Jahr der Demenz Was Kunst bei Demenz bewirken kann

St. Ingbert · Zwei Wochen hingen die Bilder des Werbegrafikers Carolus Horn, der an Alzheimer litt, im Kreiskrankenhaus. Die Ausstellung „Wie aus Wolken Spiegeleier werden“ war auch Anlass zu Vorträgen zur Demenz-Therapie.

 Diese Besucher betrachteten sich die Bilder von Carolus Horn ganz bewusst unter dem Hintergrund seiner Demenzerkrankung. Denn vor der Vernissage hatte es Vorträge über die Wirkung der Kunst in der Demenz gegeben.

Diese Besucher betrachteten sich die Bilder von Carolus Horn ganz bewusst unter dem Hintergrund seiner Demenzerkrankung. Denn vor der Vernissage hatte es Vorträge über die Wirkung der Kunst in der Demenz gegeben.

Foto: Cornelia Jung

Vor kurzem hingen Bilder von Carolus Horn im Erdgeschoss und Kasino des Kreiskrankenhauses (KKH). Neue Bilder in vielen Farben sind gerade bei den Patienten, aber auch ihren Besuchern, eine willkommene Abwechslung zum Klinikaufenthalt. Doch die Grafiken und Bilder, die auf Initiative der Malteser hin zwei Wochen die Wände des KKH schmückten, waren nicht nur etwas ganz besonderes, weil sie von einem der bekanntesten deutschen Designer und Werbegrafiker der Nachkriegszeit stammten. Sie begleiten den seelischen „Verfall“ des Künstlers, der 1981 mit 60 Jahren die Diagnose Alzheimer erhielt. Selbst in der letzen Phase seiner Krankheit, die über elf Jahre in seinen Werken dokumentiert wird, malte er ausdrucksstärker als viele andere es je vermocht hätten.

Leider fand die Vernissage erst zu einem Zeitpunkt statt, als die Ausstellung bereits dem Ende zuging. Grund war der extrem eng beschriebene Terminkalender von Jörg Eberling, der die Ausstellung kuratierte und als Referent eingeladen war. Er ließ der am Kreiskrankenhaus praktizierenden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Elke Gries, den Vortritt, die über die vielfältigen Aktivitäten für ältere Menschen auf der Station berichtete, wozu ein Farbkonzept, eine Vergissmeinnicht-Pflanzaktion und das Anlegen eines Gartens der Sinne gehören.

Vor allem hob sie den Klinikbegleitdienst der Malteser hervor, den es seit zwei Jahren gibt. „Ich bin aber auch froh, dass wir die Ausstellung von Carolus Horn ausgerechnet in diesem ,Jahr der Demenz‘ hier haben“, sagte Elke Gries. Bei der Behandlung von Demenz setze man auch auf psychosoziale Therapien, die ohne Medikamente auskommen. Kunst sei eine Variante davon. Dass es funktioniere, könne man auch in den Bildern von Horn sehen, die eine hohe Kunstfertigkeit zeigten. „Künstlerische Therapien stellen in der Geriatrie wichtige, etablierte und unverzichtbare Behandlungsansätze dar“, weiß Gries aus Erfahrung, „dabei ist es wichtig, nicht auf Defizite zu gucken, sondern auf die Ressourcen des älteren Menschen. Leider wird ,psychisch krank‘ auch heute noch mit defizitär verknüpft. Man kann aber immer mit dem arbeiten, was noch vorhanden ist.“ Diese Beschäftigungen, wie beispielsweise das Malen, würden den Patienten Halt geben und die Psyche der Kranken positiv beeinflussen.

Auch wenn, wie bei Carolus Horn, die Fähigkeiten abnehmen und die bildlich dargestellten Perspektiven verzerrt dargestellt würden. Das wurde besonders deutlich bei vier Bildern Horns von der immer gleichen venezianischen Brücke, die in verschiedenen Phasen der Krankheit entstand und deutliche Unterschiede aufweisen. Doch die Beschäftigung mit der Kunst während der Krankheit verlangsame den geistigen Abbau. „Kunsttherapie kann ordnend und strukturierend wirken.“ Wenn die Gespräche mit dem Umfeld abnehmen, könne die Kunst eine neue Art der Kommunikationsfähigkeit darstellen. Oder sie könne eine Chance zur Erinnerung sein und damit zur Aufarbeitung persönlicher Erlebnisse dienen. Damit trage die Kunst zur Entspannung und emotionalen Entlastung bei. Werke, die demente Patienten schaffen, seien durch eine besondere Farbstärke gekennzeichnet. Das könne man auch bei anderen Künstlern sehen.

Mit fortschreitender Demenz würden allerdings die positiven Aspekte und der Nutzen der Kunst sinken. Neben den verzerrten Perspektiven und starken Kontrasten dominierten zunehmend Linien das Papier und es würden immer wieder die gleichen Muster auftauchen. „Man verliert sich irgendwann in der Demenz selbst. Und das dokumentieren auch die Bilder von Carolus Horn“, sagte die Ärztin, bevor sie das Wort an den Ausstellungskurator übergab. „Horn erzählt uns in seinen Bildern seine Welt der Demenz. Deshalb sind sie so einmalig, auch weil er bis zu seinem Tode gemalt hat.“ Welche Bedeutung den Angehörigen während der Krankheitsphase zukommt, zeige die besondere emotionale Förderung, die der Künstler durch seine Frau erfuhr. „Ohne Tilde Horn gebe es diese Bilder nicht“, so Eberling. Horns letzte Bilder habe sie ihm mit Bleistift vorgemalt.

Jörg Eberling nahm die Gäste mit auf eine Bilderreise durch die vier Phasen der Demenz, die von der gesunden Zeit bis in die späte Demenz reichte. Die meisten kannten die Kampagnen des Werbegrafikers und -texters, der den Sarotti-Mohr „erschuf“ und von dem die meisten Luis-Trenker-Filmplakate stammten. Seine Spezialität sei die Dreidimensionalität gewesen und die fast täuschend echt wirkende Darstellung von Glas und Glanz. Am Anfang seiner Krankheit habe der hessische Maler seine langsam schwindende Kunstfertigkeit noch auffangen können, indem er einfach die Technik gewechselt habe. Kranke mit Demenz würden Entfernungen anders wahrnehmen, auch Stufen, was zwangsläufig zu einer veränderten Malweise führe. „Demenzpatienten sind so clever“, sagte Eberling und erzählte, dass mit Fortschreiten der Krankheit auch die Visionen zunehmen.

Im Anschluss sahen sich die Gäste die Bilder an und tauschten sich über das Thema „Demenz“ aus. „Hätte ich das alles schon vorher gewusst, dann hätte ich meinen Opa in seiner Krankheit besser verstanden“, sagte beispielsweise ein junger Mann.

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