Corona-Virus Wie ich innerhalb von fünf Minuten zum Problem wurde

Homburg · Natürlich fand ich es blöd, dass sich Leute vorige Woche auf Klopapier und Nudeln stürzten. Meine Freunde schickten mir spöttische kleine Filmchen auf mein Handy, zum Beispiel von einem Piloten, der den Passagieren über Lautsprecher verkündet,  es sei schön, dass sie noch in der Luft seien, denn er mache gerade Home Office.

 Leere Flure, leere Büros – was vor einer Woche noch undenkbar war, ist in manchen Betrieben inzwischen eingetreten. 

Leere Flure, leere Büros – was vor einer Woche noch undenkbar war, ist in manchen Betrieben inzwischen eingetreten. 

Foto: BECKER&BREDEL/Becker && Bredel

Oder ein Brite, der sich in einem Andenkenladen eine Papierunterhose kauft, auf der der Union Jack abgebildet ist. In Ermangelung von Atemmasken stülpt sich der Brite die Unterhose über Mund und Nase und macht den Gummizug an den Ohren fest. So gehe echter Schutz gegen „Coronaveires“. Haha, sehr lustig.

Mit einem Blick auf den Kalender rückte mein Osterurlaub in Südfrankreich näher, dann ging’s im Mai mit Freunden nach Berlin – und im Juni dann eine nette kleine Segeltour mit der ganzen Familie, Oma inklusive. Jetzt musste nur noch der blöde März vorbei sein, und  der Frühling konnte beginnen. Das Jahr schien auf einem guten Weg zu sein.

Zwar waren in China ein paar Leute an einem seltsamen Virus erkrankt, doch was sollte das schon mit mir zu tun haben? Wollte ich vielleicht nach Wuhan? Ganz bestimmt nicht. Ich fand es eine nette Geste von den Deutschen, ganz viele Schutzanzüge nach China zu schicken, man sollte schließlich helfen, wo man konnte.

Ich gebe zu, mir wurde es ein wenig unwohl, als das Virus so plötzlich in Italien auftrat, noch dazu mit rasant ansteigenden Krankenraten, am Ende sogar Toten. Na ja, nach Italien wollte ich eigentlich erst im Herbst, ein bisschen in der Südtoskana bei den alten Etruskern herumwandern und Gräber besichtigen. Ich gebe zu, „Gräber besichtigen“ gefiel mir inzwischen als Wendung nicht mehr so gut. Die Pläne mit Italien legte ich vorerst auf Eis, man muss schließlich nicht überall hin.

Ende Februar trafen wir uns mit  befreundeten Ärzten in einem  Restaurant. Ich dachte, nun würde ich mal von kompetenter Seite hören, was für eine blöde Panikmache um dieses Corona-Zeugs entstanden sei. Noch bevor meine Freundin einen Blick auf die Speisekarte geworfen hatte, verkündete sie, dass sie ihre geplanten Urlaube samt und sonders abgesagt hätte, „das hat uns eine Stange Geld gekostet, aber Sicherheit geht vor. Ich möchte mir nicht ausmalen, in Ägypten krank zu werden“. Ich riss völlig entgeistert die Augen auf. So schlimm stand es also schon? „Ja, was denkst Du denn? Willst du vielleicht am Ende ersticken?“

Zwei Tage später wurde der erste Corona-Fall publik am Uniklinikum in Homburg. Unweit von der Abteilung meiner Freundin. Die Gefahr war jetzt greifbar geworden. In den Schulen ging die Angst um, erst einmal nicht so sehr vor Corona, sondern wegen des Abiturs. Bloß jetzt keine Krankheitsfälle mehr, bloß kein Streß vor den Prüfungen. Die Fastnacht und die Skiferien kamen in Verruf, wer, verdammt, war in Südtirol und schleppt jetzt das Zeug hierher? Es wurde langsam ungemütlich.

In ein paar Wochen spricht kein Mensch mehr darüber, dann wird’s warm, und alles wird gut. So redeten die Kunden in den Reisebüros. Es könne doch nicht sein, dass die schöne Kreuzfahrt oder der Ferienclub in Spanien so einem chinesischen Mist-Virus zum Opfer falle, geht’s noch?  Am Mittwochmorgen kam meine nette Reinigungskraft Geneviève aus dem lothringischen Spichern und regte sich auf, dass „diese saublöde Religionsversammlung“ im Elsass der Virusverbreitung Vorschub geleistet habe. Jetzt gelten die Ostfranzosen als verpestet, wo sie ohnehin in Frankreich schon keinen guten Ruf hätten. Ich fuhr zur Arbeit.

 Christine Maack

Christine Maack

Foto: SZ/Robby Lorenz

Gegen 11 Uhr kam ein Anruf, ich möge bitte zu Hause bleiben. Anordnung von oben. Hä? Ja, ich wohne gerade über der Grenze, im verpesteten Ostfrankreich, und damit war Schluss mit lustig. Ich bekam einen Internetzugang und durfte nach Hause gehen und von dort arbeiten. Und ich war erst der Anfang. Nach mir fielen öffentliche Veranstaltungen um wie Dominosteine, die Schulen, die Kitas. Abitur? Prüfungen? Klausuren? Wen interessiert’s?  Innerhalb von wenigen Minuten war erst ich zum Problem geworden, danach kam das öffentliche Leben zum Stillstand. Das kann ich noch meinen Enkeln erzählen. Hoffentlich.

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