Stirnrunzeln schon beim Händeschütteln

St. Ingbert · Beschäftigte des Caritas-Zentrums Saarpfalz haben an einer intensiven Schulung zur Verbesserung ihrer interkulturellen Kompetenz teilgenommen. Anlass waren die gestiegenen Anforderungen und offenen Fragen in der Migrations- und Flüchtlingsarbeit. Gearbeitet wurde in drei Gruppen an jeweils zwei Vormittagen in Homburg und St. Ingbert.

 Rollenspiel: Migrationsberaterin Anna Schabert (rechts) will einem Flüchtling zur Begrüßung die Hand geben, der jedoch aus religiösen Gründen zögert. Im Hintergrund: Professor Jürgen Beneke vom Interkulturellen Kompetenzzentrum Rheinland-Pfalz. Foto: Dieter Schmitt

Rollenspiel: Migrationsberaterin Anna Schabert (rechts) will einem Flüchtling zur Begrüßung die Hand geben, der jedoch aus religiösen Gründen zögert. Im Hintergrund: Professor Jürgen Beneke vom Interkulturellen Kompetenzzentrum Rheinland-Pfalz. Foto: Dieter Schmitt

Foto: Dieter Schmitt

"Zu mir kommen viele syrische Flüchtlinge in die Beratung, die mir als Frau nicht die Hand geben", berichtet Anna Schabert aus ihrem Alltag in der Migrationsberatung. "Wie gehe ich damit um?" Die Frage stellt sie im Workshop, organisiert vom Interkulturellen Kompetenzzentrum Rheinland-Pfalz (IKOKU). Der wissenschaftliche Leiter des Zentrums, Professor Jürgen Beneke, warnt, das Verhalten des Flüchtlings reflexhaft als bewussten Affront zu werten. "Der Islam verbietet den Händedruck zwischen Nicht-Verheirateten", klärt er auf. "Flüchtlinge wissen daher nicht, wie sie mit deutschen Frauen umgehen sollen. Für sie ist es ein Schock, wenn eine Frau auf sie zugeht."

Im konkreten Fall rät er zu Besonnenheit und Aufklärung im Gespräch. "Den Händedruck zu erzwingen, bringt nichts. Aber es ist wichtig, klar zu machen, dass wir hier in Deutschland leben und hier zu Lande Männer und Frauen ein anderes Verhältnis zueinander haben als in Syrien." Es gelte das Grundgesetz als zentrale Orientierungsgröße, das unter anderem die Gleichheit von Mann und Frau garantiert.

Der Experte stellt mehrere weitere Situationen im Workshops nach. Ob Homosexualität, Blickverhalten oder Abstandsverhalten im Gespräch - immer schlagen die in der Kindheit erlernten kulturellen Muster durch, referiert Beneke. Caritas-Mitarbeiterin Anna Schabert bestätigt aus ihrer Beratungspraxis, dass ihr schon mehrfach Flüchtlinge gefühlsmäßig etwas zu nah kamen. "Flüchtlinge müssen erst lernen, welche Spielregeln hier gelten. Was als normal gilt. Was man hier erwartet." Dabei gehe es nicht darum, dass die Asylsuchenden ihre bisherige Kultur ablegen, sondern in Deutschland geltende und erwartete Verhaltensweisen erlernen. "Wichtig ist, mit den Flüchtlingen darüber offen zu sprechen und ihnen, wenn nötig, auch klarzumachen, dass sie andernfalls keine Chance haben, in einer Firma angestellt zu werden."

Die Anregung zu der Fortbildung kam aus den eigenen Reihen. In einer Mitarbeiterbefragung hatten mehrere Beschäftigte konkrete Situationen beschrieben, in denen sie sich unsicher fühlten. "Es stellen sich auf Grund der unterschiedlichen kulturellen Prägung immer öfter Fragen", berichtet der Leiter des Caritas-Zentrums Saarpfalz, Andreas Heinz. "Auf diese Fragen brauchen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Antworten."

Rasch war klar: Das gemeinnützige Interkulturelle Kompetenzzentrum Rheinland-Pfalz mit Sitz in Kusel hat genau das richtige Seminar im Weiterbildungsangebot, wenn es um interkulturelle Unterschiede und den richtigen Umgang bei möglichen Konflikten geht. Um ein gutes Lernklima zu garantieren, gab es drei Gruppen, die an jeweils zwei Vormittagen in St. Ingbert und in Homburg zusammenkamen.

Am ersten Seminartag ging es zunächst etwa um Grundlagen der Interkulturellen Kommunikation, um Religionsverständnis und Körpersprache. Am zweiten Tag folgten unter anderem Rollenspiele und vor allem Praxisbeispiele sowie eigene Erfahrungen - und zwar nicht nur problematische. "Wir hatten knapp ein Jahr lang eine Muslimin im Freiwilligen Sozialen Jahr", erzählt Jennifer Leidel aus der offenen Kinder- und Jugendarbeit. "Sie war in unserem Kinderhaus in St. Ingbert und unserem Kinderzentrum in Homburg tätig. Wir haben durch sie bereits viel über Muslime und ihre Religion erfahren und gelernt."

Aus den Workshops für die Caritas-Beschäftigten geht niemand mit fertigen Rezepten und endgültigen Antworten raus. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten vielmehr, tauschten sich untereinander und mit dem Experten aus. "Wir muten den Flüchtlingen durch unsere deutschen Anforderungen im Alltags- und Berufsleben einen enormen Kultursprung über Jahrhunderte zu", bilanziert Professor Beneke.

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