Gastbeitrag aus Bochum für St. Ingbert Gerne wäre ich über Ostern dehemm

Homburg/St. Ingbert · Die aus St. Ingbert stammende Ärztin Dr. Kerstin Hellwig erinnert an kluges und unkluges Handeln während der Spanischen Grippe 1918.

 Blick in die weitgehend menschenleere St. Ingberter Fußgängerzone.

Blick in die weitgehend menschenleere St. Ingberter Fußgängerzone.

Foto: Ulli Meyer

Gerne hätte ich an diesem Wochenende eine Festrede zum 150. Gründungstag meines Gymnasiums gehalten, wo ich vor genau 30 Jahren, unbeeinträchtigt von einer Pandemie, mein Abitur gemacht habe, dem Leibniz-Gymnasium in St. Ingbert. So war es geplant, die Rede bereits geschrieben in meinem Kopf: über die historische Entwicklung der Schule auch als Unesco-Schule unter besonderer Berücksichtigung von Mädchen im gymnasialen Bildungssystem. Da aber mehr als tausend Teilnehmer eingeladen waren, musste diese Veranstaltung schon vor einigen Wochen abgesagt werden. Kein Fest, keine Rede.

Stattdessen also nun dieser Beitrag, der ganz ohne Feierlichkeit auskommen muss. Ein kleiner Beitrag einer Medizinerin, die sich sorgt um ihre Heimatstadt. Meine Eltern sind damals „zugezogen“, ich bin nicht im Saarland geboren, aber ich bin in St. Ingbert aufgewachsen und habe hier eine wunderbare Kindheit und großartige Jugend verbracht. In epidemiologischen Studien – die Epidemologie gehört zu meiner Arbeit – werden die Probanden oft gefragt, welcher kulturellen Gruppe sie sich zugehörig fühlen. Gäbe es eine solche Einschätzung für Bundesländer, würde ich bei einer Befragung immer „Saarländerin“ ankreuzen. Obwohl ich heute im Ruhrgebiet, in Bochum, wohne und arbeite, trinke ich auch dort aus Forbach mitgebrachten Cremant und importiere Lyoner.

Ich lebe schon lange nicht mehr im Saarland, fahre jedoch regelmäßig und gerne zu Besuch „nach Hause“, wo meine Eltern immer noch wohnen. Leider wird es in diesen Osterferien anders sein. Zum Schutz meiner Eltern werde ich mit meinen Kindern, den Enkeln meiner Eltern, wegbleiben müssen. Es wird uns fehlen, nicht mit der Sommerrodelbahn den Peterberg herunterzufahren und nicht ins „blau“ zu gehen oder in den Saarbrücker Zoo.

Was mich aus der Ferne tröstet: die Hilfsbereitschaft der Nachbarn und Bekannten meiner Eltern. Viele haben angeboten einzukaufen, um die so wichtige Kontaktsperre insbesondere für ältere Risikopatienten zu ermöglichen. Um insbesondere diejenigen zu schützen, die eine Erkrankung am härtesten treffen würde, und die mit einer durchaus größeren Wahrscheinlichkeit daran sterben könnten. Ich kann nur allen sagen: Bleibt dehemm!

Dies hat die Menschheit schon aus der Geschichte früherer Pandemien wie die der Spanischen Grippe 1918 gelernt: Während in Philadelphia in den USA zu Beginn des Ausbruchs noch eine große Parade stattfand, beschloss der Bürgermeister von St. Louis sehr früh, Geschäfte, Sportstätten und Kinos zu schließen und vor großen Versammlungen zu warnen.

Diese Maßnahme hatte zur Folge, dass die Erkrankungsrate bei weitem nicht so schnell anstieg und die Erkrankten in Krankenhäusern deutlich besser versorgt werden konnten. Während in Philadelphia bereits nach wenigen Wochen mehr als 10 000 Menschen gestorben waren, waren es in St. Louis am Ende weniger als 1000. Lokalpolitiker und Bürgermeister, sie konnten damals und können womöglich heute über viele Leben entscheiden.

Durch das Vorkommen im oberen Rachenbereich ist der aktuelle Erreger SARS Cov2 besonders einfach weiter zu geben, das kann ich als Medizinerin gut nachvollziehen. Daher ergeben die aktuell einschränkenden Maßnahmen wirklich besonderen Sinn. Auch wenn sie für niemanden angenehm sind, auch für meine Eltern nicht und die ihrer Nachbarn am Rischbacher Rech.

Auch mir – obwohl ich Ärztin bin, und mich wissenschaftlich eben auch mit epidemiologischen Aspekten befasse – ist nicht klar, wie lange die Kontaktsperre weiter aufrecht erhalten bleiben muss, und auch nicht, wie und in welchen Schritten sie irgendwann gelockert werden kann. Mit vorsichtigem Optimismus hoffe ich, dass wir bald, vielleicht schon in wenigen Tagen, vom Robert-Koch-Institut erste positive Zahlen bekommen werden, dass der zu Beginn deutlich exponentielle Anstieg zumindest etwas reduziert wird. Ich hoffe auf Pfingsten. Und darauf, dann wieder ein paar Tage in St. Ingbert bei meinen Eltern verbringen zu können.

#Bleibdehemm

Privatdozentin Dr. Kerstin Hellwig ist Oberärztin in der Klinik für Neurologie am St. Josef-Hospital des Katholischen Klinikums Bochum.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort