Triathlon statt Freiwasser-EM Aus dem Freiwasser in den Gartenpool

Exklusiv | St. Ingbert · Weil die Europameisterschaft der Freiwasserschwimmer im Mai abgesagt wurde, wurde Sarah Bosslet kreativ. Im heimischen Gartenpool, mit dem Rad durch den Bliesgau und zu Fuß um den Rohrbacher Weiher absolvierte sie einen Triathlon 70.3. Eine Herausforderung, der sie sich noch nie gestellt hatte.

  2017 nahm   Sarah Bosslet erstmals    an der Weltmeisterschaft der Freiwasserschwimmer in Balatonfürd (Ungarn) teil. In Ungarn hätte die St. Ingberterin im Mai erneut über die 25 Kilometer ins Wasser steigen sollen. Doch die Europameisterschaft, für die sie sich qualifiziert hatte, wurde wegen Corona zuerst verschoben – und dann für dieses Jahr komplett abgesagt.       Foto: Heimken/dpa

2017 nahm Sarah Bosslet erstmals an der Weltmeisterschaft der Freiwasserschwimmer in Balatonfürd (Ungarn) teil. In Ungarn hätte die St. Ingberterin im Mai erneut über die 25 Kilometer ins Wasser steigen sollen. Doch die Europameisterschaft, für die sie sich qualifiziert hatte, wurde wegen Corona zuerst verschoben – und dann für dieses Jahr komplett abgesagt. Foto: Heimken/dpa

Foto: dpa/Axel Heimken

Der Freiwasser-Wettbewerb der Schwimm-Europameisterschaft in Ungarn Ende Mai hätte für Sarah Bosslet nicht nur der Saisonhöhepunkt werden sollen. Sondern auch der erste Schritt vom Abschied aus dem Leistungssport. „Den einen oder anderen Weltcup hätte ich womöglich noch drangehängt. Dann wäre Schluss gewesen. Das war der Plan“, sagt die 26-Jährige St. Ingberterin, eine der besten Freiwasserschwimmerinnen Deutschlands. Doch dann kam Corona – und aus dem Plan wurde nichts.

Die Titelkämpfe wurden zunächst in den August verschoben, dann auf das kommende Jahr. Ob Bosslet das Karriereende nun nach hinten verschiebt, hat sie noch nicht entschieden. Denn eigentlich wollte sie bald in den Schuldienst einsteigen, das Staatsexamen in den Fächern Mathematik und Biologie hat sie im letzten November abgelegt. Um ihren Sport noch länger ausüben zu können, hatte sie noch das Fach Englisch angehängt. Dennoch lag der Beginn ihres Referendariats bereits in Sichtweite.

Bei der EM in Ungarn wäre Bosslet über die Distanz von 25 Kilometern in den Lupa Lake bei Budapest gestiegen. Ein wenig weiter südlich, im Plattensee, hatte sie 2017 an ihrer ersten Weltmeisterschaft teilgenommen, wurde damals 14. Dass sportliche Großveranstaltungen weltweit ins Wasser fallen und es deshalb zunächst kein Wiedersehen mit der ungarischen Hauptstadt geben wird, sei „schmerzhaft – aber verständlich“, sagt Bosslet. Sie ergänzt: „Es war recht früh absehbar, dass die EM im Mai nicht stattfinden kann. Ich bin ein rationaler Mensch und konnte mich darauf einstellen. ich kann damit leben.“

Nicht damit leben konnte die 26-Jährige damit, während des Lockdowns auf der faulen Haut zu liegen. Bosslet, die in ihrer Karriere unter anderem an Wettkämpfen in Kanada, Hong Kong, China, Argentinien, Doha und Südafrika teilgenommen hat, lebt und trainiert mit einer Schwimmgruppe im französischen Montpellier unter Philippe Lucas. Der Star-Trainer gilt als einer der härtesten Übungsleiter im Schwimm-Geschäft. „Am ersten Tag hatte ich noch Angst vor ihm. Manchmal bin ich so platt, dass ich schon um 20 Uhr schlafe“, hatte die St. Ingberterin beim Beginn der Zusammenarbeit Anfang 2019 gesagt. „Vielleicht ist ja sein Training ein wenig Mitschuld, dass mir ohne Sport etwas fehlt. Dass ich immer eine Herausforderung brauche“, sagt Bosslet und muss schmunzeln.

Als die Corona-Pandemie Frankreich erreichte, ging sie zunächst mit einer Trainingskollegin im Meer schwimmen. Doch die Ausgangsbeschränkungen wurden immer rigider. „Laufen war nur noch im Umkreis von einem Kilometer zur eigenen Wohnung erlaubt. Und das auch nur eine Stunde lang. „Das reicht mir aber einfach nicht“, sagt Bosslet.

Gut schlafen konnte sie in jener Zeit nicht. „Ich bin nachts aufgewacht und habe darüber gegrübelt, was ich als Ausrede vorbringen kann, wenn ich doch mal weiter von zu Hause entfernt beim Sport erwischt werde. Das hat schon an Verfolgungswahn gegrenzt“, erzählt die Freiwasser-Schwimmerin, die sich deshalb entschloss, zu ihren Eltern nach St. Ingbert zurückzukehren.

Zwar waren auch die Schwimmhallen im Saarland geschlossen. Doch zumindest außerhalb des Schwimmbeckens waren dem Bewegungsdrang von Bosslet weniger Grenzen gesetzt. Rudern im heimischen Kraftraum und Laufen im St. Ingberter Wald standen genauso auf dem Programm wie Radtouren von bis zu 200 Kilometern. Und ganz auf ihr Element, das Wasser, musste sie auch nicht verzichten. Bosslet schwamm in einem kleinen Stahlpool im Garten der Eltern, verbunden mit einem flexiblen Seil an einem Baum, um den Wasserwiderstand zu simulieren.

Was fehlte, war die sportliche Herausforderung. Und diese setzte Bosslet sich dann selbst. Als sie in Ungarn über 25 Kilometer ins Freiwasser hätte steigen sollen, absolvierte sie einfach einen Wettkampf, der ähnlich lange dauert. Einen Triathlon 70.3. Das heißt: 1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Radfahren und zum Abschluss 21 Kilometer Laufen. Das Besondere: Einen solchen Triathlon hatte Bosslet noch nie bestritten. Als Kind hatte sie zwar an der einen oder anderen Nachwuchsveranstaltung teilgenommen – ihre Eltern Sabine und Klaus organisieren seit Jahren den Triathlon der SG DJK St. Ingbert – doch ein Triathlon über die halbe Ironman-Distanz war eine neue Erfahrung für die Schwimmerin. „Ich konnte ja schlecht 25 Kilometer in dem kleinen Pool zurücklegen. Das wäre auf Dauer etwas langweilig geworden“, sagt Sarah Bosslet und lacht. Immerhin rund zwei Kilometer schwamm sie dann aber doch in dem kleinen Metallbecken. Weil die zurückgelegte Distanz sich beim Schwimmen an dem Seil nicht messen ließ, schwamm Bosslet einfach so lange, wie sie im Freiwasser für die Strecke gebraucht hätte.

Danach ging es raus aus ihrem Element – und rauf auf das Rad. Von St. Ingbert fuhr sie über Homburg, Blieskastel und Gersheim nach Saarwellingen – und dann über Fechingen wieder zurück. „Erst 20 Kilometer Rückenwind – dann 70 Kilometer Gegenwind – und zwar richtig heftigen“, beschreibt Bosslet ihre Fahrt durch den Bliesgau. Zum Abschluss stand dann der Halbmarathon auf dem Programm – und auch einen solchen war Bosslet zuvor noch nicht gelaufen. Sie drehte Runden um den Rohrbacher Weiher, bis die 21 Kilometer abgelaufen waren. „Hart“ sei das gewesen, „aber nicht so hart wie die letzten Kilometer im Freiwasser. Das ist ein richtiger Kampf“, erzählt Bosslet, die mit ihrer Zeit von 5 Stunden und 25 Minuten, nach der sie die heimische Haustür wieder erreicht hatte, „ganz zufrieden“ war.

Anfang Juni ist die 26-Jährige wieder nach Frankreich zurückgekehrt. Denn dort dürfe sie mittlerweile wieder in der Schwimmhalle trainieren – im Saarland hingegen nicht. Weil sie sich im letzten Jahr verletzt hatte, ist sie nicht mehr Teil des deutschen Nationalkaders – deswegen bleibt die Schwimmhalle des Olympiastützpunktes in Saarbrücken, an dem Spitzenathleten seit Ende April eigentlich wieder trainieren dürfen, für sie geschlossen. Eine kuriose Situation: schließlich ist Bosslet eine der acht Athletinnen und Athleten, die die deutschen Farben bei den Freiwasser-Wettbewerben der Europameisterschaft hätte vertreten sollen. „Ganz verstehen kann ich das nicht. Auch weil das am Stützpunkt eine Riesenhalle ist, in der sich die Hygieneregeln locker einhalten lassen.“

Wie lange sie nun in Frankreich bleiben möchte? „Bis die zweite Corona-Welle kommt, von der gehe ich aus“, sagt Bosslet. Die weitere Entwicklung der Pandemie will sie abwarten, bevor sie die Entscheidung trifft, ob sie ihre Laufbahn als Leistungsschwimmerin noch einmal verlängert. Für die Europamameisterschaft müsste sie sich dann womöglich erneut qualifizieren. „Ich glaube aber nicht, dass das ein Problem wäre“, sagt sie selbstbewusst.

Im Hinblick auf Corona denkt die St. Ingberterin auch an Athleten aus der ganzen Welt, bei denen große Unsicherheit herrscht. „Wenn die Olympischen Spiele nächstes Jahr ganz abgesagt werden müssten, wäre das ein schwerer Schlag für die Sportwelt“, sagt sie. Dass in diesem Jahr noch Schwimm-Wettkämpfe stattfinden können, kann sie sich nicht vorstellen.

 „20 Kilometer Rückenwind – dann 70 Kilometer Gegenwind. Und der war heftig.“ So beschreibt Sarah Bosslet“ die Radstrecke durch den Bliesgau, die sie im Rahmen ihres Triathlons zurücklegte.

„20 Kilometer Rückenwind – dann 70 Kilometer Gegenwind. Und der war heftig.“ So beschreibt Sarah Bosslet“ die Radstrecke durch den Bliesgau, die sie im Rahmen ihres Triathlons zurücklegte.

Foto: Bosslet/privat
 Angesichts geschlossener Schwimmhallen ist Kreativität gefragt: Mit einem elastischen Seil, das an einem Baum befestigt ist, trainierte Sarah Bosslet in Corona-Zeiten in einem Stahlpool im Garten der Eltern.

Angesichts geschlossener Schwimmhallen ist Kreativität gefragt: Mit einem elastischen Seil, das an einem Baum befestigt ist, trainierte Sarah Bosslet in Corona-Zeiten in einem Stahlpool im Garten der Eltern.

Foto: Bosslet/privat
 Nach ihrem Triathlon wurde Sarah Bosslet im heimischen Garten geehrt. Die Medaille verlieh Papa Klaus.

Nach ihrem Triathlon wurde Sarah Bosslet im heimischen Garten geehrt. Die Medaille verlieh Papa Klaus.

Foto: Bosslet/privat

Und was wenn die zweite Corona-Welle wie befürchtet tatsächlich anrollt und Sarah Bosslet aus dem französischen Montpellier wieder ins heimische St. Ingbert getrieben wird? „Dann suche ich mir eine neue Herausforderung. Aber der Pool im Garten muss es dann nicht mehr sein – von dem habe ich vorerst genug“ sagt Bosslet und muss wieder lachen.

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