St Ingbert In welchem Alter geht es noch aufs Dach?

St Ingbert · Eintritt in den Ruhestand mit 63 Jahren? Das fänden viele ältere Arbeitnehmer gut. Die Bundesregierung will aber gegensteuern. Das sagen St. Ingberter Handwerker dazu.

Franz Wulfinghoff arbeitet mir 55 Jahren noch auf dem Dach. Aber er merkt, dass es ihm immer schwerer fällt.

Franz Wulfinghoff arbeitet mir 55 Jahren noch auf dem Dach. Aber er merkt, dass es ihm immer schwerer fällt.

Foto: Peter Gaschott

Mit 67 Jahren geht keiner mehr aufs Dach. Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Umfrage bei den St. Ingberter Dachdeckerbetrieben. Wenn auch die Bundesregierung an Plänen feilt, das Renteneintrittsalter generell auf 67 Jahre festzusetzen, im Handwerk kann man darüber „nur müde lächeln“, wie uns gesagt wurde. Tatsächlich gibt es Betriebe, die Arbeitnehmer beschäftigen, die deutlich über 60 Jahre alt sind. Oft genug sind diese allerdings langzeitkrank, andere sind in Betriebsbereichen eingesetzt, in denen sie nicht mehr körperliche Höchstleistungen erbringen müssen.

Der St. Ingberter Dachdecker Gries beschäftigt zwei Mitarbeiter, die über 60 sind. Wie Joachim Gries uns sagt, gehen sie auch regelmäßig noch aufs Dach. Das ist allerdings die große Ausnahme. In anderen Betrieben ist die Altersstruktur erheblich jünger, „wenn überhaupt Mitarbeiter da sind“, so sagt es uns Jürgen Agne. Er ist beim Dachdecker-Einkauf in St. Ingbert im Verkauf beschäftigt. „Es haben jede Menge Betriebe in den vergangenen Jahren dichtgemacht. Es fehlt einfach der Nachwuchs. Jahrzehntelang wurde zu wenig ausgebildet, das rächt sich jetzt. Und wer mit 55 noch auf dem Dach ist, der schaut zu, dass er sich so langsam nach unten schafft“, erzählt uns der Verkäufer, der sie alle kennt, die auf den Dächern der Region herumklettern. In diesem Alter werde es schwierig, Rücken und Gelenke machen dann Probleme.

Michael Kempf, Inhaber eines Holzbaubetriebes, bestätigt diese Einschätzung. „Die Idee der Regierung ist nicht der Brüller“, sagt uns Kempf. Schon mit 65 sei es richtig hart im Handwerk, und kaum einer erreiche dieses Alter im Beruf.

Stefanie Jakobs führt gemeinsam mit ihrem Ehemann einen Dachdeckerbetrieb in Rentrisch. Neun gewerbliche Mitarbeiter hat die Firma. Im vergangenen Jahr ging ein Dachdecker mit 64 in Rente, ein weiterer, der 58 Jahre alt war, erhielt ebenfalls die vorgezogene Rente. „Mit 55 geht das im Allgemeinen los, dass man das Alter im Handwerk massiv merkt. Dass in unserer Branche einer wirklich bis 67 durchhalten würde – ich halte es nicht für realistisch“, so Jakobs zu unserer Zeitung.

Franz Wulfinghoff gibt ihr Recht – er arbeitet seit über 20 Jahren beim Mandelbachtaler Dachdeckerbetrieb Dirk Freude. 55 Jahre alt ist er, so allmählich fällt es immer schwerer, aufs Dach zu gehen. Dass er sein Rentenalter aktiv im Beruf erreicht – er hält es für ausgeschlossen. Aber, so sagt er uns, „wo soll ich denn hin? Ich will draußen arbeiten, ich habe sogar ein Praktikum in einem Industriebetrieb gemacht, aber das ist nichts für mich.“

 Wer im Winter dort oben auf dem Dach arbeitet, muss fit sein. Wenige ältere Handwerker sind diesen Anforderungen gewachsen.

Wer im Winter dort oben auf dem Dach arbeitet, muss fit sein. Wenige ältere Handwerker sind diesen Anforderungen gewachsen.

Foto: Peter Gaschott
Norbert Stadtherr wird bald 60 Jahre alt. Er führt einen Dachdeckerbetrieb in St. Ingbert. Die Pläne, das Rentenalter im Handwerk auf 67 festzusetzen, hält er für absurd.

Norbert Stadtherr wird bald 60 Jahre alt. Er führt einen Dachdeckerbetrieb in St. Ingbert. Die Pläne, das Rentenalter im Handwerk auf 67 festzusetzen, hält er für absurd.

Foto: Peter Gaschott

Norbert Stadtherr ist Geschäftsführer im eigenen Dachdeckerbetrieb. Außer ihm arbeiten dort noch vier Handwerker. Stadtherr wird bald 60. „Mein Renteneintrittsalter, so wurde mir mitgeteilt, liegt bei 66 Jahren und elf Monaten. Wenn ich das auf der Baustelle erreichen will, muss ich sehen, dass ich ernsthaft anfange, kürzer zu treten.“

Das Bauhandwerk ist massiv betroffen von den Plänen, das Rentenalter hochzusetzen. Mit rund 2000 Beschäftigten größter Arbeitgeber in diesem Bereich ist – weit über St. Ingbert hinaus – die Baugruppe Gross. Norbert Geyer, Personalchef der Baugruppe, zur Saarbrücker Zeitung: „Das gewerbliche Eintrittsalter liegt zwischen 16 und 18 Jahren. Wer dann vierzig Jahre lang hart körperlich arbeitet, wer dabei Wind und Wetter ausgesetzt ist, der ist oftmals mit 60 körperlich eingeschränkt. Der Übergang in die normale Altersrente ist für diese Menschen schwierig. Oft genug geht es los mit Rückenproblemen. Man hat immer öfter Schwierigkeiten, den täglichen Anforderungen gerecht zu werden. Die Folge ist Erwerbsminderung, es passiert oft, dass man langzeitkrank wird, man wird ausgesteuert.“ Keine Seltenheit, so Geyer, dass das Renteneintrittsalter nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit erreicht wird. Der Übergang in die normale Altersrente ist schon eher die Ausnahme.

„Für diese Arbeitnehmergruppe stellen die Pläne der Bundesregierung einen realen Einkommensverlust dar“, so Geyer. Das Unternehmen versuche, ältere Handwerker in Bereichen einzusetzen, in denen die körperliche Belastung geringer ist. Das gehe aber nur im begrenzten Umfang.

Geyer sieht für das Unternehmen insoweit schwierige Zeiten kommen, als „die Babyboomer jetzt ins Rentenalter kommen.“ In den späten fünfziger und sechziger Jahren wuchs die Bevölkerung enorm, diese Menschen werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. „Die Baugruppe Gross bildet bei ihren Arbeitnehmern die normale Alterspyramide ab, und wir merken, dass die altersbedingten Ausfallzeiten größer werden.“

Anders sieht es im Angestelltenbereich der Baugruppe Gross aus. Geyer: „Ältere Angestellte sind aus Arbeitgebersicht Wissensträger, die man halten will.“ Andererseits werde die vorgezogene Rente durch die Arbeitnehmer stark genutzt, in einzelnen Bereichen mit der Folge des Personalmangels. Geyer führt aus, dass die Möglichkeit des unbegrenzten Hinzuverdienstes für Rentner dazu führen werde, dass viele Angestellte zwar in Rente gehen werden, dann aber in anderen Beschäftigungsmodellen weiterhin für ihre früheren Arbeitgeber tätig sein werden.

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