Hörbuch-Kritik Wenn in „Nightflyers“ das Raumschiff wütend wird

St. Ingbert/Bliestal · Hörbuch-Tipp: In dem Frühroman von „Game of Thrones“-Vorlagengeber George R.R. Martin, geraten Wissenschaftler in Schwierigkeiten.

 Nightflyers von George RR Martin

Nightflyers von George RR Martin

Foto: Randomhouse Audio

Alle Welt sehnt frisches Fantasy-Futter von George R.R. Martin herbei. Doch während neue Bände seiner „Game of Thrones“-Vorlage „Das Lied von Eis und Feuer“ auf sich warten lassen, sorgt ein Klassiker von 1980 für Aufsehen. Martin hat die Science-Fiction-Novelle „Nightflyers“ damals augenscheinlich als Fingerübung angefertigt. Sie wurde dennoch mit dem Locus Award als bester Kurzroman ausgezeichnet, 1987 bereits völlig misslungen verfilmt. Jetzt hat sich ihr der Streaming-Anbieter Netflix angenommen, eine erste Staffel mit zehn Folgen ist seit kurzem abrufbar. Und wohl auch der Grund, warum die Buchvorlage jetzt als Hörbuchvariante in den Regalen steht.

Die Handlung: Im Jahre 2093 chartert der Wissenschaftler Karoly d‘Branin den Transporter Nightflyer, um gemeinsam mit einer achtköpfigen Expertencrew ein durch den Raum treibendes Schiff der uralten Alien-Rasse der Volcryn zu erreichen und zu studieren. Merkwürdig mutet dabei Captain Royd an, der sich den Gästen nie persönlich zeigt, sondern nur als Hologramm – und die Wissenschaftler überall mittels Kameras und Mikros beschattet.

Der Telepath Thale Lasamer, der den Erstkontakt zu den ebenfalls übersinnlich begabten Aliens herstellen soll, beginnt bald zu fantasieren, ist voller trüber Gedanken. Irgendwann nimmt die Skepsis gegenüber dem Captain Überhand: Was hat er zu verbergen? Ist er selbst ein Alien oder ein gefährlicher Gangster? Oder ist es das Raumschiff selbst, das ein Eigenleben entwickelt? Als die anderen Lasamer unter den Einfluss einer Spezialdroge setzen, damit er den Captain telepathisch durchleuchtet, stürzen sie sich selbst ins Verderben.

Martin entwickelt sein „Nightflyers“ als Melange aus „Alien“, „Shining“ und „2001 – Odyssee im Weltraum“. Er konstruiert sein kleines Frühwerk, in der ungekürzten Vorlesefassung von Randomhouse dauert sie nur 260 Minuten, in klarer Sprache, kommt ohne Ausschmückungen schnell zum Punkt und bleibt der Kürze geschuldet roh in den Charakterzeichnungen. Die (unnötigen) Sexszenen erinnern dagegen ebenso an „Das Lied von Eis und Feuer“ wie das reichlich fließende Blut. Denn bei morbiden Tötungsarten ist er kreativ: Da säbeln Laser durch Körper und ein kompletter Schädel explodiert. Nach einer etwas zähen Startphase, in der die Personen im Schiffsalltag eingeführt werden, gewinnt das Werk bis zum dramatischen Finale und dem überraschenden Ende noch viel Pepp. Und dennoch: Es wirkt wie ein ungeschliffener Rohdiamant, ganz anders die technisch stark und detailreich ausgearbeitete Netflix-Serie. Der seltene Fall, dass der TV-Ableger die Vorlage übertrifft.

George R. R. Martin: Nightflyers, Randomhouse Audio, 260 Minuten, ungekürzt, gelesen von Reinhard Kuhnert

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