Museen „Heimatmuseen müssen professionell sein“

Was der Weltkulturerbe-Chef den Museen im Land empfiehlt und wie er die Zusammenarbeit in der Großregion einschätzt.

 Mittendrin Meinrad Maria Grewenig vor vier der 100 Arbeiterfiguren, die Otmar Hörl angefertig hat.

Mittendrin Meinrad Maria Grewenig vor vier der 100 Arbeiterfiguren, die Otmar Hörl angefertig hat.

Foto: Rich Serra

Der Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte hat viele Ämter. Auch das des Präsidenten des Saarländischen Museumsverbandes. Zum Auftakt unserer Serie über die Museen im Land sprachen wir mit ihm:

Im saarländischen Museumsverband sind rund 100 Museen organisiert. Wenn wir die Museumslandschaft in Bezug zur Einwohnerzahl setzen, wie ordnen Sie sie ein? Passt das? Ist das zu wenig? Ist das zu viel? Kann man in Begeisterung ausbrechen?

MEINRAD MARIA GREWENING: Wenn ich es ins Verhältnis zu anderen Bundesländern setze, ist es überdurchschnittlich. Wenn ich die Museumslandschaft auch mit ihren Spitzen – das sind die, die stark bemerkt werden – in den Blick nehme, ist es durchaus eine sehr hochwertige, bemerkenswerte Museumslandschaft. Wenn ich es mit Rheinland-Pfalz vergleiche: Was an moderner Kunst in den Sammlungen im Saarland versammelt ist, ist besser als das, was Rheinland-Pfalz zu bieten hat. Auch im Bereich der Digitalisierung des Kulturgutes liegt das Saarland mit digiCult, der digitalen Erfassung des kulturellen Erbes in Museen, weit vorne.

Man erlebt immer wieder, dass Menschen im Saarland sich nicht so arg für das Weltkulturerbe Völklinger Hütte interessieren. Oder dass sie beim Erweiterungsbau des Saarlandmuseums lediglich die Kosten sehen. Haben wir ein Vermittlungsproblem? Oder sind das Menschen, die sich nicht ausreichend informiert haben?

GREWENIG: Wenn eine solche Fragestellung auftaucht, liegt das nicht an den Besuchern, sondern an denen, die die Institution leiten, die sie verwalten. Das mal vorweggeschickt. Ich glaube nicht, dass wir ein Vermittlungsproblem haben, denn es sind ja nicht alle Saarländer für Kultur mobilisierbar. Von der einen Million muss man die ganz Jungen wegnehmen, die ganz Alten und die vom rechten Rand. Dann bleiben 600 000 Menschen übrig. Von denen sind in einem Vier-Jahres-Zyklus etwa sechs Prozent mobilisierbar. Das wären dann etwa 36 000. Die Wiederbesuchsrate liegt in Mitteleuropa bei etwa vier Jahren.

Also alles gut?

GREWENIG: Jetzt kommt das Thema, das im Grunde seit Ende des 20. Jahrhunderts wichtig ist: Die Entdeckung des Alltagsmenschen. Und was uns besonders hier im Weltkulturerbe Völklinger Hütte bewegt: die Entdeckung der Menschen, die eigentlich nicht zur Kultur gehen. Die Alltagsmenschen, das sind diejenigen, die sich für Sport, für Kino, weniger für Theater, aber für Konzerte interessieren. Die aber ein Kulturpotenzial im Sinne einer Annäherung besitzen. Und das ist schon eine Herausforderung.

Was muss denn ein Museum heutzutage tun, um Menschen anzuziehen? Sie haben ja eben schon mal die Jungen, die Alten und die, wie Sie sagten, „vom rechten Rand“ abgezogen. Wobei mich das übrigens gewundert hat.

GREWENIG: Der rechte Rand ist nicht mobilisierbar.

Ist das jetzt eine These von Professor Grewenig?

GREWENIG: Nein, wir betreiben seit über 20 Jahren Besucherevaluation. Das ist ein Standard, den finden sie in allen deutschsprachigen Instituten, wo das entsprechend qualifiziert ist. Ich habe keine Ursachenforschung gemacht. Das ist eine reine Feststellung.

Dann noch einmal die Frage, was muss ein Museum heutzutage tun, um die Menschen anzulocken? Auch die Jungen und die Alten.

GREWENIG: Erstens. Es gibt nicht das Thema, um Menschen anzulocken. Es werden Gruppen angelockt. Junge Menschen haben andere Fragestellungen als Ältere. Zweitens: Wir brauchen spannende Themen. Und die Museen sollten ihre Besucherinnen und Besucher emotional berühren. Das heißt, sie sollten in ihnen den Wunsch wecken, wiederzukommen.

Besteht nicht die Gefahr, dass gerade junge Menschen sich mit der Museums-App begnügen? Dass sie sich die Kunstwerke auf ihrem Smartphone anschauen?

GREWENIG: Es gibt keine Fernberührung. Kommunikation auch mittels der sozialen Medien wird heute eingesetzt, um Informationen zu vermitteln. Die Berührung findet am Ort statt. Für junge Menschen geht Kommunikation anders. Wir wissen, dass die Kernbesucher der klassischen Museen ältere Menschen sind. Für die ist die papiergebundene Kommunikation entscheidend, für die Jüngeren ist die Internet-Kommunikation inzwischen so maßgeblich, dass diese für sie ausreicht.

Kann man so weit gehen, zu sagen, dass ein Museum den Influencer, den Blogger braucht, um die Menschen zu erreichen?

GREWENIG: Sofern diese sich nicht kurzfristig als Werbeträger enttarnen: ja.

Lassen Sie uns mal von den großen Museen zu den kleineren gehen und über Heimatmuseen sprechen. Aus diesen Museen, die ja oft mit großem Engagement von Ehrenamtlichen betrieben werden und das schon über Jahrzehnte hinweg, hört man Klagen, dass sie keine Nachfolger finden und auch nicht wissen, wohin mit ihren Beständen. Was kann man für diese Museen tun? Und was sollten sie selbst tun?

GREWENIG: Das ist eine sehr herausfordernde Gemengelage auch in der Analyse. Entstanden sind diese Museen in der Regel aus einem Interesse von Menschen im mittleren Alter. Die sind inzwischen älter und weniger geworden. Der Nachwuchs – das ist ein Thema für alle Vereine. Das hängt ein bisschen damit zusammen, dass das Freizeitverhalten sich verändert hat, die Schule hat sich verändert, auch das freie Umfeld um die Schule herum. Es gibt inzwischen andere Anreize, die für die jungen Menschen stärker sind. Eine stark vom Internet durchdrungene Generation tickt da etwas anders. Heimatmuseen haben eine nicht zu unterschätzende soziale Funktion – gerade heute. Das ist ihre Stärke – und ihre Herausforderung.

Spielt die oft beschworene Individualisierung eine Rolle? Oder ist das eine eher hilflose Erklärung?

GREWENIG: Ich glaube, es gibt viele hilflose Erklärungen. Wenn man die museale Seite nimmt: Der saarländische Museumsverband gibt viele Hilfestellungen. Da kann man Anträge stellen, auch zur Unterstützung. Man muss auch gleichzeitig sehen, dass in unserer Gesellschaft in den letzten fünfzig Jahren sehr viel passiert ist. Das hängt mit den elektronischen Medien, mit Filmen, mit der Illusionsindustrie zusammen. Die haben inzwischen hochspannende, attraktive Bildwelten konstruiert. Viele Museen sind auf ihrem Anfangslevel geblieben. Und dann gibt es eine Gruppe von Museen, die sind professioneller geworden. Das ursprüngliche Heimatmuseum hat unter einem großen Thema Exponate vereint. Heute brauchen diese Museen eine umfassende Erklärung der Exponate, denn die wenigsten verstehen noch die Hauptsammelgegenstände, die ein Heimatmuseum auch mit Bezug zu unserer Region ausstellt. Da gibt es Alltagsgeräte von vor 100 Jahren, da muss erklärt werden, was man damals damit machte. Früher war es so, dass die Heimatmuseen von einer Gruppe von Menschen betreut wurden, die haben die Objekte zusammengebracht, die wussten genau, was in der Vitrine lag, ohne dass es eine Beschriftung gebraucht hätte.

Fehlende Beschriftungen machen es Besuchern von Heimatmuseen oft schwer.

GREWENIG: Heute richtet sich das Heimatmuseum ja nicht an eine definierte Gruppe, sondern an alle. Deshalb braucht es Erklärung, und es braucht für diejenigen, die an den Heimatmuseen arbeiten, Unterstützung. Das ist nicht so geschehen, wie es hätte sein sollen. Das produziert dann Forderungen an Träger, an Kommunen, bietet aber auch viele Chancen. Diese Museen sind in der Lage, Identität zu stiften, Heimat zu geben und zwar nicht in einem platten, nachgespielten Sinne, sondern authentisch. Die Museen haben die Chance, dass sie auf etwas verweisen, das diese Orte definiert. All das ist ein positives Unterfangen für die Träger, für die Kommunen, auch für das Land.

Oft sind ja die Ehrenamtlichen, die jahrelang oder gar jahrzehntelang ein Museum betreut haben, schon zwischen 70 und 80 Jahre, wenn sie den ersten Hilferuf absetzen.

GREWENIG: Ja. Man muss das aus der Perspektive derjenigen sehen, die um Hilfe rufen. Die haben ihren Horizont und ihre Möglichkeiten. Da ist natürlich immer der erste Ruf nach Geld, der zweite Ruf möglicherweise an die, die nicht automatisch nachgekommen sind. Da kann – und muss – man natürlich etwas tun. Der saarländische Museumsverband bietet Hilfestellung. Es gibt Beratung. Wir haben eine Geschäftsstelle in Ottweiler mit einem sehr aktiven geschäftsführenden Vorstandsmitglied Rainer Raber, und einer rührigen Museumsberaterin Sabine Geith. Und es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Anträge auf Unterstützung zu stellen. Der Museumsverband hat von sich aus eine Analyse aller Museen durchgeführt. Da gibt es Museen, die sind sehr gut ausgestattet. Und es gibt solche, die eigentlich auf der roten Liste stehen, die sehr gefährdet sind. Da gibt es jetzt verschiedene Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Das erfordert aber immer den Willen derjenigen, die die Museen betreiben und tragen.

Manche wollen vielleicht gar nichts ändern, sie suchen lediglich Nachfolger. Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun? Mit wem könnten solche Museen möglicherweise kooperieren?

GREWENIG: Wenn es so ist, dass das Museum – und das ist ja auch eine wichtige Komponente – eine Art des Ausfüllens der freien Zeit ist, dann ist das teilweise nachvollziehbar. Aber damit ist noch kein Museum entstanden. Museum stellt eben bestimmte Anforderungen an die Träger, auch in der Vermittlung,m und diese sollten schon auf Stand der Zeit sein. Wenn das nicht der Fall ist, sollten sich die Museum Hilfe holen. Es muss professionalisiert werden. Da wird kein Heimatmuseum drumherum kommen.

Könnten Sie sich vorstellen, dass man Heimatmuseen zusammenschließt, etwa nach Regionen?

GREWENIG: Es wird sicher so sein, dass der Verband irgendwann den Vorschlag macht, dass Themen zusammengeführt werden. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass Museen organisatorisch zusammengelegt werden. Bei Heimatmuseen geht es darum, dass die Verankerung am Ort sichtbar gemacht wird.

Was halten Sie von der Idee, Heimatmuseen mit Geschichtswerkstätten zu verbinden?

GREWENIG: Das wäre die Frage: Wie kann man Museen möglicherweise entgrenzen? Damit meine ich nicht nur, die Mauern der Museen nach außen zu überschreiten. Sondern: Wie kann man die Schatzkammern der Heimatmuseen aktivieren? Auch für junge Menschen. Man könnte die Museen mit Volkshochschulen und Geschichtswerkstätten verbinden. Oder auch Kooperationen mit Schulen. Das könnte eine große Chance sein.

Ich würde gerne noch einen Blick auf die Großregion werfen. Wie geht es denn mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Museen voran?

GREWENIG: Es gibt Ansätze. Wir haben ja den Museumsverband der Großregion. Die Grenzen sind halt schon groß. Eine der wichtigsten ist nach wie vor die Sprachgrenze. Bei all den Strategien, die wir hinsichtlich unserer französischen Nachbarn haben, sind wir weit hinter den Luxemburgern. Da muss etwas geschehen. Das zweite Thema ist die unterschiedliche Verwaltungsstruktur in den Ländern. Die Wege, an Geld zu kommen, sind sehr unterschiedlich.

 Meinrad Maria Grewenig im Gespräch mit SZ-Redaktionsleiterin Ilka  Desgranges in seinem Büro im Weltkulturerbe Völklinger Hütte.

Meinrad Maria Grewenig im Gespräch mit SZ-Redaktionsleiterin Ilka Desgranges in seinem Büro im Weltkulturerbe Völklinger Hütte.

Foto: Rich Serra

Wie bewegen sich denn die Besucher in der Großregion?

GREWENIG: Wir haben beispielsweise im Weltkulturerbe 20 Prozent nicht-deutschsprachige Besucher, das sind überwiegend französischsprachige und etwa drei Prozent englischsprachige. Das ist eigentlich noch zu wenig. Wir haben die Situation, dass der Bereich von Forbach bis Metz relativ dünn besiedelt ist. Luxemburger besuchen uns sehr intensiv. Und ich habe auch den Eindruck, dass Saarländer gerne nach Luxemburg fahren.

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