Kolumne Der Wählerwille bleibt ein Phänomen

Das Wahlergebnis in St. Ingbert irritiert. Das Stimmverhalten kann man als doppeltes „Weiter so“ deuten. Obwohl sich das beim Stadtrat und der Rathausspitze eigentlich ausschließt.

Kolumne von Manfred Schetting zur OB-Wahl
Foto: SZ/Robby Lorenz

Der festgelegte Auszählmodus – erst die OB-, dann die Stadtratswahl – hat am vergangenen Wahlsonntag für eigene Dramaturgie gesorgt. Mit den guten Ergebnissen in der OB-Wahl für den Amtsinhaber Hans Wagner deutete sich auch ein genereller politischer Wandel in St. Ingbert an. Hatte Wagner vor der Wahl im Redaktionsgespräch mit der SZ doch ausdrücklich betont, dass ihn der bisherige Stadtrat zu oft gebremst habe, weshalb er hoffte, dass der Wähler die Blockadehaltung der Mehrheitskoalition abstrafe. Die Hoffnung seiner beiden Gegenkandidaten Ulli Meyer (CDU) und Sven Meier (SPD) auf mehr Harmonie zwischen Stadtrat und Verwaltungschef schien nicht zu verfangen. Doch als dann auch das Ergebnis für den Stadtrat feststand, kam alles anders. Hans Wagners Sicht der Dinge war gestärkt, die Position seiner Kritiker aber auch.

Die Wähler in St. Ingbert sind ein Phänomen. In der Direktwahl zum Oberbürgermeisteramt sorgte die Stimmabgabe von 19 377 Wahlberechtigten dafür, dass es am Pfingstsonntag zu einer Stichwahl kommt. In die geht Amtsinhaber und CDU-Kontrahent Hans Wagner als knapper Sieger des ersten Wahlgangs und angesichts der dort erzielten 41,7 Prozent nicht aussichtslos – wenngleich ihm die jüngste Positionierung von Sven Meier wohl einen Dämpfer versetzt hat. Zweite Bürde für Wagner: Die St. Ingberterinnen und St. Ingberter sorgten für eine Konstellation im Stadtrat, die einen weiteren Dauerclinch bedeutet, wenn der Amtsinhaber weitermachen kann. Denn die CDU behält nach dem Stadtratswahl-Ergebnis unverändert eine gestalterische Mehrheit. Die Christdemokraten könnten die bisherige Mehrheitskoalition mit den Grünen und der Familien-Partei fortsetzen, die dann auf 25 von 45 Sitzen im Stadtrat käme. Ebenfalls denkbar wäre eine Große Koalition aus CDU und SPD mit zusammen 27 Sitzen.

Eine neue Koalition im St. Ingberter Stadtrat ohne die CDU wäre hingegen zwar rechnerisch möglich, praktisch aber kaum realisierbar. So bräuchten SPD, Grüne, Familien-Partei und die Linke mit zusammen 20 Sitzen noch weitere Verstärkung, um die denkbar knappste Ratsmehrheit zu erreichen. Das könnten entweder die drei Stadtratsmitglieder der künftigen AfD-Fraktion sein oder drei der Einzelkämpfer von FDP, Freien Wählern, Unabhängigen und Wir für St. Ingbert. So viele Schaufeln gibt es aber nicht, um die vielen Gräben zuzuschütten, die sich in solchen Koalitionsverhandlungen auftun würden.

Mit ihrem Votum am 26. Mai haben die St. Ingberter Wähler gezeigt, was gelebte Demokratie bedeuten kann. Sie ermöglicht, dass auch zeitgleiche Personen- und Parteienwahlen völlig losgelöst voneinander betrachtet werden können. Für das Duell zwischen Hans Wagner und Ulli Meyer am 9. Juni schafft dieser taktikfreie Wählerwille zusätzliche Spannung. Nochmals zugespitzt hat diese Vereinbarkeit von anscheinend Unvereinbaren aber auch die Frage, welche „St. Ingberter Verhältnisse“ in den nächsten Jahren herrschen sollen.

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