So läuft’s im Home-Schooling Alibi-Unterricht mit Stressleveltest

St. Ingbert · Eine Mutter und Lehrerin aus St. Ingbert beschreibt ihre Erfahrungen und Eindrücke vom aktuellen Home-Schooling.

 Heimunterricht aus Lehrersicht: Pamela Klotti-Franz bei ihrer Online-Sportstunde für ihre 5. Klasse.

Heimunterricht aus Lehrersicht: Pamela Klotti-Franz bei ihrer Online-Sportstunde für ihre 5. Klasse.

Foto: Pamela Klotti-Franz/privat

Möglicherweise stellen sich viele Home-Schooling vor wie ein Familienidyll eines 50er Jahre Fernsehspots: Die Kinder sitzen schön brav vor dem heimischen Computer und erarbeiten zu festen Zeiten und am besten auch noch selbständig die von den Lehrern zur Verfügung gestellten Aufgaben, lernen Vokabeln oder befinden sich seit neustem auch noch in Videokonferenzen mit den Lehrern. Zwischendurch kommen die Eltern vorbei, tätscheln ihren Kindern entspannt lächelnd den Kopf und loben sie für ihren Fleiß und ihre Selbstständigkeit.

Die Realität sieht aber meist anders aus. Als Klassenlehrerin einer 5. Klasse an einer Gemeinschaftsschule stehe ich mit den meisten Eltern meiner Schüler in engem Kontakt – und damit bin ich privilegiert, denn nicht alle Kollegen können das von sich behaupten. Fast täglich erreichen mich Hilferufe von Eltern, die verzweifelt und am Ende ihrer Belastbarkeit sind.

Die Eltern, in meinem Fall sind es meist die Mütter, an denen das hängenzubleiben scheint (also doch 50er Jahre), sitzen vor, zwischen oder nach ihrer Arbeit mit ihren Kindern am Küchentisch und erarbeiten mit diesen aktiv den Stoff. Denn die wenigsten sind Akademiker, viele haben noch nicht einmal ein Abitur. Sie sprechen teilweise kein Englisch, da man früher Französisch gelernt hat, wissen nicht, wie man die Wörter ausspricht und auch der Google-Übersetzer liefert seltsame Ergebnisse. Sie haben meist schon seit zwanzig oder dreißig Jahren ihre Berufsausbildung abgeschlossen und quasi ebenso lange keinen Matheunterricht mehr gehabt. Ihre Rechenwege unterscheiden sich daher auch wesentlich von denen ihrer Kinder. Dennoch erlebe ich sie als hoch engagiert. Sie wollen das Beste für ihre Kinder und entwickeln mitunter auch höchst kreative Ideen. Aber sie sind am Limit, weil sie berufstätig sind, teilweise im Schichtdienst arbeiten und oftmals gleich mehrere Kinder beschulen müssen, die an unterschiedlichen Systemen von vielen unterschiedlichen Lehrern unterrichtet werden. Der Stoff kommt dabei meist tröpfchenweise über die Woche verteilt, mal ist es mehr, mal weniger, häufig werden die Lösungen nachgereicht, man könnte ja spicken, so dass sich die Eltern die Themengebiete erst einmal selbst anlesen und verstehen müssen, um ihre Kinder dann zur richtigen Lösung zu lotsen. Ständig gibt es neue Apps, die man sich bitte herunterladen soll oder die Unterrichts-Plattformen werden gewechselt, so dass man sich auch noch hier und in der Regel per „learning by doing“ zurechtfinden muss. Das ist für viele der absolute Stresstest. „Wo muss ich mich anmelden? Wie kann ich mich registrieren? Wo muss man das Arbeitsblatt für die Korrektur wieder hochladen? Warum jetzt auch noch diese App?“, so nur einige der Nachrichten, die ich immer wieder erhalte.

Als Mutter dreier schulpflichtiger Kinder, die Home-Schooling hautnah aus beiden Perspektiven erleben darf, kann ich absolut verstehen, dass Eltern genervt sind. Selbst ich benutze mehr als zehn Apps und Plattformen, um meine eigenen Kinder und meine Schüler mit Unterrichtsmaterial zu versorgen und um mit meinen Eltern und Schülern zu kommunizieren. Wenn dann noch wie so oft, die Server überlastet sind, man daher nichts runterladen kann, aber schon in den Startlöchern steht, um arbeiten zu gehen, der Drucker streikt oder das pdf-Dokument sich nicht öffnen lässt, liegen die Nerven blank.

Ach ja, und dann gibt es natürlich auch noch das Problem, dass viele überhaupt keinen PC, keinen Drucker oder auch einfach kein Internet zu Hause haben. Einige Kinder müssen sich ganz alleine in dem Dschungel von Apps et cetera zurechtfinden, weil ihre Eltern der deutschen Sprache nicht mächtig sind und sie daher nicht unterstützen können. Und manche tauchen auch völlig ab. Sie sind nicht zu erreichen und beteiligen sich nicht am Online-Schooling. Diese Kinder fallen dann unter Umständen am Schluss hinten runter.

Auch wir Lehrer experimentieren mit der Technik und der Dosis an Aufgaben für die Schüler. Gerne würde ich in der Schule vor meiner Tafel oder am besten noch mit einem Smartboard in meinem Klassensaal Videounterricht machen. Leider haben wir in der Schule kein W-Lan und von einem Smartboard in meinem Klassenraum kann ich nur träumen. Daher sitze ich am Wohnzimmertisch und hantiere mit einer selbst gebastelten Flipchart oder halte Arbeitsblätter vor die Webcam. Ob das alles viel bringt und zu dem erhofften Lernzuwachs führt, wage ich zu bezweifeln, aber immerhin suggeriert es allen ein wenig „Normalität“.

Ob und was am Ende bei all dem hängengeblieben ist, wird sich dann hoffentlich im nächsten Schuljahr zeigen.

 Home-Schooling hat seine Stressfaktoren für Kinder und Eltern.

Home-Schooling hat seine Stressfaktoren für Kinder und Eltern.

Foto: obs/MDR

Pamela Klotti-Franz aus St. Ingbert ist selbst Lehrerin für die Fächer Deutsch und Sport und Mutter dreier Kinder. Sie erlebte das Home-Schooling und die damit verbundenen Probleme täglich aus beiden Perspektiven.

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