,,Opfer der Armut kommen zu uns“

St Ingbert · Eindrücke aus einem Land mit drastischen Widersprüchen liefert zuverlässig der Deutsch-Rumänische Freundschaftskreis. Zu den Ärmsten zählen die Roma-Familien. Die Saarländer wollen auch ihnen helfen.

 Fehlende Bildung ist der Anfang allen Elends. Mädchen aus Roma-Familien verlassen nach der vierten Klasse die Schule, weiß der Deutsch-Rumänische Freundschaftskreis zu berichten. Fotos: DRFK

Fehlende Bildung ist der Anfang allen Elends. Mädchen aus Roma-Familien verlassen nach der vierten Klasse die Schule, weiß der Deutsch-Rumänische Freundschaftskreis zu berichten. Fotos: DRFK

 Vor allem in ländlichen Gebieten leben viele Kinder an oder unterhalb der Armutsgrenze.

Vor allem in ländlichen Gebieten leben viele Kinder an oder unterhalb der Armutsgrenze.

 Willi Gehring mit einem Schubkarren voll Hilfsgütern, auf die sich die Menschen riesig freuen – und die sie dringend brauchen.

Willi Gehring mit einem Schubkarren voll Hilfsgütern, auf die sich die Menschen riesig freuen – und die sie dringend brauchen.

Willi Gehring hat ein seltenes Talent: Er bringt allen Menschen denselben Respekt entgegen. Ob international gefeierter Konzernchef oder bettelarmer Analphabet - der Mann hört zu und bildet sich aus vielen Mosaiksteinchen seine eigene Meinung. Er fährt die feinen Antennen aus, fragt nach, hakt nach, bis er im Bilde ist.

Gehring lässt sich viel Zeit für ein Gespräch mit der SZ. Weil es ihm wichtig ist. Weil ihm die Menschen wichtig sind. ,,Die Armut wandert", sagt er, ,,wenn Armut nicht in ihren Herkunftsorten bekämpft wird, dann kommen die Opfer der Armut, nämlich die Menschen zu uns." Und das kann man heute schon besichtigen.

Der Bildstocker, Vorsitzender des Deutsch-Rumänischen Freundschaftskreises (DRFK), weiß wovon er redet. Er und seine treuen Mitstreiter - dazu zählt auch die THW-Landeshelfervereinigung - sind seit Jahren in westlichen, meist ländlichen Gebieten Rumäniens präsent, kennen die Lebensverhältnisse und die größten Probleme der Bevölkerung. Und sie kennen die Beweggründe für die aktuelle Armutswanderung. Was auch die Lebensverhältnisse einer bestimmten Bevölkerungsgruppe betrifft. ,,Auch wenn es manchem hierzulande und in Rumänien nicht gefällt: Wir haben uns zum wiederholten Mal intensiv mit der Lebenslage von Roma-Familien in Rumänien befasst", sagt Willi Gehring.

Es gehe darum, vor Ort, in den Wohngebieten der Roma , vor allem Hilfe für Kinder und damit auch für Familien zu leisten: ,,Man darf die Augen angesichts der Missachtung von Menschenrechten mitten in Europa nicht verschließen", sagt der DRFK-Vorsitzende. Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf, Arbeit, ,,in diesen Lebensabschnitten sind die großen Defizite zu finden, die Ursache für die dramatische Armut sind." Grundsätzlich nach der 4. Klasse würden Mädchen die Schule verlassen, seien dann bereits einer Familie für die Heirat ,,versprochen, wohnen ab dann in dieser Familie, werden dort zur Arbeit gezwungen und kommen aus ihrer Lebenssituation nicht mehr heraus." Familien und staatliche Stellen legten den Deckmantel des Schweigens darüber.

Natürlich, so der Bildstocker, müsse man auch bei uns zu Hause Armut bekämpfen, ,,aber das schließt die Armutsbekämpfung in einem geeinten Europa nicht aus - im Gegenteil." Apropos Europa: Man müsse leider feststellen, sagt der 65-jährige frühere CDU-Landtagsabgeordnete, dass viele EU-Finanzhilfen in Rumänien nicht zur Abhilfe der elenden Verhältnisse eingesetzt werden, sondern für infrastrukturelle Prestigeprojekte, die ausländischen Besuchergruppen gezeigt würden. ,,Oft machen solche Besuchergruppen aber einen großen Bogen um die drastischen Armutsprobleme in Rumänien . Und oft genug werden sie auch entsprechend bei der Programmplanung so gelenkt und bekommen die Wahrheiten nicht zu sehen und zu spüren."

Für Willi Gehring ist sonnenklar, was passieren müsste, um Änderungen herbeizuführen. Nicht-Regierungsorganisationen (ausländische Hilfsorganisationen) müssten mehr gehört und bei der Finanzierung ihrer konkreten Armutsprojekte unterstützt werden: ,,Es kann nicht sein, dass unsere Steuergelder beispielsweise über EU-Programme für die Restaurierung von historischen Stadtvierteln, Burgen und ähnliche Projekte ausgegeben werden, und die Hilfsorganisationen die Lebensmittelhilfe für die dort lebenden Menschen über Spenden finanzieren müssen". Der Deutsch-Rumänische Freundschaftskreis werde sein Bemühen ,,trotz des fehlerhaften Laufes der EU-Gelder" nicht aufgeben. Willi Gehring: "Die Menschen brauchen direkte Hilfe, aber auf Missstände müssen wir nachdrücklich hinweisen."

drfk.de

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