SZ-Serie Mehr als ein Jahrhundert Große Literatur für das kleine Saarland seit 1872

Saarbrücken · Bock & Seip kann auf eine fast 150 jährige Firmengeschichte zurückblicken. Im Laufe der Jahre hat der Buchhändler so manche Krise gemeistert.

 Die aktuelle Geschäftsführerin Dörte Heinrich lenkt die Geschicke von Bock & Seip seit dem Jahr 2000.

Die aktuelle Geschäftsführerin Dörte Heinrich lenkt die Geschicke von Bock & Seip seit dem Jahr 2000.

Foto: Iris Maria Maurer

„Bücher sind nur dickere Briefe an Freunde“, schrieb einst der deutsche Dichter Jean Paul (1763 - 1825). Diese dicken Briefe faszinieren die Menschen seit Jahrtausenden, doch erst mit der Erfindung des Buchdrucks durch den Mainzer Johannes Gutenberg wurden sie ab 1450 massentauglich. Manche Menschen können stundenlang in Buchhandlungen herumstöbern, besonders gern in solchen, die eine Aura von Rückzug und Ruhe ausstrahlen, aber dennoch zum geistigen Flanieren einladen. Die Buchhandlungen von Bock & Seip in Saarbrücken, Saarlouis und Merzig sind solche Orte. Außerdem treffen sich dort Tradition und Moderne. Denn das Unternehmen, das rund 50 Frauen und Männer beschäftigt und das in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet wird, gibt es schon fast 150 Jahre. Im kommenden Jahr wird der runde Geburtstag gefeiert. Mit Dörte Heinrich sitzt Generation Nummer vier im Chefsessel.

Ganz zu Beginn eröffneten 1872 die Herren Eduard Bock und Georg Seip in der Saarbrücker Bahnhofstraße die nach Ihnen benannte Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung. Die Zeiten waren gut – Gründerjahre und Aufbruchstimmung im kurz zuvor vereinten Deutschen Reich. Nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71) hatten die Sieger Elsass-Lothringen annektiert, Saarbrücken war nicht mehr Grenzstadt – von Metz bis Mannheim der gleiche Wirtschafts- und Währungsraum.

Im Jahr 1900 der Eigentümerwechsel. Die Buchhändler Paul Heinrich und seine Frau Fanny übernehmen das Geschäft von den Gründern. Das junge Ehepaar führt die Buchhandlung durch turbulente Jahrzehnte – Kaiserzeit, Erster Weltkrieg, Versailler Vertrag mit Saarstatut, Rückkehr des Saargebiets ins inzwischen von den Nazis regierte Deutsche Reich, Zweiter Weltkrieg, Zusammenbruch, Neuanfang. Ehemann Paul stirbt, Fanny Heinrich macht allein weiter, bis ihr Sohn Hans Anfang der 1950er Jahre Geschäftsführer im elterlichen Betrieb wird. Zehn Jahre später, 1961, ist ein Umzug angesagt – von der Bahnhofstraße um die Ecke in die Futterstraße, wo Bock & Seip heute noch seinen Sitz hat. Anfang der 1960er Jahre stößt die dritte Buchhändler-Generation dazu: Dieter und Ellen Heinrich.

 Die alte Filiale des Buchhändlers Bock & Seip in der Saarbrücker Bahnhofstraße (Aufnahme um 1950).

Die alte Filiale des Buchhändlers Bock & Seip in der Saarbrücker Bahnhofstraße (Aufnahme um 1950).

Foto: Bock&Seip

Der nächste Erweiterungsschritt steht 1983 an. Bock & Seip richtet an der Universität des Saarlandes eine Campus-Buchhandlung ein. „Bis heute ist es die größte wissenschaftliche Buchhandlung in Saarbrücken“, sagt Dörte Heinrich. Auch wenn wegen Corona derzeit kaum Studenten auf dem Campus zu finden sind, hält sie die Buchhandlung offen, da Bock & Seip von dort aus viele Institute und Lehrstühle mit Fachliteratur versorgt. Das gilt vor allem für die Juristen, die in der Campus-Buchhandlung alles finden, was sie für Lehre und Forschung, aber auch das tägliche Arbeiten in Kanzleien, Gerichten oder Behörden benötigen – egal ob auf Papier oder online. Bereits seit 2007 können Firmenkunden das Online-Portal bock&seip.biz nutzen.

Ende der 1990er Jahre setzte das Unternehmen seinen Expansionskurs fort, übernahm von der Firma Regler, die sich ganz dem Bürobedarf zuwenden wollte, ihre beiden Buchhandlungen in Saarlouis (1998) und Merzig (2001). Doch die Jahre rund um das Millennium waren nicht einfach. 1999 starb unerwartet Ellen Heinrich und hinterließ eine große Lücke in Familie und Firma. In Saarbrücken machte sich 1998 außerdem in direkter Nachbarschaft die Buchhandelskette Thalia breit, ein Konkurrent, der ein dickes Stück vom regionalen Buchkuchen abhaben wollte.

 Das ursprüngliche Logo des Saarbrücker Buchhändlers aus dem Gründungsjahr 1872.

Das ursprüngliche Logo des Saarbrücker Buchhändlers aus dem Gründungsjahr 1872.

Foto: Bock&Seip

Damit nicht genug: Eine US-Firma namens Amazon, die ein gewisser Jeff Bezos 1994 als Garagenunternehmen in Seattle gegründet hatte, eröffnet 1998 erste Büros in Deutschland. Er verschickt Bücher mit der Post, die man in einem neuen Medium namens Internet bestellen kann. „Wie schräg ist das denn?“, denken damals noch viele. Doch das mitleidige Lächeln vergeht ihnen schnell.

Es brannte also an allen Ecken und Enden, als die jetzige Chefin Dörte Heinrich im Jahr 2000 in das Familienunternehmen einstieg und die Geschäftsführung übernahm. Zuvor hatte die heute 47-Jährige eine solide Buchhändler-Ausbildung absolviert und an der Saar-Universität Betriebswirtschaftslehre mit Abschluss Diplom-Kauffrau studiert.

Aber die alteingesessenen Buchhändler reagieren auf die Herausforderungen aus dem Internet. „Wir waren schon eher auf dem Weg in die Digitalisierung als andere Branchen“, erinnert sie sich. „Amazon hat diesen Prozess nur beschleunigt.“ Bock & Seip richtet schon 1998 eine Webseite ein, bei der die Kunden sich Neuerscheinungen ansehen und später auch bestellen können. Die deutschen Händler tun sich zu Netzwerken wie dem Online-Shop Libri.Digital zusammen, den auch Bock & Seip nutzt. Hörbücher und E-Books können zu Hause oder in der Buchhandlung auf spezielle Lesegeräten oder PCs heruntergeladen werden. „Lass den Klick doch in Deiner Stadt!“ – mit diesem Slogan erinnern die Buchhändler daran, dass die Amazons dieser Welt die Innenstädte eher leeren als mit Leben füllen.

Auch der Versand klassischer Bücher gehört längst zum Tagesgeschäft der Händler. „Diese bereits bewährte Routine hat uns während des Corona-Lockdowns sehr geholfen“, sagt Dörte Heinrich. „Wir haben so viel wie nie zuvor verpackt und verschickt“, erzählt die Chefin. Sogar sie war unterwegs – hoch auf dem gelben Fahrrad. „Die Stammkunden haben uns wunderbar die Treue gehalten“ – das motiviert.

Doch sie freut sich auch wieder auf die Zeit nach Corona. Auf die Lesungen in den Stadtbibliotheken von Saarbrücken und Saarlouis oder in der Merziger Villa Fuchs – zum Beispiel mit den Saar-Autorinnen Maria W. Peter („Eine Liebe zwischen den Fronten“) oder Marion Demme-Zech („Letzter Ausstieg Saar“). Dörte Heinrich fiebert auch den saarländischen Literaturtagen „erLesen“ oder den Mädelsabenden entgegen, wo gelacht und gelesen wird und Männer – leider – keinen Zutritt haben.

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