Wollspinnerei bestimmte ihr Arbeitsleben

St. Ingbert. Laut und staubig war es in den Etagen der Alten Baumwollspinnerei, als dort noch Garn produziert wurde. Laut, staubig - viele Beschäftigte in den verschiedenen Stockwerken unterwegs. So beschreibt Karl Bastian das Leben vergangener Produktions-Jahrzehnte in dem alten Gemäuer

 Gertrud und Karl Bastian vor ihrem ehemaligen Arbeitsplatz, der St. Ingberter Baumwollspinnerei. Foto: Jörg Vogelgesang

Gertrud und Karl Bastian vor ihrem ehemaligen Arbeitsplatz, der St. Ingberter Baumwollspinnerei. Foto: Jörg Vogelgesang

St. Ingbert. Laut und staubig war es in den Etagen der Alten Baumwollspinnerei, als dort noch Garn produziert wurde. Laut, staubig - viele Beschäftigte in den verschiedenen Stockwerken unterwegs. So beschreibt Karl Bastian das Leben vergangener Produktions-Jahrzehnte in dem alten Gemäuer. Der denkmalgeschützte Bau soll sich in den kommenden Monaten in ein Kulturzentrum verwandeln - mit Strahlkraft weit über St. Ingbert hinaus. Seit 15 Jahren steht die Fabrik in weiten Teilen leer.

Ihre Vergangenheit ist kaum noch kenntlich. Und mit dem Umbau werden die Jahrzehnte der Produktion von Garn und Zwirn weiter in Vergessenheit geraten. Für Karl Bastian und seine Frau Gertrud war die Fabrik allgegenwärtig. Sie wohnten und wohnen in der Bahnhofstraße. Dort, in einem lange abgerissenen Haus, ist der gelernte Elektriker auch geboren. 81 Jahre ist Karl Bastian heute, seine Frau hat gerade den 76. Geburtstag gefeiert.

Prozess der Elektrifizierung

Der Elektriker hatte 1952 in der Spinnerei begonnen. Die Elektrifizierung stand damals an, berichtet er. Die Maschinen wurden nach und nach vom Antrieb über Dampfmaschinen auf elektrischen Strom umgestellt. Es gab einen Meister, der sich darum kümmerte. Aber die Arbeit war für einen Mann alleine zu viel. So kam Bastian zu seinem Job auf dem Gelände, das ihn über ein halbes Jahrhundert beschäftigt hat. 1954 heiratete er seine Frau Gertrud. Sie arbeitete im Erdgeschoss an einer Kämmmaschine.

Den Arbeitsprozess schildert Bastian so: Im Keller wurden die Baumwollballen - über 300 Kilogramm schwer - aufgebrochen und gesäubert. Über einen kleinen Aufzug kam das Material ins Erdgeschoss auf Kämmmaschinen und Bandstock. Im Erdgeschoss in mehreren Zyklen gestreckt und gesäubert, ging es in den ersten Stock auf weitere Maschinen, die immer feinere Fäden produzierten, bis es schließlich im zweiten Obergeschoss auf großen Spinnmaschinen die endgültige Form erhielt und zur Verpackung wieder in den Keller transportiert wurde. Auch Schlosser, Schreiner und Kistenmacher waren in der Fabrik unterwegs.

In den guten Jahren, berichtet Bastian, wurde Tag und Nacht gearbeitet: "Wenn nachts ein Motor ausfiel, wurde ich gerufen. Wir wohnten ja immer neben der Spinnerei. Aber das kam nicht so oft vor." Die guten Jahre der Baumwollspinnerei, erinnert sich der St. Ingberter, brachten rund 350 Menschen Lohn und Brot. 300 davon seien Frauen gewesen. Ein wenig Stolz schwingt mit, wenn er von den frühen Jahren seines Arbeitsleben spricht: "Wir waren die beste Baumwollspinnerei in Nordfrankreich." Doch weil im Süden Deutschlands nach dem Krieg neue Fabriken entstanden, weil aus dem Ausland billige Importware kam, ging die Entwicklung in den 50er Jahren rückwärts. Aus drei Schichten wurden zwei, und in den frühen 60er Jahren zeichnete sich das Ende der Fabrik ab. Die meisten Maschinen, sagt Bastian, wurden verschrottet. Sie waren nicht mehr auf dem Stand der Technik.

Immerhin - als die Bundeswehr den stattlichen Bau übernahm, blieb Bastian als Hausmeister an Bord. Und auch der nächste Besitzer, Werner Deller, der die Vision eines kulturellen Zentrums hatte und sich heute das Eigentum mit der Stadt St. Ingbert teilt, war um die Dienste des Elektrikers froh.

Hintergrund

1885 wurde die Wollspinnerei - zumindest der erste, kleinere Teil, erbaut. 1900 kam die Erweiterung, die das Volumen auf den heutigen Stand gebracht hat. Auch das Baumwolllager ist aus dieser Zeit. In den 1930er Jahren kam das Kesselhaus mit dem Kohlebunker dazu. 1951 das Trafohaus. Die Elektrifizierung der Maschinen brachten den St. Ingberter Karl Bastian ins Spiel. Er war in dem Unternehmen mit einem Meister dafür zuständig, das Umrüsten von der Dampfmaschine auf Stromgeneratoren zu bewerkstelligen.

1964 stellte die Baumwollspinnerei ihren Betrieb ein. Die Bundeswehr kaufte das Gebäude und nutzte es als Sanitätsdepot. Karl Bastian blieb. Als Hausmeister mit handwerklichen Tätigkeiten. Und als 1997 die Bundeswehr ging und Werner Deller das denkmalgeschützte Gemäuer mit seinen 10 000 Quadratmetern übernahm, behielt er Bastian ebenfalls als Mann, der nach dem Rechten sehen konnte, weil er auch heute noch in Sichtweite in der Bahnhofstraße wohnt. mbe

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