Gefählicher als man denkt Masern werden oft unterschätzt
Saarpfalz-Kreis · Wie sprachen mit dem Homburger Kinderarzt Dr. Benedikt Brixius über die Gefährlichkeit der hoch ansteckenden Kinderkrankheit.

Ein Kind, das an Masern erkrankte, war vor 50 Jahren der Normalfall. Es steckte nicht nur Kinder im Umfeld an, auch später auftretende Komplikationen konnten nicht den Masern zugeordnet werden. Heute weiß man, wie gefährlich diese Krankheit sein kann. Deshalb werden die Gesundheitsämter tätig.
Foto: BECKER&BREDEL/bubAls kürzlich in Homburg ein Masernfall ausbrach, war zunächst keine große Aufregung zu beobachten. Schließlich beherrschte das Corona-Virus die Schlagzeilen – und Masern, na ja, die hatte eigentlich jeder einmal. Und meistens auch gut überstanden. Eine typische Kinderkrankheit eben, „da muss man durch“, wie die Großmütter früher sagten.
Es blieb ihnen auch nichts anderes übrig, denn einen Impfstoff gab es damals nicht. Und einmal mit Masern infiziert, nimmt die Krankheit unweigerlich ihren Lauf und ist nicht mehr aufzuhalten. Man musste also „durch“, egal wie. Außerdem ist die Krankheit extrem ansteckend, man brauche nicht einmal viel zu niesen oder zu husten, „einige Zeit mit einer infizierten Person in einem engeren Raum genügt oft schon“, sagt Dr. Benedikt Brixius.
Er leitet eine Kinderarztpraxis in Homburg und ist Sprecher der Kinderärzte im Saarland. Für ihn gehören die Masern zu den gefährlichsten Kinderkrankheiten überhaupt, weshalb er einen Impfschutz ab dem elften Monat unbedingt befürwortet, „für kleine Kinder, die in Tagesstätten betreut werden, bietet sich die Impfung inzwischen auch schon ab dem neunten Monat an“, sagt er. Die zweite Impfung könne dann einige Wochen später erfolgen, bei den anderen Kindern dann im zweiten Lebensjahr.
Warum gelten die Masern plötzlich als so gefährliche Krankheit? Hat sich unsere Wahrnehmung verschoben? Sind wir alle zu Schneeflöckchen geworden?
„Nein, überhaupt nicht“, so Brixius, „die Masern waren auch vor 50 oder 100 Jahren schon eine sehr gefährliche Krankheit, aber man wusste damals die Folgen oder sogar Spätfolgen der Masern nicht einzuordnen. Das heißt, man konnte die Folgeerkrankungen, die Masern verursachen können, nicht den Masern zuordnen.“ Heute könne man mit genauen Methoden nachweisen, wo sich überall Masern als Auslöser finden lassen.
Eine meist tödlich verlaufende Spätfolge der Masern ist die subakute sklerosierende Panenzephalitits (SSPE). Sie wird bei einem von 10 000 bis 100 000 Masernfällen beobachtet und tritt durchschnittlich etwa sieben Jahre nach einer akuten Maserninfektion auf. Dass diese Krankheit direkt auf die Masern zurückzuführen ist, lässt sich anhand von Einschlusskörperchen in speziellen Zellen des Gehirns feststellen, aus denen sich häufig Virusmutanten des Masernvirus nachweisen lassen.
Diese verfeinerten Methoden gab es früher nicht, „wenn ein Kind diese Krankheit bekam, noch dazu so viele Jahre danach, dachte natürlich niemand mehr an die Masern,“ so Brixius. Er erzählt von einem dramatischen Fall, bei dem die Mutter ihre Tochter wie immer morgens in den Kindergarten brachte und ihr Baby, das sie nicht allein zu Hause lassen wollte, auf dem Arm mitnahm. Das noch ungeimpfte Baby infizierte sich im Kindergarten mit Masern. Nachdem das Kind Jahre später in die Grundschule gekommen war, brach bei ihm als Spätfolge SSPE aus, „es war ganz furchtbar“, so Brixius, „das Kind starb im Alter von sieben Jahren“.
Doch selbst, wenn es nicht zu diesem schlimmsten Fall kommt, geben die medizinischen Erkenntnisse bezüglich des Masern-Erregers Anlass zur Sorge. Insgesamt sterben in Industrieländern etwa ein bis drei von 1000 an Masern erkrankte Menschen. „Damit sind die Masern deutlich gefährlicher als das Corona-Virus“, so Brixius, „man sollte da nicht die Prioritäten verschieben.“ Gerade bei Kindern unter fünf Jahren und Erwachsenen können Masern zu schweren Komplikationen führen.
Denn man hat herausgefunden, dass durch die Invasion des Masern-Virus eine vorübergehende Schwächung der Körperabwehr verursacht wird. Während dieser Phase, die etwa vier bis sechs Wochen dauert, kann es dadurch zu weiteren (sekundären) Infektionen kommen. Dazu zählen Ohren-, Darm- oder Lungeninfektionen, im schlimmsten Fall auch eine Gehirnhautentzündung: In einem von 1000 bis 2000 Fällen kommt es laut Statistik zu einer solchen Enzephalitis.
Das alles müsse nicht sein, wenn die Kinder endlich alle geimpft würden, betont Kinderarzt Brixius. Es handele sich um einen Lebendimpfstoff, der gut verträglich sei.
Es könne zwar vorkommen, dass die Kinder nach der Impfung leichte Masernsymptome zeigten, „aber das ist normal, und ich sage dann besorgten Eltern, das ist im Vergleich zu den echten Masern unbedeutend und geht auch nach maximal drei Tagen wieder weg.“
Es gibt natürlich auch fanatische Impfgegner, die sogar „Masernpartys“ veranstalteten, damit sich möglichst viele Kinder infizieren um später „stärker aus der Krankheit hervorzugehen“. Darüber kann Brixius nur den Kopf schütteln: „Das empfinde ich als grob fahrlässig.“
Das Impfen, so fügt er hinzu, schütze nicht nur das Kind selbst vor einer Infektion, sondern auch sein Umfeld, „denn Kinder mit einer speziellen Immunschwäche oder mit Down Syndrom impfen wir nicht“. Diese ohnehin geschwächten Kinder seien darauf angewiesen, dass ihr Umfeld keine gefährlichen Erreger anschleppe, „dafür sorgt die Impfung nämlich auch. Man muss beim Impfen nicht nur an sich, sondern auch an die anderen denken“.
Die Gefährlichkeit der Masern ist auch bis an die Ohren des Bundesgesundheitsministeriums gedrungen, das nun eine Handreichung an die Gesundheitsämter ausgegeben hat. Darin heißt es: Alle Personen, die ab 1. März 2020 neu in einer betroffenen Einrichtung betreut oder tätig werden, müssen die Nachweise vor Beginn der Betreuung oder Tätigkeit erbringen.“ Heißt: auch die Angestellten. Betroffen sind alle „Ausbildungseinrichtungen“, in denen „überwiegend“ (mehr als 50 Prozent) minderjährige Personen betreut werden – also Kitas, Grund- und weiterführende Schulen.
Außerdem fallen unter das Gesetz Kinderheime, Flüchtlingsunterkünfte und medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser und Arztpraxen. Wer ab nächsten Monat in einer solchen Einrichtung arbeiten möchte, muss entweder zwei Masern-Schutzimpfungen nachweisen, ein ärztliches Attest, aus dem hervorgeht, dass man bereits die Masern hatte – folglich immun ist – oder aufgrund medizinischer Umstände nicht geimpft werden kann. Personen, die vor 1970 geboren wurden, müssen keinen Nachweis erbringen – ältere Menschen haben laut Angaben der Ständigen Impfkommission (Stiko) mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits eine Maserninfektion überstanden.
Gegen ungeimpfte Angestellte kann das Gesundheitsamt Tätigkeitsverbote verhängen, und Kitas müssen laut neuer Gesetzeslage die Aufnahme nicht-geimpfter Kinder verweigern – Schulen können das aufgrund der Schulpflicht aber nicht. Sie müssen die betroffenen Schüler dem Gesundheitsamt melden, da ansonsten ein Bußgeld von bis zu 2500 Euro droht. Dies kann auch gegen Eltern verhängt werden, die sich weigern, ihre Kinder impfen zu lassen.