Weltnierentag Wo aus hauchdünnen Fäden künstliche Nieren entstehen

St. InGbert/St. Wendel · Wenn die Nieren nicht mehr so können, wie sie sollen, müssen die Patienten oft zur Dialyse. Die Produkte, die dabei zum Einsatz kommen, werden unter anderem in St. Wendel gefertigt. Im Werk von Fresenius Medical Care.

 Blick in eine moderne Faserspinnanlage für Dialysemembranen im Werk von Fresenius Medical Care in St. Wendel.

Blick in eine moderne Faserspinnanlage für Dialysemembranen im Werk von Fresenius Medical Care in St. Wendel.

Foto: Johannes Krzeslack/Fresenius Medical Care

Hauchdünn sind sie, die einzelnen weißen Fasern, die in Dauerschleife von einer Anlage gesponnen werden. Etwa 20 000 davon ergeben ein Bündel, das ohne seine Hülle beinahe wie ein Mini-Staubwedel anmutet. Und Reinigen ist auch tatsächlich seine Aufgabe – allerdings nicht die Wohnung, sondern das Blut des Menschen. Denn bei dem Faserbündel handelt es sich um einen Dialysator, auch künstliche Niere genannt. Diese kommt immer dann zum Einsatz, wenn das menschliche Organ teilweise oder komplett den Dienst versagt. Schadstoffe im Blut werden von den Fasern gefiltert und landen schließlich in einer Spülflüssigkeit.

Alle 1,7 Sekunden wird in modernen Produktionslinien im St. Wendeler Werk von Fresenius Medical Care (FMC) ein fertiger Dialysator verpackt. Und das ist längst nicht alles, was hier gefertigt wird. „Wir haben ein breites Spektrum“, sagt Werkleiter Gerhard Breith. „Bieten alles, was ein Patient benötigt.“ Ob nun Dialysatoren und Filter für die klassische Dialyse in Zentren. Oder Systeme, bei denen die Patienten zu Hause ihr Blut reinigen können. Bei der so genannten Peritonealdialyse wird eine Lösung über einen Katheter in die Bauchhöhle geleitet. Zur Entgiftung wird das eigene Bauchfell genutzt. Allein von diesen Systemen werden in St. Wendel 33 Millionen pro Jahr produziert. Um solche Zahlen zu erreichen, sind unter anderem 18 Faserspinnanlagen und neun Filterlinien im Einsatz. Mehr als 2000 Menschen arbeiten in dem Werk im Industriegebiet West der Kreisstadt. Insgesamt hat Fresenius Medical Care 45 Produktionsstandorte weltweit, wobei dem im nördlichen Saarland eine besondere Rolle zukommt. „1974 in Betrieb genommen, ist es das älteste Werk im Verbund. Vieles, was heute produziert wird, wurde hier entwickelt“, sagt Gerdi Klinkner, Sprecherin von FMC in St. Wendel.

So beispielsweise das Verfahren, um die Dialysatoren zu desinfizieren. Dafür wird Wasserdampf eingesetzt. Eine Besonderheit, wie Breith erläutert. „Keiner unserer Mitbewerber arbeitet bislang mit Dampfsterilisation.“ Innovation spielt auch bei den Maschinen eine Rolle. In St. Wendel steht die erste Filterlinie, die komplett automatisch läuft. „Es sind hier 73 Kameras verbaut“, erklärt Harry Graff, Betriebsleiter Filter. Diese überwachen die einzelnen Arbeitsschritte. Auch bei der Spinnanlage verlässt sich FMC in Sachen Qualitäts-
sicherung auf moderne Technik. Jedes Faserbündel wird von einer Kamera gescannt. „Sie erkennt fehlerhafte Bilder im Vergleich mit einer vorgegebenen Spezifikation, beispielsweise ob eine Faser zu lang oder zu kurz ist“, sagt Helmut Hammes, Betriebsleiter Membranen.

Die Zahl der Menschen, die auf eine Dialyse angewiesen sind, wächst stetig. Im Jahr 1997 gab es nach Angaben von Fresenius weltweit zirka 830 000 Patienten, im Jahr 2014, als das St. Wendeler Werk seinen 40. Geburtstag feierte, mussten sich bereits mehr als 2,5 Millionen Menschen einer Behandlung unterziehen. Aktuell sind es 3,5 Millionen Patienten, deren Blut mit Hilfe der künstlichen Niere gereinigt wird. Davon etwa 90 000 in Deutschland und 500 000 in den USA.

Tendenz weiter steigend, aber warum? „Die Menschen leben immer länger und haben dadurch auch mehr Zeit, Krankheiten zu entwickeln“, sagt Klinkner. Außerdem, so ergänzt ihr Kollege, Konzern-Sprecher Leif Heussen, haben immer mehr Menschen auf der Welt Zugang zu Gesundheitsversorgung. Der Wohlstand sei weltweit gestiegen. Und damit auch das Risiko für Folgeerscheinungen wie falsche Ernährung und Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes. Beides wirkt sich negativ auf die Niere aus. „Gesund leben, Sport treiben und Balance halten“, sind Werkleiter Breiths Tipps, um positiv auf das lebenswichtige Organ einzuwirken. „Auch nicht leichtfertig Medikamente wie Schmerzmittel einnehmen. Auch diese können die Niere belasten.“

Mit der Dialyse leben bedeutet auch, den Alltag danach auszurichten. Patienten, die in Zentren und Praxen die klassische Hämodialyse erhalten, müssen drei Mal in der Woche zur Behandlung. Diese dauert etwa vier bis fünf Stunden. Heutzutage ließe sich währenddessen das ein oder andere am Tablet erledigen, die Leute können lesen, fernsehen oder sich sogar bewegen. Wie Gerdi Klinker berichtet, gebe es in einem argentinischen Dialysezentrum ein Modellprojekt, bei dem die Patienten im Liegen in die Pedale treten können. Diese sind am Fußende des Bettes angebracht.

 Zurücklehnen und in Ruhe Zeitung lesen – dafür bleibt bei der Dialyse genügend Zeit. Denn die dauert für den Patienten etwa vier bis fünf Stunden.

Zurücklehnen und in Ruhe Zeitung lesen – dafür bleibt bei der Dialyse genügend Zeit. Denn die dauert für den Patienten etwa vier bis fünf Stunden.

Foto: Johannes Krzeslack/Fresenius Medical Care
 Eine Mitarbeiterin kontrolliert die Beutel mit den Lösungen.

Eine Mitarbeiterin kontrolliert die Beutel mit den Lösungen.

Foto: Johannes Krzeslack/Fresenius Medical Care
 Blick auf den Eingang des Geländes von Fresenius Medical Care in St. Wendel.

Blick auf den Eingang des Geländes von Fresenius Medical Care in St. Wendel.

Foto: Ekkehard Schinzel/Fresenius Medical Care

Pausen sind bei der Dialyse nicht möglich. Das Blut der Patienten muss kontinuierlich gereinigt werden. Somit hatte sich für die Erkrankten früher das Thema Reisen erledigt. Das ist heute anders. „4000 Dialysezentren betreibt Fresenius Medical Care rund um den Globus“, sagt Leif Heussen. Ob Rumänien, China, USA oder Lateinamerika – während des Urlaubs kann der Patient mit den gewohnten Produkten versorgt werden. „Plötzlich steht den Menschen wieder die Welt offen“, sagt Gerdi Klinkner.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort