Wolf-Dieter Legall erzählt von seinem Leben in der DDR

St. Ingbert. Kann man sich das Leben in einer Diktatur vorstellen? Mehr als hundert Schülerinnen und Schüler der Fachoberschule und der Berufsschule des BBZ St. Ingbert können diese Frage jetzt mit "Ja" beantworten. Am BBZ St. Ingbert hat ein Sozialkundeunterricht stattgefunden, den Lehrer und Schüler so schnell nicht vergessen werden

St. Ingbert. Kann man sich das Leben in einer Diktatur vorstellen? Mehr als hundert Schülerinnen und Schüler der Fachoberschule und der Berufsschule des BBZ St. Ingbert können diese Frage jetzt mit "Ja" beantworten. Am BBZ St. Ingbert hat ein Sozialkundeunterricht stattgefunden, den Lehrer und Schüler so schnell nicht vergessen werden. Wolf-Dieter Legall, ehemaliger Staatssekretär aus Dresden, ließ sie teilhaben an seinen Erinnerungen an die Flucht aus Schlesien nach Naumburg an der Saale, wo 1945 die Amerikaner Schutz vor russischen Übergriffen zu gewähren schienen, bis sie sich nach Westen zurückzogen, und den zweijährigen Wolf-Dieter mit seiner Mutter in der dann sowjetischen Besatzungszone zurückließen.Der Vortrag bot eine gelungene Mischung von Information und Emotion, von Aufklärung über Verbrechen eines Staates an seinen Bürgern und von immer noch spürbarer Wut über Unmenschlichkeiten, wenn Menschen ohne Urteil verschleppt wurden, Müttern ihre Kinder abgenommen wurden und "politisch zuverlässigen" Eltern zur Adoption angeboten wurden, lösten bei den Schülern Neugier und Betroffenheit gleichermaßen aus. Dass die 17- bis 19-Jährigen den ganzen Vortrag überaus konzentriert verfolgten, kein Geräusch war zu hören und keine Tüte raschelte, zeigte, dass dieser Zeitzeuge etwas zu berichten hatte, was die jungen Leute fesselte. Und so ließ er 40 Jahre nicht nur ost-deutsche Geschichte Revue passieren, immer aus dem Blickwinkel des aufmerksamen Beobachters, der es abgelehnt hatte, sich mit dem Unrechtsstaat gemein zu machen. Und er wies auf die Widersprüche und Brüche im System der DDR hin, wenn er deutlich machte, dass die "Diktatur des Arbeiter- und Bauernstaates" Intershopläden eröffnete, in denen die wenigsten Arbeiter einkaufen konnten, weil sie fast alle kein Westgeld hatten. Es war beklemmend und erhellend, wenn Legall berichtete, wie er diese Läden betrat, weil er die Farben aus dem Westen sehen und die Gerüche und Düfte riechen wollte, denn mehr gab es für ihn nicht. Oder wenn deutlich wurde, wie die Mauer 1961 seinen Traum von einem Studium im Ausland zerstörte, dass aber auch 40 Prozent eines Abiturjahrgangs gleich nach dem Abi die DDR verließen. Doch diskutierte Legall nicht nur über die Zeit der Diktatur. Mindestens ebenso spannend fand das junge Publikum den Bericht vom Sturz des Systems. Wie von Mal zu Mal die Teilnehmerzahlen an den Montagsdemos in Leipzig stiegen, wie Soldaten und Polizisten in Gewissenskonflikte gerieten, weil sie bei einem Schießbefehl nicht gewusst hätten, ob sie nicht vielleicht auf die eigene Frau oder die eigenen Kinder hätten schießen sollen. Wie sich die Demonstranten auf den Weg zur Demonstration gemacht haben, obwohl sie wussten, dass die Staatsmacht bereits Blutkonserven für die Versorgung von Schussverletzten bereitgestellt hatte oder Sportstadien mit Stacheldraht in zusätzliche Gefängnisse für große Menschenmassen umfunktioniert hatte. Aber auch die tiefe Bewegung, die Legall erlebte, als er das erste Mal die am 9. November geöffnete Grenze überquerte und mit wildfremden Mensch gefeiert hat, die die Menschen von "drüben" willkommen hießen. "Wir haben im Fernsehen schon viel über die Zeit der Wende gelernt, aber jemanden kennen zu lernen, der so hautnah dabei war, der selbst in Haft war, das ist etwas ganz anderes", meinte etwa Carsten Hanschke, Schüler des BBZ. red "Von jemandem, der die Zeit selbst hautnah erlebt hat, erfährt man doch mehr als aus dem Fernsehen."Carsten Hanschke, Schüler des BBZ

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