Wochenkolumne für St. Ingbert Nachdenken in Ruhe und Stille

Wenn vielen von uns diese schlimme Corona-Krise einen eher angenehmen Nebeneffekt beschert, dann sind es mehr Zeit und mehr Ruhe. Nicht wenige werden das durchaus als Wohltat empfinden: Ob im Büro wie im Homeoffice bei geöffnetem Fenster oder auch privat auf Balkon oder Terrasse genießen sie eine ungewohnte Stille.

 Carlo Schmude

Carlo Schmude

Foto: SZ/Robby Lorenz

Kaum Autos auf der Straße, kaum plaudernde, lachende oder schimpfende Mitmenschen, kaum sonstiger Lärm. Dieselbe Stille werden andere wiederum als beängstigend und bedrohlich empfinden. Vor allem jüngere und ganz junge Menschen kennen Stille in dieser Form ja bestenfalls in kurzen Zeiträumen von Urlauben an selbst ausgewählten Plätzen. Jetzt ist die Zeit der Ruhe und Stille fast überall und auch noch staatlich verordnet, und sie dauert auch schon länger als die meisten Urlaube.

So mancher wird diese Zeit zum Nachdenken nutzen, über das was ist, was vielleicht noch werden könnte und was vielleicht schon einmal war. Zu letzterem gehört zum Beispiel jener wunderbare Kinofilm von Anfang der 90er Jahre: „Der mit dem Wolf tanzt“ mit Kevin Costner als Soldat auf einem einsamen Militär-Vorposten in der Prärie Nordamerikas. Es sind nicht die Ruhe und Stille, die der Soldat zwangsweise genießen lernt, die die Erinnerung an gerade diesen Film wecken, sondern eine andere Szene. Auf der Flucht vor dem immer näher rückenden US-Militär sind die Indianer gezwungen, alte Stammesangehörige, die eine schnellere Flucht behindern, zurückzulassen. Mit etwas Verpflegung, Decken, aber letztlich schon aufgrund der Witterung zum Sterben verdammt. Das Wohlergehen der Minderheit wird dem der Mehrheit untergeordnet. Natürlicher Selbsterhaltungstrieb? So wie in dem oft gesehenen Tierfilm, in dem, ebenfalls in der Prärie Nordamerikas, einige Bisons den langsamsten ihrer Herde einfach umstoßen und so dem sie verfolgenden Wolfsrudel zum Fraß vorwerfen, um selbst entkommen zu können. Wenn das natürliches Verhalten ist, ist es die derzeitige Debatte über Ausmaß und Dauer der staatlich verordneten Ruhe und Stille auch. Aber eigentlich sollte die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts weiter sein als Indianer des 19. Jahrhunderts oder Wildrinder. Ob das so ist, darüber könnte uns dieses vermutlich zumindest mit Blick auf das Wetter herrliche vorösterliche Wochenende Aufschlüsse geben.

Optimistisch stimmen jedenfalls die Gastbeiträge von „Exil“-St. Ingbertern in unserer Zeitung. Sie treibt vor allem ihre Sorge um hier lebende (ältere) Angehörige um. Ihr Appell an ihre ehemaligen Mitbürger ist so eindringlich wie eindeutig: Verhaltet Euch solidarisch zu den alten und vorerkrankten Mitmenschen: #Bleibdehemm.

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