Zeitlose Ästhetik Germers Puzzle fehlt heute ein Teil

Ottweiler · Kunst muss sichtbar sein. Das Paradoxe an der „Kunst im öffentlichen Raum“ ist, dass sie durchaus sichtbar ist, und sie dennoch unsichtbar bleibt, denn kaum jemand nimmt Notiz von ihr. In einer Serie stellen wir Kunstwerke im öffentlichen Raum im Kreis Neunkirchen vor. Heute: Das Wandgemälde von Ernst Germer im Schlosstheater Ottweiler.

 1954 schuf der Ottweiler Künstgler Ernst Germer dieses monumentale Werk im damals neuen Schlosstheeater.

1954 schuf der Ottweiler Künstgler Ernst Germer dieses monumentale Werk im damals neuen Schlosstheeater.

Foto: Engel

Keiner kann dem Wandgemälde von Ernst Germer entkommen, wenn er das „kulturelle Herz“ der Stadt Ottweiler, das Schlosstheater, betritt. Zu dominant, ja fast aufdringlich ist das Werk des in Ottweiler 1901 geborenen Künstlers; aber nur fast, denn in seiner zeitlosen Ästhetik zählt das Werk zu den herausragenden Kunstschätzen der Stadt. Germer ist die Balance gelungen zwischen Monumentalität und dezidierter Ausdruckskraft.

Auf roter Wand trifft eine Schar Ikonen aus der griechischen Mythologie aufeinander. Die lachende und eine weinende Maske als Sinnbild für das dramatische Theater, die Venus von Milo (steht für alles, was Freude bereitet), Pegasus das Dichterross, die Stirnseite der Akropolis oder gar der Lyra spielende Jüngling. In hellenistischer Zeit war sie Symbol für Dichter und Denker. Der Begriff „Lyrik“ ist ein Überbleibsel.

Germer strengte sich an, die mäandernde altgriechische Kultur in ein Gemälde zu packen. Und um dem Facettenreichtum Struktur zu verleihen, schuf er gleich mehrere Gemälde und verschachtelte sie miteinander. Auch eine Uhr fügte er ein, als Zeichen der Vergänglichkeit. Aber davon später mehr.

Es ist eine Art Puzzle entstanden, dominiert von den Farben blau und weiß. Germer malte eine originelle Begrüßung für die Theater-Besucher – das Werk bringt das riesige Treppenhaus zum Leuchten. Er zeigt in seinem Gemälde alles, was zum Theater gehört, er malt das Zusammenspiel von Bühnenraum, Text, Musik, Schauspielern, Kostüm, Licht, Farbe, Bewegung – inspiriert durch die Vorstellungskraft des Regisseurs und von ihm komponiert zu einem Ganzen. Germer drückt aus, dass Theater mehr ist als Sprache. Auch dann, wenn Schiller oder Shakespeare sie geschrieben haben. Theater entsteht, wenn das Bühnengeschehen mehr ist als die Nachbildung eines Textes. Theater braucht die Abstraktion, die Verdichtung, die Symbolhaftigkeit, dies zeigt Germer in seinem Gemälde, das er 1954 geschaffen hat.

Das Schlosstheater wurde 1950 bis 1956 nach Entwürfen von Carl Holzhauser erbaut. Ob der Architekt Ernst Germer beauftragt hat, ist heute nicht mehr bekannt. Der dreigeschossige Putzbau mit den achsenbasierten Segmentbogenfenstern spielt mit klassizistischen Merkmalen ebenso wie mit Einflüssen der deutschen Nachkriegsmoderne. Germers Kunstwerk fügt sich in idealer Weise diesem uneindeutigen Stil. Mitte der 1990 Jahre beschädigten Bauarbeiter das monumentale Werk. Der Ottweiler Restaurator Manfred Schöndorf beseitigte 1996 den nicht unerheblichen Schaden.

Und jetzt wieder zur Uhr, beziehungsweise der Uhr, die nicht mehr vorhanden ist. Eric Schöndorf, Sohn von Manfred Schöndorf, der den Betrieb seines Vaters weiterführt, ist sehr unzufrieden. Sein Vater und der Künstler hätten sich gut gekannt. „Germer hat meinem Vater erklärt, was die von ihm in das Wandgemälde eingefügte Uhr zu bedeuten hat, nämlich: „Zeit vergeht, Kunst bleibt“ (Zitat Ernst Germer)“. Diese Uhr sei bei der Restaurierung des Gemäldes 1996 „natürlich“ belassen worden, berichtet Schöndorf Junior, „ wir haben sie sogar mit einem Funkuhrwerk versehen“. Dass diese zum Kunstwerk gehörende Uhr nun nicht mehr da ist, kann sich Schöndorf nicht erklären. „Sie wurde wohl aus Unwissenheit entfernt, weil behauptet wurde, sie gehöre nicht original zum Bild“, mutmaßt der Restaurator. Und ganz plötzlich, im Beuys-Jubiläumsjahr (100 Jahre wäre er in diesem Jahr geworden), fällt einem die Geschichte der „Fettecke“ ein, die ein eifriger Hausmeister in der Düsseldorfer Kunstakademie entfernt hatte.

Aber zurück zu Germer. Er arbeitete als Künstler, Kunsterzieher und Hochschullehrer. Von 1928 bis 1939 war Kunsterzieher an der Aufbauschule in Ottweiler. Er war maßgeblich beteiligt am Aufbau eines Hochschulinstituts für Kunst und Werkerziehung an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk Saarbrücken. 1984 verlieh ihm die Regierung des Saarlandes den Titel eines Professors für Kunsterziehung an der Pädagogischen Hochschule, wo er zwischenzeitlich auch das Amt des Rektors und Prorektors ausübte. 1987 starb er in Trippstadt.

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