„Können uns nicht vertrösten lassen auf den St. Nimmerleinstag“ Neue Eskalationsstufe im Kampf um Ford Saarlouis – jetzt drohen Warnstreiks

Saarlouis · Die IG Metall fordert die Ford-Unternehmensleitung und den Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie zu Sozial-Tarifverhandlungen für die Beschäftigten am Standort Saarlouis auf. Damit erhöht die Gewerkschaft den Druck erheblich. Sozial-Tarifverhandlungen ermöglichen auch Warnstreiks und einen Arbeitskampf in Saarlouis.

 Die IG-Metall verschärft den Kampf um die Zukunft des Ford-Standortes Saarlouis.

Die IG-Metall verschärft den Kampf um die Zukunft des Ford-Standortes Saarlouis.

Foto: Ruppenthal

Der Kampf um die Zukunft der Ford-Beschäftigten in Saarlouis geht in eine neue Runde. Nachdem immer noch kein Investor für das Werk offiziell in Erscheinung getreten und eine Lösung des Konflikts in Sicht ist, erhöht die Gewerkschaft IG Metall jetzt den Druck auf die Unternehmensleitung von Ford. Es reiche bei weitem nicht aus, nur 1000 Beschäftigten, wie bisher geschehen, eine Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2032 zu geben.

Jörg Köhlinger, chef des IG-Metall-Bezirks Mitte, zu dem auch das Saarland gehört.

Jörg Köhlinger, chef des IG-Metall-Bezirks Mitte, zu dem auch das Saarland gehört.

Foto: BeckerBredel

IG Metall-Chef kritisiert „Hängepartie“

„Das Unternehmen trägt Verantwortung für alle Beschäftigten. Unser Ziel ist es nach wie vor, möglichst viele tarifgebundene Arbeitsplätze so lange wie möglich und möglichst auch mit nachhaltigen Zukunftsprodukten am Standort zu erhalten“, sagt Jörg Köhlinger, Chef des IG-Metall-Bezirks Mitte, zu dem auch das Saarland gehört, im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung. „Fest steht aber auch, dass nach der schon lange andauernden Hängepartie bis zum heutigen Tag für 3000 Beschäftigte im Stammwerk immer noch keine Zukunftsperspektive gegeben ist“, beklagt Köhlinger.

Deshalb greift die Gewerkschaft in der Auseinandersetzung mit dem Unternehmen jetzt zu einer neuen, einschneidenden Maßnahme. „Wir sehen uns jetzt dazu gezwungen, Forderungen für einen Sozialtarifvertrag aufzustellen. Damit machen wir Ford gegenüber eindeutig klar, dass wir auf keinen Fall und nach dem Stand der Dinge mögliche Werkschließungen und Massenentlassungen kampflos hinnehmen werden“, betont Köhlinger. Zugleich betont er: „Wir wollen sicherstellen, dass in einem solchen Fall Ford die eintretenden sozialen Folgen einer solchen unternehmerischen Entscheidung, sollte Ford sie so treffen, von Ford teuer ausgeglichen werden müssen. Das ist gemäß der in Deutschland geltenden Rechtsordnung eine reine Notwehrforderung.“

Ford im Saarland: 50 Jahre - Saarlouis und das Ford-Werk - Firmen-Porträt
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Mehr als 50 Jahre: Saarlouis und sein Ford-Werk

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Möglichst viele tarifgebundene Arbeitsplätze erhalten

Nach Ansicht von Köhlinger ist der Erhalt möglichst vieler tarifgebundener Arbeitsplätze inklusive neuer, nachhaltiger Zukunftsprodukte am Standort Saarlouis nach wie vor eindeutig die bessere Alternative. Doch man sehe nicht länger ein, dass sich erkennbar nichts bewegt. „Unser Ziel ist eindeutig nicht die Zahlung hoher Abfindungen, sondern unser Ziel ist es, möglichst viele tarifgebundene Arbeitsplätze zu guten Bedingungen im Unternehmen zu erhalten.“

Man müsse sich jedoch auch rechtzeitig auf eine Zukunft ohne Ford einstellen. „Wir werden deshalb jetzt Ford als Arbeitgeber und den Arbeitgeberverband der Metall-, und Elektroindustrie zu Sozialtarifverhandlungen auffordern“, kündigt Köhlinger an. „Wir wollen sehen, was auf dem Verhandlungsweg zu erreichen ist. Das schließt auch ein Eskalationsszenario ein, wie es in anderen Tarifverhandlungen ebenfalls üblich ist. Wir stellen eine Forderung auf, treten dann in Verhandlungen ein. Wenn die Verhandlungen Fortschritte ergeben, ist es gut. Sollte das nicht der Fall sein, kann das bedeuten, dass es dann in einem überschaubaren Zeitpunkt zu Warnstreiks kommt bis hin zu einem regulären Arbeitskampf auf betrieblicher Ebene. Das schließt ein solches Eskalationsszenario ein“, so Köhlinger. Und ergänzt: „Es handelt sich bei dem, was wir jetzt machen, um eine reine Notwehrforderung. Uns bleibt keine andere Wahl, zumal der von Ford verkündete Rückzug aus Saarlouis jetzt schon fast ein Jahr her ist.“

IG Metall will zeitnah Vorschläge machen

Zugleich betont Köhlinger, dass auch die IG Metall voll hinter der Suche nach einem neuen Investor stehe und diese auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstütze. Man dürfe jedoch nicht all die betroffenen Ford-Beschäftigten im Regen stehen lassen, die bis jetzt immer noch keine Beschäftigungsperspektive haben. „Es geht jetzt auch um die Frage, wann und in welcher Form es bei Ford zu einer Entscheidung kommt.“

Im Rahmen der Sozialtarifverhandlungen, die jetzt anstehen, werde die IG Metall zeitnah Vorschläge machen. „Wir können und wollen versuchen, mit Sozialtarifforderungen eine mögliche Schließung oder einen extrem hohen Personalabbau so teuer zu machen, dass das Unternehmen möglicherweise dazu bereit ist, einzulenken“, betont Köhlinger. „Dazu kann auch gehören, möglicherweise doch noch neue Produkte an den Standort Saarlouis zu bringen oder den Investorenprozess konstruktiv zu beflügeln.“

„Können uns nicht vertrösten lassen auf den St. Nimmerleinstag“

Die Forderungen nach einem Sozialtarifvertrag „sind definitiv kein Strategieschwenk in die Richtung, dass man jetzt auf möglichst hohe Abfindungen setzt. „Im Gegenteil. Wir fordern mit dem Sozialtarifvertrag jetzt etwas, was wir eigentlich nicht wollen. Aber das müssen wir ersatzweise tun, weil wir kein anderes Druckinstrument haben.“ Eine Tarifforderung, die so aussieht, dass man den Erhalt des Werkes will oder eine Auslastung des Werkes, könne man jedoch vor dem Hintergrund der geltenden Rechtsordnung nicht aufstellen. „Wenn jedoch ein Szenario eintritt, das für Beschäftigte Arbeitslosigkeit bedeuten würde, müssen wir versuchen, das entsprechend zu flankieren“, betont Köhlinger. Dazu diene das Instrument der Sozialtarifverhandlungen. Er setzt jedoch immer noch auf eine tragbare Lösung im Konflikt mit Ford. „Wir können uns aber auch nicht vertrösten lassen auf den St. Nimmerleinstag und darauf warten, dass sich am Ende gar nichts tut.“

Ein solcher Sozialtarifvertrag sieht zum Beispiel vor, dass das Unternehmen Nachteile für die betroffenen Beschäftigten ausschließt, etwa durch die Höhe von Abfindungen oder die finanzielle Aufstockung von Mitteln für Weiterbildung, Qualifizierung und die Schaffung einer Transfergesellschaft, die den Übergang am Arbeitsmarkt in andere Betriebe erleichtert.

Gute Erfahrungen mit Sozialtarifverhandlungen

Zugleich weist Köhlinger darauf hin, dass die Gewerkschaft auch bei einem neuen Investor in Saarlouis alles dafür tun wird, dass dieser tarifgebunden arbeitet. Gegenwärtig verhandele man zum Beispiel im benachbarten Kaiserslautern, wo eine Batteriezellenfabrik entsteht, mit ACC, einem Konsortium, dem auch der international tätige Autohersteller Stellantis sowie Mercedes angehören. Die Produktion soll 2025 beginnen. „Wir treten dort jetzt ein in Tarifverhandlungen, um die Tarifbindung herzustellen.“ Dies sei auch eine wichtige Maßnahme in einer Zeit, in der überall Fachkräfte fehlen. Arbeit müsse sich auch finanziell lohnen.

Gute Erfahrungen mit Sozialtarifverhandlungen habe die IG Metall schon an anderer Stelle in Deutschland gemacht, etwa beim Reifenhersteller Continental an drei Standorten. So sei es beispielsweise gelungen, den Continental-Standort Rheinböllen zu erhalten. Dort sollte es einen Personalabbau geben. Stattdessen habe man einen Großteil der Belegschaft gehalten und ein neues Produkt an den Standort gebracht, das eigentlich nicht geplant war. „Dort hat sich das Unternehmen gefragt, ob es nicht doch ein Zukunftskonzept für den Standort gibt anstelle hoher Abfindungen“, so Köhlinger. Etwas Ähnliches kann sich der Gewerkschafter gut auch für Saarlouis vorstellen.

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