Naturdenkmäler in St. Ingbert Ein stummer Zeuge der Geschichte

St. Ingbert · Serie Naturdenkmäler: Die Winterlinde an der ehemaligen Synagoge in St. Ingbert.

 Die Winterlinde in der Josefstaler Straße ist ein Naturdenkmal.

Die Winterlinde in der Josefstaler Straße ist ein Naturdenkmal.

Foto: BeckerBredel

Pfadfinder aus Hassel pflanzten 2018 am Kahlenberg neue Winterlinden auf einer kahlen Fläche, wo Borkenkäfer und Trockenheit für einen ungewollten Kahlschlag gesorgt hatten. Die Bäumchen sind jung und auch heute noch nicht viel höher als ihre Stützpfähle. Was aus einer Winterlinde werden kann, kann man in der Josefstaler Straße bestaunen, wo eine der schönsten ihrer Art das Straßenbild prägt. Die dortige Winterlinde steht als Naturdenkmal unter Naturschutz und darf nicht mehr verändert werden. Der Baum ist herbstlich gelb, der Stamm von Efeu flächig überwachsen. Der Zaun zum Grundstück der Synagoge macht einen schwungvollen Bogen um den Stamm, der so von der Straße frei zugänglich bleibt.

Die Winterlinde setzt sich selbst und auch die angrenzende Synagoge in Szene, bei der sie quasi im Vorgarten steht und auch auf historischen Bildern nicht wegzudenken ist. Der mehr als hundertjährige Baum könnte bei Gründung der Synagoge 1876 dort gepflanzt worden sein. Damals hatten Juden in der aufstrebenden Industriestadt St. Ingbert den Wunsch nach einer eigenen Gebetsstätte und sammelten über einen Fond das benötigte Geld für den Bau einer Synagoge auf einem Grundstück, dass ihnen ein Fabrikant zu diesem Zweck überlassen hatte. Ein schmucker Festzug brachte Mittags die Thora-Rollen am 14. Januar 1876 in die neue Synagoge. Die lokale Presse schrieb von beflaggten Straßen und einem Besucheransturm, der den Platz in der neuen Synagoge sprengte.

Die Nazis löschten die israelitische Gemeinde nahezu aus. Ermordung und Auswanderung zerstörten das Gemeindeleben. Als die Synagogengemeinde Saar das Gebäude zurückerhielt, verkaufte sie es an die protestantische Gemeinde. Die Synagogengemeinde hatte sich in Saarbrücken zentral eine Synagoge gebaut, die noch heute betrieben wird. Während des anschließenden Umbaus wurde insbesondere die äußere Gestalt des Gebäudes massiv verändert. Am Eingangsportal entstand ein Mosaik des aus Schnappach stammenden Künstlers Fritz Berberich, das die alttestamentliche Erzählung der drei Jünglinge Schadrach, Meschach und Abed-Nego im Feuerofen wiedergibt. Unter dem Wandbild wird aus dem Buch Daniel zitiert: „Siehe, unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl erretten aus dem glühenden Ofen“. Das Mosaik zeigt die drei Jünglinge, die man im Winter besser sieht als im Sommer. Denn unmittelbar vor dem Mosaik steht die Winterlinde als stummer Zeitzeuge. Die Blätter verdecken das Kunstwerk mitunter völlig, doch zu einem geschichtsträchtigen Bau gehört auch ein alter Baum. Eine Winterlinde kann 1000 Jahre alt werden.

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