Kinowerkstatt Zwei Werke von Regie-Ikone Agnès Varda

St. Ingbert · Das Programm der Kinowerkstatt St. Ingbert bietet an diesem Wochenende ungewöhnliche Filme.

 Eine Szene aus „Augenblicke“ - Gesichter einer Reise“.

Eine Szene aus „Augenblicke“ - Gesichter einer Reise“.

Foto: Weltkino

In „Augenblicke - Gesichter einer Reise“ (Frankreich 2018) unter der Regie von Agnès Varda machen sich die 89-jährige Regie-Ikone Agnès Varda und der 33-jährige Streetart-Künstler JR mit ihrem einzigartigen Fotomobil auf, um Frankreichs Menschen und ihre Geschichten zu entdecken und zu verewigen: In überlebensgroßen Porträts an Fassaden, Zügen und Schiffscontainern. JR‘s Installationen bestehen vor allem aus riesigen Schwarzweiß-Fotografien, die an öffentlichen Plätzen, an Häuserfassaden und Zäunen angebracht werden. In einem Ort fotografieren sie zum Beispiel die Menschen mit einem Baguette vor dem Mund, vergrößert nebeneinander geklebt schaut es so aus, als teilten sich alle ein sehr langes Brot. Von der Provence bis zur Normandie widmen sie ihre Kunst den Menschen – sei es dem Briefträger, dem Fabrikarbeiter oder der letzten Bewohnerin eines Straßenzugs im ehemaligen Bergbaugebiet. Landschaften verwandeln sich in Bühnen, Gesichter erzählen von vergessenen Geschichten und aus Blicken werden Begegnungen von Herzlichkeit und Humor. „Augenblicke - Gesichter einer Reise“ läuft in der Kinowerkstatt St. Ingbert am Freitag, 5. April, um 20 Uhr, am Sonntag, 7. April, um 18 Uhr und am Montag, 8. April, um 20 Uhr.

Mit „Le bonheur“ (Frankreich 1965) oder „Glück aus dem Blickwinkel des Mannes“ drehte Agnés Varda ein doppelbödiges Drama in irritierend fröhlichen Farben. Das zur „Nouvelle Vague“ zählende Werk besticht vor allem durch seine vielseitigen Interpretationsmöglichkeiten und gewann bei der Berlinale 1965 den silbernen Bären. Die Kinowerkstatt zeigt „Le bonheur“ in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln am Samstag, 6. April, um 20 Uhr und am Montag, 8. April, um 18 Uhr. Vardas Film erzählt von François, der rundum glücklich ist – er lebt in einer beschaulichen Kleinstadt, ist zufrieden mit seiner Arbeit als Tischler und genießt das Leben mit einer liebenden Ehefrau und zwei süßen Kleinkindern. Selbst als François sich in eine Postangestellte verguckt und eine Affäre eingeht, entstehen keinerlei Probleme. Er meistert seine Rolle als Ehemann und Vater weiterhin mit großer Zuneigung, ohne die aufrichtigen Gefühle für seine Geliebte zu verlieren. Alle Figuren sind mit sich im Reinen und nett zueinander, die Sonne scheint, die Blumen blühen. Eine clevere Besetzungsidee trägt zur idyllischen Ausstrahlung bei: Varda engagierte nicht nur den TV-Darsteller Jean-Claude Drouot, sondern auch dessen Frau und Kinder, die Familie des Films fußt also auf einer realen Grundlage. Im Original heißt Vardas Werk schlicht „Le Bonheur“, „Das Glück“; der deutsche Filmtitel „Glück aus dem Blickwinkel des Mannes“ stellt das Geschehen von vorne herein infrage. Wer Vardas Film oberflächlich betrachtet, könnte ihn als vollkommen positiv missverstehen; als eine Proklamation, die das utopische Bild einer offenen Partnerschaft („Freie Liebe“) zeichnet und damit eine oppositionelle Haltung zum reaktionären Familienbild der De Gaulle-Ära einnimmt. Der Film manipuliert uns, indem er das Geschehen durch die subjektive Wahrnehmung des Protagonisten filtert – wir sehen nie das gesamte Bild, sondern lediglich die Welt des so glücklichen wie blinden François.

Der Reiz von Vardas Werk besteht darin, dass die Regisseurin ihre Intention nicht ausformuliert, sondern uns bis zum Abspann zweifeln lässt. Glück aus dem Blickwinkel des Mannes fußt auf einer paradoxen Perspektiv-Wahl: Es handelt sich um einen feministischen Film aus Sicht eines Mannes. Die rosarote Welt des Protagonisten verhöhnt die Bedürfnisse der beiden Frauen regelrecht. Wie absurd François‘ Wahrnehmung ist, stellt spätestens die letzte Szene heraus, in der sich ein Kreis schließt und der Beginn des Films wiederholt wird. Varda offenbart hier endgültig, dass es sich um eine sardonische Parabel handelt.

Am Sonntag, 7. April läuft um 20 Uhr noch einmal „Musica Cubana – The Sons of Buena Vista“ (Deutschland Italien 2003/2004). In dem Kinofilm glänzt El Nene, mit bürgerlichem Namen Pedro Lugo Martinez, mit seinem ungemein kraftvollen und melancholischen Gesang. Am vergangenen Wochenende war er beim 33. Jazz- Festival in St. Ingbert zu Gast.

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