir werden zum Vorreiter in Sachen CO2-Einsparung“, kündigte Reinhard Störmer, Vorsitzender Kuratorium Montan-Stiftung-Saar, am Freitag an. Der Beschluss sei einzigartig. „Unser Anspruch ist es, den klimafreundlichsten Stahl überhaupt zu liefern“, so Störmer weiter. Wie viel der 3,5 Milliarden im Endeffekt von den Unternehmen selbst getragen werden müssen und welche Summe aus Fördermitteln zustande kommt, ist aktuell noch unklar. Wesentliche Teile von dem, was das Land zu der Investition geben wird, werden aus dem Transformationsfonds kommen, kündigte Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) am Freitag an.

„Historische Entscheidung für das Saarland“

„Wir stehen zu unseren Standorten an der Saar“, bekräftigte Störmer außerdem. Die Montan-Stiftung-Saar habe ihre Hausaufgaben erst einmal gemacht: „Die Montan-Stiftung-Saar kommt einmal mehr ihrem Auftrag nach, die Stahlindustrie und deren Arbeitsplätze vor Ort langfristig zu sichern.“ Nur mit Fördermitteln könnten die gewaltigen Aufgaben und die Investitionen gestemmt werden. Förderentscheidungen seien die Voraussetzung für die Wandlung hin zu grünem Stahl. Störmer bat deshalb um finanzielle Unterstützung vonseiten des Bundes und der EU.

Jörg Köhlinger, Leiter des IG Metall-Bezirks Mitte und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der SHS, Saarstahl und Dillinger, nannte den Beschluss zu den Investitionen bei der Pressekonferenz „epochal“. Das Projekt „Grüner Stahl“ an der Saar sei nicht „risikolos“, aber „alternativlos“. Für die IG Metall sei die Entscheidung für die Produktion von grünem Stahl im Saarland nach langer Analyse die einzige richtige Entscheidung. Auch für die Arbeitnehmer im Saarland sei die Investition der einzig richtige Weg: „Die Transformation, die auch die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt, bietet große Chancen für eine sozial-ökologisch ausgerichtete Wertschöpfung mit nachhaltigen und langfristigen Beschäftigungsperspektiven im Saarland.“ Dass das Projekt die Unterstützung der Landesregierung habe, sei extrem wichtig. Auch Köhlinger appellierte an die EU und den Bund – es brauche jetzt weitere finanzielle Unterstützung.

 So soll sich der Saarstahl-Standort in Völklingen im Laufe der kommenden Jahre durch die Investitionen verändern.

So soll sich der Saarstahl-Standort in Völklingen im Laufe der kommenden Jahre durch die Investitionen verändern.

Foto: SHS – Stahl-Holding-Saar/Screenshot

Anke Rehlinger: „Größte Investition in der Geschichte des Landes“

Ministerpräsidentin Rehlinger sprach bei der Pressekonferenz von einem „guten Tag für alle Saarländer und Saarländerinnen“ und einem „historischen Tag für dieses Land“ und einem „wichtigen Tag für den Industriestandort Deutschland.“ „Der Umbau der Stahlindustrie ist ein Meilenstein für den Schutz der Arbeitsplätze und des Klimas“, so die Ministerpräsidentin weiter. Es sei „die größte Investition in der Geschichte des Landes“ und eines der größten Transformationsprojekte europaweit.

Der von der Landesregierung angekündigte und viel diskutierte Transformationsfonds sei genau für solche Investitionen gedacht, erläuterte Rehlinger weiter. An der Landesregierung solle der Wandel in der Industrie nicht scheitern. Dass es offene Fragen gebe, wie zum Beispiel, wo der Wasserstoff für die Realisierung der Ziele herkomme, sei ihr bewusst. Die Rahmenbedingungen seien aber mit der Investition geschaffen. „Wir haben noch ein gutes Stück Arbeit vor uns“, kündigte die Ministerpräsidentin an. Sie sei sich aber sicher, dass man in einigen Jahren mit Stolz auf die heute beschlossenen Investitionen zurückblicken könne.

So soll sich der Dillinger-Standort im Laufe der kommenden Jahre durch die Investitionen verändern.

So soll sich der Dillinger-Standort im Laufe der kommenden Jahre durch die Investitionen verändern.

Foto: SHS – Stahl-Holding-Saar/Screenshot

Barke: „Jetzt fängt die Arbeit richtig an“

Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) nannte die Investition „eine der wichtigsten Zukunftsentscheidungen unseres Landes“. Das Saarland stehe bereit, „das Projekt im größtmöglichen Umfang maßgeblich finanziell und administrativ zu unterstützen.“ Es liege aber noch viel Arbeit vor den Unternehmen und der Regierung. „Unser Auftrag als Land ist es, die besten Rahmenbedingungen zu schaffen, damit grüner Stahl an der Saar produziert werden kann. Und der Möglichmacher ist unser Transformationsfond. Durch ihn können wir als Land unseren Anteil zu solchen starken Unternehmensentscheidungen leisten“, so Barke. Die Unternehmen und Beschäftigten der Saar-Stahlindustrie hätten das Land und die Landesregierung an ihrer Seite.

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Foto: BECKER&BREDEL/bub

Köhler: „Wir haben den Wunsch, einen Prozentwert oberhalb von 60 Prozent an Förderung zu erhalten“

Auch Dr. Karl-Ulrich Köhler, Vorsitzender der Geschäftsführung der SHS und Vorstandsvorsitzender von Dillinger und Saarstahl, betonte, wie schwierig die Aufgabe sei, die vor dem Saarland liege: „Wir benötigen Fördermittel in beträchtlichem Umfang.“ Man verlasse etablierte Pfade. Dafür benötige man die Unterstützung der „Öffentlichkeit und Förderung“. „Die Entscheidung der Aufsichtsräte zeigt, dass wir die richtigen Strategien und Maßnahmen zur Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen entwickelt haben“, so Köhler. Auch die Kunden hätten großes Interesse an grünem Stahl. Jetzt gelte es, diese in einem ambitionierten Zeitrahmen umzusetzen. „Wir sind bereit und haben mit der saarländischen Landesregierung eine starke Unterstützung an der Seite. Nun sind die politischen Entscheider in Brüssel und Berlin gefordert, funktionierende Rahmenbedingungen für die Transformation hin zum grünen Stahl zeitnah umzusetzen und die Anträge für die notwendigen Fördermittel zu bewilligen“, bekräftigte Köhler seine Forderung nach weiterer finanzieller Unterstützung.

Auf die Frage, mit welcher Summe an Fördermitteln man rechne, antwortete Köhler, dass man sicher eine beträchtliche Summe selbst tragen müsse. Man wünsche sich allerdings, dass mehr als 60 Prozent der Summe durch Förderungen finanziert werden könnten.

Zukunft für über 10 000 Arbeitsplätze im Saarland

Auch die IG Metall Völklingen begrüßte die Investition am Freitagmittag. „Die heutige Entscheidung zum Investitionsantrag der Stahl Holding Saar (SHS) ist Teil des Ergebnisses unserer Kampagne „Stahl ist Zukunft“ und damit die größte Investition in der über dreihundertjährigen Geschichte der saarländischen Stahlindustrie“, sagte Lars Desgranges, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Völklingen und Mitglied des Aufsichtsrates der SHS. Wichtig sei nun, den Weg nachhaltig umzusetzen und zugleich die offenen Fragen rund um die Versorgungssicherheit bei grüner Energie und die Schaffung von grünen Leitmärkten konsequent voranzutreiben.

Ralf Cavelius, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Völklingen, kommentierte die kommenden Investitionen ebenfalls positiv. Ein Gelingen der Transformation trage zur langfristigen Erhaltung von weit über 10 000 Arbeitsplätzen im Saarland bei. „Ohne diesen Schritt wäre die Stahlindustrie mittelfristig ein Abwicklungsfall geworden, jetzt werden wir das Prestigeobjekt einer neuen Industriephase in unserem Land sein.“

Commerçon: „Meilenstein für unsere Stahlindustrie“

Auch der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion im Saarland, Ulrich Commerçon, lobte den Beschluss in einer Pressemitteilung: „Der heutige Tag ist ein Meilenstein für unsere Stahlindustrie: 3,5 Milliarden Euro ist die höchste Investition, die je im Saarland getätigt wurde. Das ist ein historischer Tag für den saarländischen Industriestandort und gleichzeitig eines der größten Klimaschutzprojekte dieses Jahrzehnts. Ab 2027 wird an beiden saarländischen Standorten grüner Stahl produziert.“

CDU reagiert mit Optimismus – aber auch Enttäuschung

Stephan Toscani, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag des Saarlandes, sprach nach der Ankündigung von „einem guten Tag für das Saarland“. „Dillinger und Saarstahl investieren in die Zukunft unserer Heimat. Die saarländische Stahlindustrie hat geliefert. Jetzt muss die Landesregierung liefern“, forderte Toscani.

Anke Rehlinger müsse jetzt dringend dafür sorgen, dass die notwendigen finanziellen Zusagen aus Berlin kommen. Dass Rehlinger noch keine Zusage aus Berlin präsentieren konnte, sei „enttäuschend“.

Saarland: So soll die Umstellung auf grünen Stahl ablaufen

Bereits im Juni hatten Spitzen und Aufsichtsgremien von Saarstahl und Dillinger einen Zukunfts-Fahrplan beschlossen. In den kommenden fünf Jahren sollen in Dillingen eine Direktreduktionsanlage zur Herstellung von Eisenschwamm sowie in Völklingen und Dillingen je ein Elektro-Lichtbogen-Ofen zum Schmelzen von Stahlbriketts entstehen. Dadurch wird schrittweise der Einsatz von Wasserstoff erlaubt. Bei der Produktion sollen so 80 Prozent weniger CO2 anfallen – spätestens bis 2045 soll das der Fall sein.

SHS-Vorstandschef Karl-Ulrich Köhler hatte bereits im Juni den Investitionsbedarf allein in der ersten Phase der Umrüstung der saarländischen Standorte auf 2,8 Milliarden Euro beziffert. Zwischen 30 und 40 Prozent dieses Betrages müssten durch öffentliche Förderung kommen. Es sei das Ziel, bis 2030 den Kohlendioxid-Ausstoß durch die Stahlproduktion im Saarland um 65 Prozent zu senken, bis dahin soll auch bereits der erste von zwei Hochöfen abgeschaltet werden. Bis Jahr 2045 solle er um 80 Prozent reduziert werden. Für die verbleibenden 20 Prozent werde es dann „weitere Maßnahmen“ geben.

Größter Arbeitgeber im Land

In einer Stahlstudie war das Saarbrücker Info-Institut in diesem Jahr zu dem Ergebnis gekommen, dass im Saarland Investitionen von rund 4,5 Milliarden Euro nötig sind, um künftig auf heutigem Niveau Stahl klimaneutral zu erzeugen.

Saarstahl und Dillinger produzieren aktuell im Jahr fünf Millionen Tonnen Stahl. Das sind rund 15 Prozent der gesamten deutschen Stahlproduktion. Die Saarhütten stoßen dabei pro Jahr acht Millionen Tonnen CO2 aus. Die saarländische Stahlindustrie ist nach SHS-Angaben mit rund 13 400 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber im Saarland.

Geld aus dem Transformationsfonds

In einem aktuellen Gutachten hat der Mannheimer Volkswirtschaftsprofessor Tom Krebs den Förderbedarf durch Mittel von EU, Bund und Land für eine Umrüstung der Saar-Stahlindustrie auf 1,5 Milliarden Euro für einen Zeitraum von 20 Jahren taxiert. Bei einer beschleunigten Transformation infolge der aktuellen Energiekrise schätzte er den zusätzlichen Finanzbedarf für den saarländischen Haushalt auf 250 Millionen Euro, inflationsbedingt bis zu 312 Millionen Euro. Der beschleunigte Ausbau der Wasserstoffwirtschaft könne den Saar-Haushalt um weitere bis zu 625 Millionen Euro belasten. Die beschleunigte Förderung der Transformation der Saar-Industrie ist ein wesentliches Argument der Landesregierung für den schuldenfinanzierten Transformationsfonds von drei Milliarden Euro.

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