Bebelsheim in Schutt und Asche

Bebelsheim · In unserer Serie „Damals“ porträtieren wir das Leben älterer Menschen aus der Region und zeigen die Veränderungen in ihren Heimatorten. Protagonist in diesem ersten Serien-Teil: Lothar Hermann aus Bebelsheim, Jahrgang 1928.

Als Lothar Hermann an Weihnachten 1928 das Licht der Welt erblickte, konnte er noch nicht wissen, welche chaotischen Zeiten ihm bevorstehen würden. Hermann wuchs als Sohn eines Transportunternehmers in Bebelsheim auf. "Mein Vater kaufte Nahrungsmittel - hauptsächlich Milch - von den Bauern der Umgebung und brachte sie zur Weiterverarbeitung", erzählt Lothar Hermann.

Im September 1939 änderte sich Hermanns Leben schlagartig. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs lag Hermanns Heimatgemeinde plötzlich im Frontgebiet. Bebelsheim befand sich innerhalb der sogenannten "roten Zone" und wurde evakuiert. "Wir konnten uns noch schnell von unserem Vater verabschieden, der an einer Panzerabwehrkanone an der Grenze eingesetzt war," sagt der heute 84-Jährige, "dann wurden meine Mutter, ich und meine beiden Geschwister evakuiert." Ihren Besitz musste die Familie in Bebelsheim zurücklassen. Einige Häuser im Ort wurden gesprengt. Die Bebelsheimer mussten nach Gotha in Thüringen ziehen. "Dort wurden wir von Bauern mit Pferdefuhrwerken abgeholt und auf die Dörfer verteilt", erzählt Hermann. Die Familie kam im kleinen Ort Wahlwinkel unter. "Wir lebten dort im Saal des Gasthauses der Familie Hildebrand. Dort haben wir es gut gehabt", sagt Hermann. Ihre zwangsweise Trennung von der Heimat fiel in die Zeit der Kartoffelernte und so halfen die Bebelsheimer auf den Feldern. Nach sechs Wochen durften die Evakuierten in ihre Heimat zurückkehren. "Unser Haus stand noch, aber alles andere war weg", erzählt Hermann. Möbel, Vieh und Wertgegenstände wurden geplündert.

Mit elf Jahren nahm Hermanns Leben erneut eine Wende. Sein Vater schickte ihn in den Konvikt Landstuhl. Lothar Hermann sollte Priester werden. "Im Konvikt haben wir es eigentlich ganz gut gehabt", sagt der Bebelsheimer. Doch selbst im Priesterseminar konnte man sich der nationalsozialistischen Propaganda nicht völlig entziehen. "Ein Mal in der Woche kam die Hitlerjugend und hielt Vorträge über den Endsieg." Lange hielt es Hermann allerdings nicht in Landstuhl: "Ich wollte kein Priester werden, ich hab die Freiheit viel zu viel geliebt." Eines Nachts steigt Hermann aus einem Fenster und haut einfach ab - zurück nach Bebelsheim. Der Vater erlaubt ihm nach einer Auseinandersetzung, an ein Gymnasium in Saargemünd zu wechseln.

In Bebelsheim entsteht zur selben Zeit ein Lager für französische Kriegsgefangene, später kommt ein Lager für sowjetische Gefangene hinzu. "Die Franzosen mussten bei den Bauern auf den Höfen arbeiten", erzählt Hermann, "da ging es ihnen bei einigen ganz gut, bei anderen Bauern war es schlimm. Bei uns saßen die Franzosen beim Essen immer mit am Tisch."

Lothar Hermann hält sich in Saargemünd auf, als die US-Air-Force 1944 die Stadt bombardiert. "Es war ein schlimmes Gefühl, wenn die Bomben fiellen und die Erde bebte", sagt Hermann, der in einem Luftschutzbunker überlebte. Da die Front näher rückt, wechselt Hermann an ein Gymnasium nach St. Ingbert. Auch dort wird er 1945 Zeuge der Bombardierung der Stadt.

Im März 1945 steht die US-Armee vor der Tür. Ein Lehrer verlangt, dass sich Hermann zum Volkssturm-Einsatz meldet. Die Familie Hermann verlässt Bebelsheim für kurze Zeit und kommt bei einer Verwandten in Biesingen unter. Doch wenige Tage später kehren die Hermanns in ihr Heimatdorf zurück. Der Vater hat einen eigenen Bunker gebaut und hofft, die letzten Kriegstage hier zu überstehen. Die US-Armee beschießt den kleinen Ort mit Artillerie, viele Häuser zerfallen zu Schutt und Asche. Auch Hermanns Elternhaus wird getroffen. Doch der Bunker hält.

Einen Tag später kommt eine kleine Einheit der Waffen-SS auf dem Rückzug in Bebelsheim an. Eine brenzlige Situation für Hermanns Vater. Doch die Soldaten wollen niemanden mehr erschießen und bitten nur um Nahrungsmittel. Ein Offizier tauscht seinen verlausten Mantel gegen Essen ein.

Am 16. März rückt die 7. US-Armee in Bebelsheim ein. Hermann und seine Familie werden für acht Tage interniert. Für sie war der Krieg zu Ende.

Auch nach dem Krieg blieb Hermanns Leben spannend: "Ich habe oft den Beruf gewechselt". Nach einer Lehre zum Elektriker in Saarbrücken wechselte er als Betriebselektriker an eine Mühle nach Wölferdingen. Ab 1950 wurde er wie sein Vater vor ihm Transportunternehmer und beschaffte Milch für die Molkerei in Saarbrücken. 1951 heiratete Hermann seine Frau Irmgard und siedelte nach Habkirchen über. Mit 46 Jahren wagte Hermann einen neuen Schritt, ließ sich zum Masseur umschulen und eröffnete eine Praxis in Bebelsheim.

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