Klangbildhauerei „Ich komponiere sozusagen rückwärts“

Limbach · Thorsten John Wolf ist ein Mann mit vielen Talenten: Er fotografiert, er schreibt – und er macht Musik. Oder vielmehr: Er ist ein Klangarchitekt. Sound Designer wäre auch passend. Denn das, was Wolf alias „Cadrage“ da seinen Stromgitarren entlockt, erweitert den vertrauten Klanghorizont um einiges.

 Thorsten John Wolf alias Cadrage mit seinen „Custom Guitars“.

Thorsten John Wolf alias Cadrage mit seinen „Custom Guitars“.

Foto: SZ/Chris Schäfer

Im Garten bei Thorsten John Wolf klimpern zarte Windspiele vor sich hin, Vögel zwitschern, zwei weiße Gartenstühle laden zum Verweilen in der grünen Idylle ein. Was  nicht so ganz zur üblichen Gartenausstattung gehört, sind die sechs Gitarren-Schönheiten auf dem Rasen. Wie Models vor dem Catwalk stehen sie da, oder wie eine Band vor dem Auftritt.

Zwar sehen sie im Großen und Ganzen schon so aus wie man es erwartet: sechs Saiten, Griffbrett, Korpus, „aber sie müssen nicht unbedingt so klingen wie eine normale E-Gitarre“, erklärt Thorsten Wolf.

Und tritt gleich den Beweis an: Das Soundgewitter, das nach einigen soliden Rock-Akkorden der härteren Gangart in den zartblauen Morgenhimmel donnert, sorgt für einen Adrenalinkick wie mehrere Espressi. Nachdem Gehörgänge wie Hirnwindungen nun gleichermaßen durchgepustet sind, bleibt die Frage: Der Röhrenverstärker sorgt für die Lautstärke, klar, aber woher kommen diese Klangmauern, die sich aufzutürmen scheinen wie ein Gebirge? Es klirrt, scheppert, kracht, Urwaldtrommeln treffen auf Martinshörner, ein Zug rauscht vorbei – schräge Töne sind kein Fehler, sondern gewollt.

„Ich suchte nach Möglichkeiten, das Klangspektrum zu erweitern. Aber ohne die Form, den Korpus allzusehr zu verändern oder zu verunstalten. Es sollte schon noch wie eine Gitarre aussehen.“

Seit er 16 sei, habe er E-Gitarre gespielt und sich auch schon immer für Gitarrenbau interessiert, erklärt Wolf. Diese Erfahrungen kamen ihm nun zugute: So begann er zu basteln, umzubauen, mit mehreren Tonabnehmern zu experimentieren, den Korpus der Gitarre als Spielbereich für Percussion-Effekte zu nutzen. Sogar ein defekter Tonabnehmer wurde verbaut. Ein anderes Modell fällt durch eine runde Metalldose am Korpus auf. Darin: keine Hustenbonbons, sondern ein Piezo-Tonabnehmer, der für einen Effekt sorgt, der entfernt an eine Maultrommel erinnert.

Mittlerweile nennt Thorsten Wolf so ein halbes Dutzend Spezialgitarren sein eigen – allesamt Marke Eigenbau. Jede sieht anders aus, jede hat ihren eigenen Klang, ihren eigenen Charakter.

Einer seiner Kreationen hat ein Fachmagazin in den USA schon eine halbe Seite gewidmet. Aber: „Ich baue die nur für mich“, erklärt Thorsten Wolf kategorisch, ein Geschäft mit „Custom Guitars“ aufzuziehen mit größeren Stückzahlen oder nach Auftrag, sei nicht der Plan.

Das widerspräche auch seiner Philosophie, die da heißt: alles kann, nichts muss. „Musik ist Freiheit“, ist er überzeugt. Deshalb will er auch keine Etiketten oder Schubladen für seine Musik. Um das, was er macht, für den Neuhörer etwas griffiger zu beschreiben, fällt dann aber doch die Vokabel „Noise“ (siehe Info).

Also: die Klänge zu erzeugen, ist der eine Teil – Emotion pur. Die fauchende Kaffeemaschine kann übrigens ebenso Inspirationsquelle sein wie Kinderreime oder ein Free-Jazz-Stück. Die wilde Klangorgie in eine Struktur zu bringen, dass sie so klingt wie die Vorstellung im Kopf, ist dann der zweite Part.

„Ich komponiere sozusagen rückwärts“, bringt Wolf es auf den Punkt. Was dabei herauskommt, ist ein atmosphärisch dichtes Sound-Gewebe mit vielen Klangfarben und -facetten – und dann sind sie da, die Bilder im Kopf: Zum Beispiel eine Jazz-Combo, die gegen das Blablabla der Ausstellungsbesucher anspielt, oder die Raumschiff-Crew, die durch die Weiten des Universums driftet. „Was du machst, klingt wie Filmmusik“, hat mal jemand zu ihm gesagt. So entstand auch der Künstlername: „Cadrage“ ist ein Begriff aus der Filmwissenschaft und bezeichnet die Auswahl des Bildausschnitts.

Das aktuelle Album trägt übrigens nicht umsonst den Namen „Zabba“ – als Hommage an Frank Zappa  – „weil er musikalisch Grenzen überschritten hat, wie kaum jemand sonst. Und das, was herauskam, war trotzdem kein elitäres Musikmachen im Elfenbeinturm, sondern es ist gut hörbar“, erklärt Thorsten Wolf.

Denn man spielt ja nicht nur vor sich hin im stillen Kämmerlein, sondern will gehört werden. Auch wenn Cadrages „Constructed Music“, also gebaute, konstruierte Musik, live nur mit großem Aufwand rüberzubringen wäre. Aber dafür gibt es heutzutage ja diverse Online-Plattformen. Spannend bleibt es aber auch da: Man weiß nie vorher, was jetzt kommt, weil vertraute Hörgewohnheiten aufgebrochen werden. „Aber gerade die Unvorhersehbarkeit ist ja das Spannende“, erklärt Wolf. Eine Pralinenschachtel oder Wundertüte zum Hören sozusagen.

 Charakterstark – und ein Hingucker: Zwei der umgebauten E-Gitarren aus dem „Fuhrpark“ von Thorsten Wolf.

Charakterstark – und ein Hingucker: Zwei der umgebauten E-Gitarren aus dem „Fuhrpark“ von Thorsten Wolf.

Foto: SZ/Chris Schäfer

Cadrage anhören: online auf Spotify, „Suchbegriff „Cadrage“, Album Disorder“; auf Youtube Suchbegriff Cadrage Thorsten John Wolf, Album „Zabba“; auf Facebook: https://www.facebook.com/
cadrageguitars

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort