Zartheit und Ausgelassenheit

St. Ingbert. Liebeslieder in der Kirche? Das hätten sich weder Schumann noch Brahms träumen lassen, als sie im vorletzten Jahrhundert das "Spanische Liederspiel" oder die "Liebesliederwalzer" komponierten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Und so konnten die St

St. Ingbert. Liebeslieder in der Kirche? Das hätten sich weder Schumann noch Brahms träumen lassen, als sie im vorletzten Jahrhundert das "Spanische Liederspiel" oder die "Liebesliederwalzer" komponierten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Und so konnten die St. Ingberter Freunde des Chorgesangs am Sonntag wieder einem anspruchsvollen Programm des renommierten Pardall-Chores lauschen, diesmal in der Christuskirche. "Will dich lehren was von Liebe", so nannte Hannelotte Pardall ihre romantische Liedertafel. Als Entree präsentierte der Chor zwei lebendige Lieder von Liebeslust und -schmerz aus der Feder Robert Schumanns, Stücke von großem Nuancenreichtum, den die Sänger mit hoher Präzision realisierten. Das weitere Programm bis zur Pause hätte unter dem Motto "Warten auf Brahms" stehen können. Man wusste ja, dass es neben den Wagnerianern auch die Brahmsianer gab - zum Unmut ihres Idols. Hier konnte man zwei von ihnen als Komponisten erleben. Zu hören waren Chorsätze von Robert Kahn und Gustav Jenner, beide Jahrgang 1865 - und beide Schüler und Verehrer des Meisters. Farbiger KlangteppichKarin Olivieri am Flügel begleitete die Stücke einfühlsam und setzte zugleich ein instrumentales Gegengewicht zu den spätromantischen vokalen Entladungen. Nach der Pause wurde sie darin souverän unterstützt von Martin Galling. Vierhändig breiteten sie einen farbigen Klangteppich für den Chor aus, der sich jetzt auch sicht- und hörbar wohler fühlte; denn auf dem Programm standen im zweiten Teil die Liebesliederwalzer von Johannes Brahms: der erste Zyklus komplett, der zweite in Ausschnitten. Es ist bei jedem Hören neu zu bestaunen, was man aus einem Dreivierteltakt alles machen kann - wenn man Brahms heißt: Er reichert die exotisch-erotischen Texte von Georg Friedrich Daumer mit einer Fülle von Gefühlswerten an, von tiefer Melancholie bis zu schäumendem Übermut. Diese Lieder gehören zu seinen besten Stücken und sind in ihrem Erfindungsreichtum und ihrer Vielfalt seiner instrumentalen Kammermusik ebenbürtig. Dabei lebt der erste Zyklus mehr von seiner Vitalität, der zweite enthält die größere harmonische Raffinesse. Die Dirigentin hatte dem Chor eine zusätzliche Hürde gebaut: Die Sänger waren nicht nach Stimmlagen gruppiert, sondern gemischt verteilt, was hohe musikalische Sicherheit erfordert, aber eine besondere Klanghomogenität erzeugt. Dass es gelungen ist, zeugt von einer in harten Proben erarbeiteten stimmlichen Balance des Chores. Eine weitere Delikatesse: Zur Auflockerung wurden einige Stücke von einzelnen Sängern solistisch ausgeführt Der Einsatz der Soli war so dezent dosiert, dass die Sänger ihre stimmlichen Vorzüge zeigen konnten und behutsam bis an ihre Grenzen geführt wurden, ohne sie überschreiten zu müssen.So wurden die Brahmsschen Liebesliederwalzer zu einem Fest des Chorgesangs voller Nuancen, von großer Zartheit bis hin zu derber Ausgelassenheit - was das Thema Liebe alles hergibt, aber ohne dass die Kontrolle auch nur einen Moment verloren gegangen wäre. Die Garantin dafür war Hannelotte Pardall. Das aufmerksame Publikum wusste all dies zu würdigen und erklatschte sich eine Reihe von Brahms-Zugaben.

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