Homburg „Wir trauern und wir entschuldigen uns“

Homburg · Mehr als 2300 Menschen wurden hierzulande während der Nazi-Zeit zwangssterilisiert. Zentrum dieser menschenverachtenden Maßnahmen war das Landeskrankenhaus in Homburg.

 Ministerpräsident Egon Reinert (CDU, l.) verlieh Professor Oskar Orth 1957 das Bundesverdienstkreuz. Orth hatte im Homburger Krankenhaus während der NS-Zeit hunderte Zwangssterilisationen verantwortet. Rechts steht Orths Frau. Foto: Landesarchiv

Ministerpräsident Egon Reinert (CDU, l.) verlieh Professor Oskar Orth 1957 das Bundesverdienstkreuz. Orth hatte im Homburger Krankenhaus während der NS-Zeit hunderte Zwangssterilisationen verantwortet. Rechts steht Orths Frau. Foto: Landesarchiv

Foto: Landesarchiv

Im Saarland wurden in der Nazi-Zeit zwischen 1935 und 1944 nach Erkenntnissen des Historikers Christoph Braß etwa 2350 Menschen zwangssterilisiert, die Mehrzahl im damaligen Landeskrankenhaus Homburg . Dessen mitverantwortlicher Leiter, Oscar Orth, war noch bis 1997 Namensgeber für die Zufahrtsstraße zur Homburger Uniklinik. Es war ein wichtiger Satz, den Professor Michael Menger am Samstag am Anfang der Tagung über den Umgang mit den NS-Verbrechen Zwangssterilisation und den als Euthanasie ("Gnadentod") titulierten Krankenmord aussprach. "Wir gedenken, wir trauern und wir entschuldigen uns bei den Opfern und deren Angehörigen", erklärte der Dekan der Medizinischen Fakultät der Saar-Uni in Homburg . An den beiden Arten von NS-Verbrechen an geistig oder körperbehinderten, psychisch kranken oder sonstwie von der "Norm" abweichenden Menschen waren damals Mediziner maßgeblich beteiligt. Daher sieht sich die Fakultät in der Verpflichtung, auch die junge Generation über Motive, Täter und Begründungszusammenhänge aufzuklären und eine "Erinnerungskultur" - so der Titel der Tagung - zu schaffen.

Vom NS-Euthanasieprogramm, das selbst nach NS-Recht strafbar war, war das Saarland besonders betroffen. Von den zwischen 1150 bis 1600 Patienten der psychiatrischen Anstalten Homburg und Merzig wurden in der Nazizeit deutlich über 1000 deportiert und ermordet, nur 80 bis 260 überlebten. Auch diese Forschungsergebnisse sind Christoph Braß zu verdanken. Er wäre ein wichtiger Referent gewesen, musste krankheitsbedingt jedoch absagen.

Die Fernsehdokumentation "Ich wäre so gern heimgekommen" über NS-Euthanasie in unserer Heimat von SR-Journalist Mirko Tomic, die sich unter anderem auf Braß stützt, zeigte, dass nicht nur Ärzte dafür Mitverantwortung trugen. Auch Krankenschwestern, die schwiegen oder mitmachten, ebenso Angehörige: Manche gaben ihre behinderten Kinder in die Anstalt, in der Annahme, es wäre das Beste. Es habe durchaus Handlungsspielraum gegeben, betonte die Historikerin Astrid Ley in ihrem Vortrag über das Verhalten der verschiedenen Ärztegruppen bei der NS-Zwangssterilisation und dem Krankenmord. Ärzte, die sich weigerten, Gutachter für das Euthanasie-Programm zu werden oder ihre Patienten zu melden, seien unbehelligt geblieben, so Ley. Erst seit 2014 gibt es eine nationale Gedenkstätte für die Opfer von Zwangssterilisation und NS-Euthanasie, wie die Literaturwissenschaftlerin Susanne C. Knittel in ihrem Vortrag über Erinnerungskultur berichtete.

Auch die Homburger Fakultät, die die Tagung gemeinsam mit der Paul Fritsche Stiftung ausrichtete, sähe gern ein Denkmal auf dem Campus. Wichtiger aber ist ihre die "lebendige Erinnerungskultur". Künftig wolle man Schulklassen einladen, um mit ihnen über den Tomic-Film zu diskutieren, sagte Menger und griff damit Anregung aus dem rund 100-köpfigen Publikum auf.

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