Immer mit der Ruhe Die sieben Säulen der Gelassenheit

Saarpfalz-Kreis · Alexandra Karr-Meng weiß, wie man Krisen bewältigt. Im Interview gibt sie Tipps, wie man Resilienz trainieren kann.

 Alexandra Karr-Meng schreibt an einem neuen Buch.

Alexandra Karr-Meng schreibt an einem neuen Buch.

Foto: Lauritz Meng

Alexandra Karr-Meng ist Beraterin, Coach, Trainer in Sachen Erziehung, Lebensfragen, Partnerschaft. Sie hält Vorträge, hat ein Buch über achtsame Erziehung geschrieben und arbeitet gerade an einem zweiten mit dem Titel „Weniger schreien, weniger schimpfen“, das im Spätsommer erscheinen soll. Eins ihrer Themen ist die Resilienz, die innere Stärke und Gelassenheit. Anfang März hielt sie dazu zuletzt einen Vortrag in der Familienbildungsstätte in Neunkirchen.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema Resilienz?

Alexandra Karr-Meng: Ich beschäftige mich seit rund zehn Jahren mit dem Thema Resilienz. Mir ist in Seminaren und Coachings aufgefallen, dass die Menschen sehr unterschiedlich auf Krisen und schwierige Situationen reagieren. Die einen sind aufgeregt, sehen nur das Schlechte, sind demotiviert und andere schauen nach vorne und versuchen das Beste aus der Situation zu machen. Das hat mich neugierig gemacht. Die Menschen leben im gleichen System, haben die gleichen Rahmenbedingungen und trotz allem reagieren sie so unterschiedlich. Das hängt natürlich mit der Persönlichkeit jedes Einzelnen zusammen, doch es gibt auch noch andere Faktoren, so zum Beispiel der Faktor Resilienz, die psychische Widerstandskraft.

Wie genau würden Sie persönlich den Begriff definieren?

Karr-Meng: Resilienz ist für mich die menschliche Nanoversieglung im Alltag. Es bedeutet, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, wenn es schwierig wird. Dabei ist es wichtig, die Situation zu akzeptieren und zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Hadern bringt uns nicht weiter. Wir sollten der Krise ins Auge schauen, kreative, tragfähige Lösungen suchen und unser Netzwerk nutzen. Außerdem sollten wir unseren Optimismus nicht verlieren und an einen guten Ausgang der Situation glauben. In meinen Resilienzseminaren habe ich immer einen Schwamm dabei. Damit zeige ich, was Resilienz bedeutet. Einen Schwamm kann man zusammendrücken, auswringen, nass machen, an die Wand werfen. Er verändert seine Form, macht sich klein und wenn man ihn los lässt, nimmt er wieder seine alte Form an. Diese Fähigkeit besitzen auch resiliente Menschen. Sie passen sich an, verändern sich und gehen gestärkt aus Krisen heraus.

Gerade im Moment scheint das ja ein besonders wichtiges Thema zu sein . . .

Karr-Meng: Das ist richtig, Resilienz ist wichtiger denn je. Wir erleben eine nie dagewesene Krise, werden täglich mit Veränderungen konfrontiert und erleben Einschränkungen im Alltag. Das verunsichert die Menschen und macht vielen Angst. Egal wohin man schaut, wohin man hört – Corona ist scheinbar überall. Wie eine Glocke, die über uns gestülpt wird und die uns wertvolle Luft zum Atmen raubt. Die aktuelle Lage ist eine Herausforderung für jeden von uns. Wir dürfen uns von unseren Sorgen, Befürchtungen und Ängsten nicht unterkriegen lassen. Wir müssen flexibel sein, uns auf neue Situationen einstellen und dürfen unseren Optimismus nicht verlieren. Es ist sinnvoll, näher zusammenzurücken, sich mit Menschen auszutauschen, für einander da zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen. Hier hilft derzeit die digitale Technik. Gleichzeitig dürfen wir nicht den Blick auf das Positive verlieren: Wir können auf Freunde und Familie bauen, wir sind versorgt, wir können uns an der blühenden Natur erfreuen.

Einige Forscher gehen ja davon aus, dass es sich um eine angeborene Eigenschaft handelt.

Karr-Meng: Oft wird davon ausgegangen, dass Resilienz angeboren ist, bestimmte Menschen sind einfach von Natur aus optimistischer und reagieren gelassen auf schwierige Situationen und Herausforderungen. Die Wissenschaftlerin Emmy Werner hat in ihrer Studie „Die Kinder von Kauai“ jedoch herausgefunden, dass man diese positiven Eigenschaften auch erlernen kann. Das ist die gute Nachricht für uns. Selbst wenn wir nicht mit einer gehörigen Portion innerer Stärke und Gelassenheit geboren wurden, können wir diese Eigenschaften erlernen. Dazu müssen wir jedoch bereit sein uns selbst zu reflektieren und alte, lieb gewonnene Verhaltensweisen zu verändern.

In wie weit beeinflusst die Umwelt die Fähigkeit zur Resilienz?

Karr-Meng: Wir sind alle von unserer Umwelt und von unserem Umfeld geprägt. Wenn wir in einer Familie aufwachsen, die einen pessimistischen Blick auf die Welt hat und sich als Opfer der Umstände fühlt, werden wir nicht vor Optimismus strotzen. Wir übernehmen Verhaltensweisen von unserem sozialen Umfeld und diese prägen uns. Doch gerade wenn wir erwachsen sind und bemerken, dass uns die Verhaltensweisen nicht gut tun, haben wir die Möglichkeit, unser Verhalten zu verändern. Getreu dem Motto: Ist das Glas halb leer oder halb voll?

Gehen wir mal davon aus, ein Mensch zeigt nicht unbedingt von Natur aus diese Fähigkeit. Kann man das trainieren?

Karr-Meng: Wir können unsere Resilienz täglich trainieren. Wenn wir von Resilienz sprechen, meinen wir sieben Säulen, die dazu gehören: Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, die Opferrolle verlassen, Verantwortung übernehmen, Netzwerke bilden und Zukunftsplanung. Bei keinem Menschen sind diese sieben Säulen gleich stark ausgeprägt. Im ersten Schritt ist es wichtig, herauszufinden, welche Eigenschaft wir schon besitzen und welche wir noch ausbauen können. An den weniger ausgeprägten Eigenschaften können wir dann gezielt arbeiten.

Wie?

Karr-Meng: Wenn bei einem Menschen die Eigenschaft Optimismus wenig ausgeprägt ist, sieht er immer nur das Negative. Er sollte versuchen, seinen Blick auf das Positive zu lenken, indem er ein Glückstagebuch führt. Nehmen Sie sich abends fünf Minuten Zeit und ein kleines Notizbuch zur Hand. Überlegen Sie, was an diesem Tag gut war. Sie müssen mindestens drei Dinge finden. Dies können Kleinigkeiten sein. Das freundliche „Guten Morgen“ des Nachbarn, ein Kompliment ihrer Kollegin. Anfänglich werden Ihnen vielleicht eher negative Dinge einfallen, da darauf möglicherweise ihr Fokus liegt. Doch mit jedem Tag wird es einfacher.
Sollte eine Person wenig Lösungsorientierung besitzen und nur in Problemen denken, kann sie sich zur Aufgabe machen, für jedes kleine Alltagsproblem mindestens drei Lösungen zu finden. Stellen Sie sich vor, Sie essen jeden Morgen Müsli und plötzlich stellen Sie fest, dass heute Morgen das Müsli leer ist. Finden Sie für dieses Problem drei Lösungen. So können wir unsere Lösungsorientierung ausbauen und finden irgendwann auch für große Probleme kreative Lösungen. Das ist alles eine Sache der Übung. Mit solchen kleinen Übungen können wir unsere sieben Resilienzsäulen Stück für Stück im Alltag stärken und sind dann gut für die Krise gerüstet.

Kann man bei einem Kind die Resilienz fördern und wie hilft das den Kindern?

Karr-Meng: Kinder lernen durch uns, wir können ihnen ein gutes Vorbild sein. Im Alltag können wir in Krisen und Notsituationen Ruhe bewahren, ihnen zeigen, dass es immer eine Lösung gibt. Wir können ihnen vorleben, dass wir zu unseren Fehlern stehen, wenn wir etwas falsch machen. Dass wir die Schuld nicht auf andere schieben, sondern Verantwortung für unser Tun übernehmen. Sie sollten auch wissen, dass es viele Menschen in ihrem Umfeld gibt, die ihnen helfen und sie unterstützen. Wichtig ist auch noch, dass sie von uns lernen, dass wir sie genau so lieben und schätzen, wie sie sind.

Gibt es möglicherweise Gesellschaften in denen Resilienz eine größere Rolle spielt als in anderen?

Karr-Meng: Jedes Land und jede Gesellschaft hat seine eigene Mentalität. Ich persönlich glaube, dass gerade Menschen, die viel über sich selbst nachdenken, ihr Verhalten reflektieren und bereit sind an sich zu arbeiten eine hohe Resilienz besitzen. Nehmen wir zum Beispiel die Buddhisten. Sie meditieren viel, leben im Einklang mit sich und der Welt und gehen alleine durch die Ruhe und Selbstdisziplin völlig anders mit Krisen und Notlagen um. Sie strahlen immer eine gewisse Stärke und Gelassenheit aus. Dies kommt ihnen in schwierigen Situationen zu Gute.

Wieso finden Sie das Thema so wichtig?

Karr-Meng: Resilienz ist ein bedeutungsschweres Wort, dahinter stecken jedoch alltägliche Eigenschaften und Fähigkeiten, die wir in uns tragen und oftmals nicht erkennen. Als ich anfing, mich mit dem Thema Resilienz zu beschäftigen, habe ich gemerkt, dass es sehr viel Potenzial hat. Ich habe in den letzten zehn Jahren zig Seminare und Vorträge dazu gemacht und bemerkt, dass das Thema sehr praxisnah ist und die Menschen es sofort umsetzen können. Anfang März hatte ich mein letztes Seminar und als die Corona-Krise uns traf, bekam ich zahlreiche positive Rückmeldungen, dass die Techniken und Herangehensweise den Teilnehmern Tatkraft und Gelassenheit vermitteln.

Wie sieht es bei Ihnen persönlich mit der Resilienz aus?

Karr-Meng: Natürlich sind auch bei mir nicht alle Resilenzsäulen gleich stark ausgeprägt. Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch, finde sehr schnell Lösungen und bleibe handlungsfähig. Ich übernehme die Verantwortung für mein Handeln und habe ein starkes Netzwerk. Bei all den positiven Dingen fehlt es mir manchmal an Akzeptanz. Situationen die mir nicht gefallen, akzeptiere ich nur ungern und versuche diese zu verändern. Doch manchmal muss ich akzeptieren, dass dies nicht möglich ist. Daher arbeite ich an meiner Akzeptanz.

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