Zügelloser Freejazz im Kunststall

Altstadt. Eine nostalgische Bettflasche aus Zinkblech gehörte mit zur sehenswerten Ausstattung des Schlagzeugs. Das eigentlich für wohlige Wärme vorgesehene Utensil hing freilich nicht als Gag oder Dekoration zwischen den diversen Becken und Trommeln. Schlagzeuger Dirk Peter Kölsch bediente das mit Wasser gefüllte Behältnis mit Händen und Stöcken

 Abstrakte Malerei als passende Jazz-Kulisse: Christoph Thewes (Posaune) und Sängerin Sabine Noß beim Gastspiel von "Phase IV" im Altstadter Kunststall. Foto: Martin Baus

Abstrakte Malerei als passende Jazz-Kulisse: Christoph Thewes (Posaune) und Sängerin Sabine Noß beim Gastspiel von "Phase IV" im Altstadter Kunststall. Foto: Martin Baus

Altstadt. Eine nostalgische Bettflasche aus Zinkblech gehörte mit zur sehenswerten Ausstattung des Schlagzeugs. Das eigentlich für wohlige Wärme vorgesehene Utensil hing freilich nicht als Gag oder Dekoration zwischen den diversen Becken und Trommeln. Schlagzeuger Dirk Peter Kölsch bediente das mit Wasser gefüllte Behältnis mit Händen und Stöcken. So gab es denn bei dem jüngsten Konzert im Kunst- und Kulturzentrum "Kunststall" in der Altstadter Turmstraße nicht nur Leckerbissen für die Ohren, sondern auch für das Auge. "Phase IV" stand auf der Bühne. Das Jazz-Ensemble um den Posaunisten Christoph Thewes brachte ausschließlich Kompositionen der Marke Eigenbau zu Gehör. "Wild, wüst und gefräßig", charakterisiert die Kapelle, die in stetig und sogar während des Auftritts wechselnder Besetzung zur Sache geht, ihr Repertoire selbst. Ganz so dramatisch ging es dann aber doch nicht zu, und wer aus Angst vor anarchisch-zügellosem Freejazz den Gang in den Kunststall gescheut hatte, der verpasste seine Chance. Jazzige Passagen in Kombination mit funkigen Rhythmen, einer ordentlichen Prise Independent-Pop und ab und an sogar einer Ahnung Folk waren die Rezeptur, die letzthin ein durchaus eingängiges akustisches Menu entstehen ließen, das weit abseits vom Mainstream durchaus für akustische Labsal und so manche Überraschung gut war. Zuerst aber hatte Frontman Christof Thewes, frisch mit dem "Wormser Jazzpreis" und damit einer der bedeutendsten Jazz-Auszeichnungen in Deutschland dekoriert, Orientierungsprobleme. "Wo sind wir hier jetzt eigentlich, in Limbach oder in Altstadt oder wo? Hier ist alles so unübersichtlich", meinte er ziemlich ratlos an die Adresse des Publikums. Und wenn Thewes dann nach dem vierten oder fünften Stück zwischendurch gerade mal so warnte, was nun komme, sei eher ein komplexes Stück, dann gab es im Saal auch schon mal Lachsalven ob solchem Understatement. Dichte Atmosphäre, die jede Nummer nachvollziehbar, erlebbar werden ließ, prägte das Konzert. "Break of day" lautete etwa der Titel eines Stückes, bei dem die sonore Stimme von Sabine Noß im wechselnden Zusammenspiel mit dem Kontrabass und dem Saxophon von Jan Oestreich und Christoph Klein sowie dem Chefposaunisten die Zuhörer immer tiefer in einen heißen, sich träge und zäh dahin ziehenden Hochsommertag hinein saugten - trotz Winter draußen vor der Tür. Richtig ab ging die Post hingegen, wenn Jörg Atz "ein waschechter Helljewalder", so seine Vorstellung durch Thewes, eingriff und mit virtuosen Soli an der Mundharmonika die Szene übernahm. Die Bühne und dazu die abstrakten großformatigen Gemälde des Galeriegründers und Malers Willi Spies als Kulisse sorgen für einen stimmungsvollen Rahmen.

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