„Ihr müsst progressive Kartoffeln werden!“

St Ingbert · Jilet Ayse werden eingefleischte Comedyfans schon aus der TV-Show „StandUpMirganten“ kennen. Jetzt ist Idil Baydar, wie die Comedian mit bürgerlichen Namen heißt, in der Stadthalle in St. Ingbert aufgetreten – scharfzüngig wie eh und je.

 Idil Baydar als Jilet Ayse in der Stadthalle. Foto: Jörg Martin

Idil Baydar als Jilet Ayse in der Stadthalle. Foto: Jörg Martin

Foto: Jörg Martin

Es gehört richtig viel Mut dazu, ein hyper-sensibles Thema wie das Verhältnis zwischen Migranten und Deutschen zum Gegenstand eines ganzen Bühnenprogramms zu machen. Kombiniert mit einer stellenweise recht derben Rhetorik und dem permanenten Überschreiten von gewohnten Grenzen wird das Ganze zum ungewohnten Terrain für das Publikum.

Die Comedian Idil Baydar schien sich am Donnerstagabend beim städtischen "À la Minute" in der Stadthalle auch weit hinter diesen Barrieren wohl zu fühlen, sich fast in diesen einnisten zu wollen. "Deutschland, wir müssen reden" lautet der Name des aktuellen Programms. Das klingt wie in einer Beziehung, in der der eine mit dem andern ein Problem hat. Und genauso ist es auch. Bei der kollektiven Gesprächstherapie wird nämlich das Publikum mit einbezogen wie sonst bei kaum einen Künstler. Baydar, die kürzlich den Kabarettwettbewerb "Stuttgarter Besen" gewann, schlüpft in die Rolle der 18-jährigen Jilet Ayse. Als schwere und gewichtige Türkin aus Berlin-Kreuzberg hält sie ihren Landsleuten den Spiegel vor. Und den Deutschen auch. "Ihr müsst progressive Kartoffeln werden", forderte die Tochter türkischer Einwanderer die St. Ingberter auf, ehe sie - wie so oft an diesem Abend - mit "Isch schwör" den Satz beendete.

Jilet Ayse scheint mit übertriebenem Gutmenschentum zu spielen. Etwa, wenn sie Deutsche auffordert, statt Türkisch besser gegenseitig Arabisch zu lernen. Ihre Landsleute machten das auch so. Und an denen lässt sie kaum ein gutes Haar. Drückebergertum und Lügen wären Teil der Mentalität. Und dabei sind sie doch so höflich und nehmen uns absichtlich nicht die Arbeitsplätze weg.

Da stockt einem schnell der Atem. Sind das nicht die Klischees und Vorurteile, die - angesichts politischer Korrektheit - für tabu erklärt wurden? Stimmt! Doch Idil Baydar setzt immer noch eins drauf und provoziert bis zum Geht-nicht-mehr. Als Jilet Ayse scheint sie den Blanco-Scheck dafür zu haben. Deutschland stirbt aus. "Und wer zahlt dann mein Hartz IV?", konfrontiert sie das Publikum. Da wird schnell das Paarungsverhalten der deutschen Männer thematisiert oder mit "Deutsche Vermehrung im Keller - Hamadi war wieder schneller" das Thema gerappt. Die Mathiasse und Michaels flirten einfach zu langsam. Und wenn die Visafreiheit für die Türkei eingeführt wird, geht die Zwangsverheiratung auch in die andere Richtung. Dann kommt für jede Deutsche ein Türke. Das wären 80 Millionen zusätzliche Dönerläden. Die Türkinnen tarnen sich dafür mit Kopftüchern, denn sie sind die "böse Seite der Macht", so die Schauspielerin. Und sie halten die Familie im Schach.

Diese Frau hält uns den Spiegel vor. Tabus gehen in die Luft, Vorurteile verpuffen und dennoch gelangt man übers Lachen zur Wahrheit. Nur welche? Die von Gerda Grischke, diese zweite Figur, die Baydar als sich prostituierende Neuköllner Spießbürger-Rentnerin mit ewig gestrigen Parolen auf der Bühne aufmarschieren lässt, kann es nicht sein.

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