Wenn Dein Kind stirbt, ist alles falsch

Trauer hat im Alltag oft keinen Platz. Wird jemand mit dem Tod konfrontiert, weil ein ihm nahe stehender Mensch stirbt oder lebensgefährlich erkrankt, dann können viele damit erst einmal nicht umgehen. Wie unterschiedlich reagieren Menschen in so einer Situation? Und gibt es Verhaltensmuster, die gleich sind?Anika Müller: Die Menschen reagieren sehr individuell

Trauer hat im Alltag oft keinen Platz. Wird jemand mit dem Tod konfrontiert, weil ein ihm nahe stehender Mensch stirbt oder lebensgefährlich erkrankt, dann können viele damit erst einmal nicht umgehen. Wie unterschiedlich reagieren Menschen in so einer Situation? Und gibt es Verhaltensmuster, die gleich sind?Anika Müller: Die Menschen reagieren sehr individuell. Deswegen: Vorsicht, was man in das Verhalten eines Trauernden hineininterpretiert! Eine Mutter, die bei der Beerdigung ihres Kindes nicht weint, ein Mann, der danach Witze erzählt, und die Frau, die sofort wieder zum Alltag übergeht und nicht mehr über ihren Verlust reden möchte - sie alle trauern auch! Aber Frauen trauern ähnlich und anders als Männer, Männer trauern ähnlich und anders als Frauen und auch Kinder trauern ähnlich und anders als Erwachsene. Außerdem hat die Trauer ein anderes Gesicht, je nachdem, wie lange der Tod des geliebten Menschen her ist. Sie hat Phasen.

Ursula Schulte: Es gibt grobe Verhaltensmuster bei Trauernden, man bezeichnet sie als Trauerphasen, die fast alle Trauernden irgendwann durchlaufen. Aber im Einzelfall kann auch alles ganz anders sein.

Was kann einem in so einem Moment helfen?

Anika Müller: Die individuelle Art zu trauern macht es schwierig, pauschale Ratschläge zu geben. Anteilnahme aussprechen oder eine Trauerkarte abgeben, ein offenes Ohr anbieten, wenn die Trauernden reden wollen, zuhören, bei weiteren Bekanntschaften vielleicht fragen, wie die Trauernden möchten, dass mit dem Thema umgegangen wird. Und vor allem: Nie versuchen die Trauer kleinzureden oder abzuwiegeln. Das verletzt, denn es steht im Gegensatz zu dem inneren Empfinden des Trauernden, spricht ihm sein Recht zu trauern ab.

Ursula Schulte: Wenn es um die erste Phase, den Schock geht, dann hilft eigentlich nur unaufdringlich da sein, ehrlich sein, keine Blicke in die Zukunft wie zum Beispiel "Du bist noch jung, du kannst noch Kinder bekommen" oder Ähnliches.

Was ist anders, wenn es ein Kind ist, das stirbt? Welche Gefühle haben Eltern?

Anika Müller: Wenn Dein Kind stirbt, ist einfach alles falsch. Kinder sterben nicht vor ihren Eltern. Der Tod kommt nicht am Anfang des Lebens. Alles lehnt sich dagegen innerlich auf, der Tod kann nicht akzeptiert werden. Es macht die Eltern verzweifelt und traurig, dass sie ihrem Kind nicht die Liebe geben können, die sie in sich tragen und dass ihr Kind all das Schöne dieser Welt nie erfahren kann. Sie haben sich vorgestellt, wie es laufen und sprechen lernt, in den Kindergarten, in die Schule geht, heiratet . . . und nichts davon wird je passieren. Dieses Sehnen nach dem Kind ist fast nicht zum Aushalten. Wir wollten unser Kind schützen und konnten es nicht. Deshalb gibt es lange keinen innerlichen Frieden. Wenn ein alter Mensch stirbt, scheint das leichter zu sein. Den kann man in den Tod entlassen, er hatte sein Leben. Man ist bereit, ihn "zurückzugeben". Das ist beim eigenen Kind sehr schwierig - wenn überhaupt möglich.

Kommen Mütter und Väter überhaupt jemals wirklich über den Tod eines Kindes hinweg?

Anika Müller: Hinwegkommen ist das falsche Wort. Das hört sich an, als würde die Trauer irgendwann aufhören - und das tut sie nicht. Bei mir ist es sechs Jahre her, dass meine Tochter Elisabeth in meinem Bauch gestorben ist. Am Anfang war ich sehr verzweifelt, das Leben war eine Qual. Nach den ersten Trauerjahr war ein großer Schritt getan, mit der Geburt von Elisabeths Bruder ist die Hoffnung wieder eingezogen, dass mir noch gute Dinge im Leben widerfahren können - aber die Trauer war nicht weg. Fast vier Jahre war sie weiter präsent, weniger stark. Aber dieses Jahr wurde ich überrollt, stärker als die Jahre zuvor habe ich alles wieder durchlebt. Ich verstehe es nicht, aber Trauer scheint auch zeitlich keiner Logik zu folgen. Ich denke, die Trauer um meine Elisabeth wird mich mein Leben lang begleiten.

Wie reagieren andere Menschen, auch Freunde, insbesondere dann, wenn die Trauerphase sehr lange dauert?

Ursula Schulte: Die meisten sind hilflos und weil sie nicht helfen können, wenden sich auch viele ab, wenn sie merken, dass es nicht "besser geworden" ist. Manche versuchen, mit gut gemeinten Ratschlägen zu helfen oder damit, dass sie versuchen den Eltern einzureden, "es sei ja gar nicht so schlimm". Es ist aber auch so, dass sich die betroffenen Eltern oft zurückziehen, weil sie trauern und nicht mehr auf Freunde zugehen. Dann ist es an der Zeit, sich als Freund trotzdem blicken zu lassen. Außerdem darf man auch nicht vergessen, dass viele Eltern sich selbst persönlich verändern, so dass vielleicht Freunde von damals nun nicht mehr "passen".

Wo finden Eltern in so einer Situation Hilfe?

Anika Müller Andere Betroffene sind oft eine Wohltat, denn vor ihnen muss man nicht erklären, warum der Schmerz so groß ist und warum er "immer noch nicht" aufgehört hat. Diese anderen Betroffenen findet man in lokalen Selbsthilfegruppen, in Internetforen oder als Briefkontakt über die Initiative Regenbogen "Glücklose Schwangerschaft e.V". Die Verwaisten Eltern bieten auch Trauerseminare für Paare und Familien an.

Ursula Schulte: Professionelle seelische Unterstützung in der Trauer um ein Kind können die Eltern bei den kostenlosen Beratungsstellen (Donum vitae, Caritas, profamilia), einer niedergelassenen Psychologin (Überweisung durch den Hausarzt) oder bei professionellen Trauerbegleitern finden. Auch ein Gespräch mit dem Gemeindepfarrer kann helfen.

Hintergrund

Die ökumenische Trauerfeier der zu früh gegangenen, nicht-bestattungspflichtigen Kinder findet am Sonntag, 28. November, um elf Uhr in der Friedhofskapelle auf dem Hauptfriedhof Homburg statt. Sie steht unter dem Leitwort "Inmitten der Wüste blüht Leben". Zur Feier gehört auch die Beisetzung der Urne auf dem Kindergrabfeld.

Der Gesprächskreis Sternenkinder trifft sich jeden ersten Freitag im Monat auf dem Gelände des Uniklinikums in Homburg, Gebäude 44. Er richtet sich an alle Eltern, die ein Kind in der Schwangerschaft, während oder kurz nach der Geburt verloren haben Wer kommen möchte, der sollte sich vorher kurz anmelden. Ansprechpartnerin ist Anika Müller, Grimmenhügel 8, 55777 Fohren-Linden, Tel. (0 67 83) 9 00 86 90 (abends oder Anrufbeantworter). E-Mail: anika@sternenkinder-homburg.de. Infos im Internet unter www.sternenkinder-homburg.de. ust

Zur Person

Anika Müller musste ihre Schwangerschaft im fünften Monat abbrechen, denn ihre Tochter hätte wegen schwerer Fehlbildungen nicht leben können. In dieser schwierigen Zeit hat sie gelernt, wie wichtig es ist, die richtige Hilfe zu finden. Sie hat zum Teil sehr lange gebraucht, um Informationen zu bekommen. Das möchte sie anderen Eltern ersparen. Deswegen hat sie nicht nur eine Selbsthilfegruppe gegründet, sondern auch eine umfangreiche Internetseite aufgebaut.

 Blumen schmücken das Kindergrabfeld auf dem Homburger Hauptfriedhof. Am kommenden Sonntag, 28. November, wird es wieder eine Trauerfeier für nicht-bestattungspflichtige Kinder geben, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Foto: Thorsten Wolf

Blumen schmücken das Kindergrabfeld auf dem Homburger Hauptfriedhof. Am kommenden Sonntag, 28. November, wird es wieder eine Trauerfeier für nicht-bestattungspflichtige Kinder geben, die vor, während oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Foto: Thorsten Wolf

Ursula Schulte ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und Trauerbegleiterin. Sie begleitet die Gruppe in Homburg ehrenamtlich, da ihr die Arbeit mit den Eltern der Sternenkinder ein Herzensanliegen ist. Weitere Infos gibt es auch im Internet unter www.ursula-schulte.info. ust

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